Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mexiko: Es sind längst mehr als 132

Studierende gegen rechten Präsidentschaftskandidaten Enrique Peña Nieto *


Bei den Wahlen am 1. Juli droht die Rückkehr der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) an die politischen Schalthebel Mexikos. Ihr Präsidentschaftskandidat Enrique Peña Nieto genießt die Unterstützung der großen Medien des Landes. Dagegen hat sich die Bewegung »Yo soy 132« formiert. Mit Josue Lugo von der Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften an der Nationalen Autonomen Universität Mexikos sprach für "neues deutschland" (nd) Markus Plate.


nd: »Yo soy 132« heißt: »Ich bin der 132.« Wer und was steht dahinter? Wie kam es zur Gründung der Bewegung?

Lugo: Die Bewegung nahm ihren Anfang am 11. Mai während einer Veranstaltung an der privaten Universität Iberoamericana in Mexiko-Stadt, bei der PRI-Kandidat Enrique Peña Nieto mit Studenten diskutieren sollte. Es lief nicht gut für ihn, denn 131 Studenten protestierten heftig: gegen die Rolle Peña Nietos im Fall Atenco, gegen die PRI, die Mexiko viele Jahrzehnte lang regiert hatte. Ihre korrupte Herrschaft wird heute die »perfekte Diktatur« genannt. Peña Nieto sagte danach, diese Proteste von »nicht einmal 132« Demonstranten kümmerten ihn nicht. So entstand die Bewegung »Ich bin der 132.«, die mittlerweile Tausende von Anhängern hat, Studenten vieler Universitäten, aber auch Arbeiter und Künstler, die ihren Unmut über die Kandidatur Peña Nietos zu artikulieren versuchen.

Wir sind strikt dagegen, dass die Massenmedien, voran das Fernsehnetzwerk Televisa, mit aller Macht einen Kandidaten durchdrücken will. Die Medien müssen die Realität abbilden: Wer sind die Kandidaten, welche Programme haben Sie? Und wenn die Wähler für Peña Nieto stimmen wollen, soll das zumindest eine Entscheidung sein, die auf Information beruht, nicht auf bloßer Fernsehpropaganda.

Worum ging es in dem Fall Atenco, von dem Sie gerade sprachen?

Der Fall Atenco datiert aus dem Jahr 2006. Die PRI-Regierung des Bundesstaates Mexiko, der die Hauptstadt Mexiko-Stadt umgibt, wollte hier einen neuen Großflughafen bauen und dafür Bauernland enteignen. Die Bauern haben sich gewehrt, es gab Demonstrationen. Statt zu verhandeln, schickte der damalige Gouverneur Peña Nieto die Polizei. Es kam zu Vergewaltigungen und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die von internationalen Organisationen belegt wurden. Peña Nieto aber betonte, dass er die staatliche Autorität durchgesetzt habe und jederzeit wieder so handeln würde. Das ist eine Parallele zum Massaker von Tlatelolco unter Präsident Díaz Ordáz im Jahre 1968. Die Studentenproteste richten sich daher gegen die Gefahr einer Rückkehr der Repression unter PRI-Herrschaft.

Die Bewegung vereint Studenten privater und staatlicher Hochschulen, was in Mexiko nicht gerade selbstverständlich ist. Denn an den privaten Universitäten studiert üblicherweise der Nachwuchs der Oberschicht ...

In Bezug auf Peña Nieto und die Rolle der Medien ist unsere Kritik deckungsgleich, auch wenn die Studierenden privater und staatlicher Universitäten in der Vergangenheit nicht viel gemein hatten. Die Bestürzung darüber, wie die Medien Wahlkampf für Peña Nieto machen, ist so groß, dass die Forderung nach einer Demokratisierung der Medien endlich zu einer umfassenden geworden ist.

Haben die PRI und Peña Nieto die Proteste an der Universität Iberoamericana denn tatsächlich so unbekümmert hingenommen?

Nein, es gibt sogar einen auf Youtube dokumentierten Aufruf Peña Nietos, ihm die Namen aller zu nennen, die gegen ihn demonstriert haben. Die engagiertesten Köpfe der Bewegung sahen sich ernsten Drohungen - bis hin zu Morddrohungen - ausgesetzt. Die PRI versucht sich zwar ein demokratisches Image zu verpassen, doch gibt es in der Partei eine Kultur der Drohungen und der Gewalt. Dagegen wehren wir uns - mit friedlichen Mitteln. Die fundamentale Forderung nach Demokratisierung der Medien wird im Übrigen über den Wahltag hinaus Bestand haben - unabhängig davon, wer Präsident wird.

In den Wahlumfragen liegt Enrique Peña Nieto seit Monaten weit vorn. Vertrauen Sie diesen Umfragen?

Nein, auch den Umfragen kann man nicht trauen! Viele Institute sind sehr PRI-nah, vor allem, wenn sie im Auftrag von Televisa oder der Zeitung »Milenio« arbeiten. Andere Zeitungen frisieren Meinungsumfragen, um sie als Aufhänger für die eigene Berichterstattung zu nutzen. In »Reforma« und »Universal« ging es für den Mitte-Links-Kandidaten Manuel López Obrador zwischenzeitlich steil aufwärts, das sorgt einfach für Schlagzeilen. Umfragen in Mexiko sind sehr weit von der Realität entfernt, denn sie folgen anderen Interessen. Die öffentliche Meinung bilden sie jedenfalls nicht ab.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 27. Juni 2012


Zurück zur Mexiko-Seite

Zurück zur Homepage