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Waffenstillstand für Benedikt

Drogenkrieg und Gewaltkultur werden in Mexiko große Themen sein

Von Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt *

Mit Vorfreude und Spannung erwartet Mexiko den am Freitag (23. März) beginnenden Besuch Papst Benedikts XVI. Selbst Drogenkartelle geben sich derzeit wie sanfte Lämmer. namerika - 2007 war er in Brasilien. Vier Tage will der Papst in Mexiko verbringen, bevor er am Montag nach Kuba weiterreist. Es ist die 23. Auslandsreise des Kirchenoberhaupts, das am 16. April 85 Jahre alt wird.

Benedikt XVI. muss keinen Anschlag fürchten. Selbst mexikanische Drogenkartelle haben Grußbotschaften aufgehängt. So kündigten die »Tempelritter«, Nachfolgeorganisation des Kartells »La Familia« mit einer starken religiösen Komponente, einen Waffenstillstand für die Zeit des Papstbesuches an. »Die Tempelritter verzichten auf jegliche Gewalt, wir sind keine Mörder, der Papst ist willkommen«, verkündeten Banner in mindestens sieben Städten des Bundesstaates Guanajuato.

Eine allgemeine Feuerpause werde es zwar nicht geben, ahnte der Apostolische Nuntius, Christophe Pierre, doch werden Drogenkrieg und Sicherheit die großen Themen des Besuches sein. Der Pontifex werde zu Frieden und Versöhnung aufrufen. »Die Ankunft des Papstes kann eine Gelegenheit für die Gesellschaft sein, einen Weg zu finden, damit die Gewalt beendet wird. Aber man kann nicht sagen, nur weil der Papst kommt, gibt es einen Waffenstillstand. Das wäre vermessen«, erklärte der Vertreter des Vatikans auf einer Pressekonferenz in León. Pierre äußerte zudem die Erwartung, dass Joseph Ratzinger und Mexikos Präsident Felipe Calderón bei ihrem Zusammentreffen Gedanken über die Situation des Landes austauschen werden.

Ein Treffen Benedikts XVI. mit den drei Präsidentschaftskandidaten wird es dagegen nicht geben. »Der Papst kommt nicht, um Diskussionen mit allen Politikern zu führen, denn viele Personen haben gemeint, der Papst habe eine Wahlagenda. Nein, die hat er nicht, der Papst kommt, um den Regierungschef zu treffen, um das mexikanische Volk zu treffen, vor allem die Katholiken. Es ist ein offenes Treffen.«

Die Opposition befürchtet, die regierende Partei der Nationalen Aktion (PAN) könnte das Großereignis kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Juli für Wahlkampfzwecke missbrauchen. Es wird Zufall sein, dass der Papst nicht in die von der Linken regierte Hauptstadt kommt, sondern die Sonntagsmesse unter freiem Himmel, bei der ihm bis zu 750 000 zujubeln werden, in Guanajuato abhält. Guanajuato ist mit vier Millionen Einwohnern ein kleiner Bundesstaat, gilt aber als konservativ und wird seit 20 Jahren ununterbrochen von der konservativ-katholischen PAN Calderóns regiert.

Bloß nicht einmischen, lautet die große Devise der ersten Reise Ratzingers ins spanischsprachige Amerika. Wohl noch zu gut ist die scharfe Kritik in Erinnerung, die er 2007 in Brasilien mit Äußerungen zu Abtreibung und Christianisierung hervorrief. Damals hatte er unter anderem erklärt, den Ureinwohnern sei durch die Verkündung des Evangeliums keine fremde Kultur aufgezwungen worden, sie hätten die Christianisierung vielmehr »still herbeigesehnt«. Kritik an den Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militär wäre jedoch durchaus angebracht. Denn für die mehr als 50 000 Toten seit Dezember 2006 sind nicht nur die Drogenkartelle verantwortlich.

Als Kolumbus 1493 das zweite Mal nach Amerika reiste, wurde er von Priestern und Ordensmännern begleitet. Heute leben mehr als die Hälfte aller 1,1 Milliarden Katholiken - nämlich rund 556 Millionen - in Lateinamerika.

Doch Ratzinger wird wohl der Linie der mexikanischen Bischöfe folgen, die das Thema regelmäßig umgehen. Kein Wunder, sind doch nicht wenige von ihnen indirekt in die Geschäfte der Drogenkartelle verwickelt. Indem sie Drogengelder für Kirchenbauten akzeptieren, sind sie an Geldwäsche beteiligt. Doch lieber kritisieren die Bischöfe die liberale Sexualmoral und den Zerfall der Familie, die sie als Grundübel des gesellschaftlichen Werteverfalls ausgemacht haben, oder sie wettern gegen Abtreibungen. Nach der Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Mexiko-Stadt führte nicht zuletzt der Eifer der katholischen Kirche zur Verschärfung der Abtreibungsregelung in anderen Bundesstaaten.

Dabei hat die Kirche in Mexiko selbst mit einer ganzen Reihe von Problemen zu kämpfen. Zwar ist sie weiterhin mit Abstand die größte religiöse Gemeinde, aber vor allem protestantische Freikirchen sind auf dem Vormarsch. Nach seiner Verfassung ist Mexiko ein laizistischer Staat, in dem Kirche und Staat strikt getrennt sind. Doch das könnte sich mit der Reform des Verfassungsartikels 24 ändern. Er schreibt die freie Religionsausübung im privaten wie auch im öffentlichen Raum fest. Kritiker der Neuregelung befürchten die Wiedereinführung von Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Konzessionen für religiöse Radio- und Fernsehkanäle sowie Privilegien für die katholische Kirche. Zeitungen hatten gemutmaßt, die Reform sei ein »Willkommensgeschenk« für den Papst. Doch nach hitzigen Debatten wurde die Abstimmung im Senat verschoben. Einmischen wollte sich der Vatikan da aber nicht. Dies sei »Sache der Mexikaner«, versicherte Nuntius Pierre.

Außerdem verkündete der Vertreter des Heiligen Stuhls, dass kein Treffen des Papstes mit Opfern sexuellen Missbrauchs durch Kirchenvertreter geplant sei. In Mexiko hatte der Fall langjährigen sexuellen Missbrauchs von Kindern durch den mittlerweile verstorbenen katholischen Priester und Gründer der Kongregation der Legionäre Christi, Marcial Maciel, für erhebliches Aufsehen gesorgt. Maciels Treiben war von der Kirchenhierarchie toleriert und geschützt worden. Dass der Papst nun ein Treffen mit den Opfern nicht vorgesehen hat, ist eine erste herbe Enttäuschung, bevor er in Mexiko überhaupt eingetroffen ist.

* Aus: neues deutschland, 22. März 2012


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