Mexiko stimmte für den Wechsel
Alte Staatspartei PRI kehrt an die Macht zurück *
Die Mexikaner haben am Sonntag für ein »Zurück in die Zukunft« gestimmt und Enrique Peña Nieto zum neuen Präsidenten gewählt. Nach Prognosen erhielt der Kandidat der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) 38 Prozent der Stimmen. Andres Manuel López Obrador fuhr für ein Linksbündnis um die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) rund 31 Prozent ein. Die Kandidatin der regierenden konservativ-katholischen Partei der Nationalen Aktion (PAN), Josefina Vázquez Mota, landete abgeschlagen auf dem dritten Rang mit knapp 26 Prozent. In Mexiko reicht für einen Sieg die einfache Mehrheit im ersten Wahlgang.
Der Präsident der Wahlbehörde, Leonardo Valdés Zurita, wies darauf hin, dass diese Angaben auf Befragungen in 300 Modellbezirken beruhen. Das endgültige Wahlergebnis wird erst am Mittwoch vorliegen. Bestätigt es die Prognosen, gelangt die PRI nach zwölf Jahren zurück an der Macht, die sie 71 Jahre lang, von 1929 bis 2000, uneingeschränkt ausgeübt hatte. Viele Mexikaner verbinden die PRI-Herrschaft mit Wahlbetrug, Korruption und Autoritarismus, aber auch mit einem fürsorglichen Staat und friedlicheren Zeiten. Angesichts der Gewalt des Drogenkrieges haben viele auch deshalb für die PRI gestimmt.
»Ich übernehme mit Emotion, großem Engagement und voller Verantwortung das Mandat, das mir die Mexikaner übertragen haben«, sagte Peña Nieto in einer ersten Ansprache. Er wolle als moderner Präsident offen für Kritik und bereit zum Zuhören sein. »Es ist Zeit, die nationale Aussöhnung zu fördern und nach vorne zu schauen«, bot er seinen Gegnern die Hand. Der unterlegene López Obrador wollte sie aber noch nicht ergreifen. Es gebe noch nicht ausreichend gesicherte Daten. Vor sechs Jahren, als er mutmaßlich um den Wahlsieg betrogen wurde, hatte er die Niederlage nicht akzeptiert und sich selbst zum »legitimen« Präsidenten ausgerufen.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Juli 2012
Knapper Vorsprung
Mexiko: Peña Nieto gewinnt Präsidentenwahl. Endergebnis für Mittwoch erwartet. Linke siegt in der Hauptstadt
Von Torge Löding, Mexiko-Stadt **
Der Kandidat der »fortschrittlichen Bewegung« um die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) für das Präsidentenamt in Mexiko, Andrés Manuel López Obrador (AMLO), will noch nicht aufgeben. »Wir warten ab bis zur Verkündung des offiziellen Ergebnisses. Im Moment ist nichts klar. Unsere Quellen zeigen eine andere Tendenz als die offiziellen«, erklärte er am Sonntag kurz vor Mitternacht (Ortszeit). Kurz zuvor hatte das mexikanische Wahlinstitut IFE die erste Hochrechnung veröffentlicht, nach der Enrique Peña Nieto von der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI), mit knapp 38 Prozent rund fünf Punkte vor »AMLO« lag. Die Kandidatin der regierenden erzklerikalen Partei der Nationalen Aktion (PAN), Josefina Vázquez Mota, lag demnach abgeschlagen auf Platz drei und erkannte ihre Niederlage bereits an.
Das offizielle Endergebnis der Wahl wird erst für Mittwoch erwartet. Klar ist jedoch bereits, daß die zwölfjährige Regierung der Rechtskonservativen in Mexiko beendet ist, wahrscheinlich um den Preis der Rückkehr der PRI in den Regierungspalast. Diese Partei hatte Mexiko nicht nur über sieben Jahrzehnte autoritär regiert, sondern ist auch verantwortlich für das landesweite System der Korruption und Vetternwirtschaft. Ihr Kandidat Peña Nieto präsentierte sich im Wahlkampf als »neues Gesicht«. Oberflächlich betrachtet ist er das tatsächlich: Der 45jährige Anwalt hat nicht nur in den USA studiert, er ist auch bekennender Katholik. Aber davon abgesehen hat er beste Verbindungen zu den alten Machtstrukturen der PRI, die für die blutige Unterdrückung der Studierendenbewegung von 1968 und anderer Oppositioneller, für Korruption und Finanzkrise steht. Als ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates Mexiko (2006–2010) trägt er zudem die Verantwortung für die grausame Niederschlagung der Proteste in Atenco mit zwei Toten, 26 Vergewaltigungsopfern und Hunderten Verletzten im Jahr 2006.
Überschattet wurden die letzten Tage des Wahlkampfes und der Sonntag selbst von Manipulationsvorwürfen. Wenige Tage vor der Wahl hatten 71 Prozent der Befragten in einer Umfrage der linksliberalen Tageszeitung La Jornada erklärt, daß sie Wahlbetrug für möglich hielten. In der mexikanischen Presse berichteten Vertreter der unterlegenen Parteien und unabhängige Beobachter von Stimmenkäufen und Einschüchterungen. Das Wahlinstitut IFE regierte auf diese Vorwürfe ebensowenig wie auf die Beschwerde der PAN gegen die Praxis der PRI, mehr als 100000 Kreditkarten des Finanzunternehmens MONEX zur Geldwäsche für Stimmenkauf benutzt und so das legale Limit der Wahlkampfausgaben überschritten zu haben. Unterdessen berichten Beobachter von zahlreichen Unregelmäßigkeiten im ganzen Land. In Mexiko-Stadt demonstrierten Hunderte Menschen vor dem IFE, weil es in ihren Wahllokalen nicht genügend Stimmzettel gegeben habe.
Der führende Medienkonzern Televisa hatte Peña Nieto bereits seit 2006 als Präsidentschaftskandidat aufgebaut. Auch die anderen großen Medien schlugen sich mit wenigen Ausnahmen auf seine Seite und vermischten Berichterstattung mit Wahlwerbung. Die britische Tageszeitung The Guardian berichtete, daß dafür seit 2006 mehr als 100 Millionen US-Dollar von der PRI an Televisa geflossen sind. »Chancengleichheit hat es in diesem Wahlkampf nicht gegeben«, kritisierte deshalb auch López Obrador in der Wahlnacht.
Zehntausende vor allem junge Demonstranten waren am Sonnabend dem Aufruf der Jugendbewegung »#Yo Soy 132« gefolgt und hatten vor den Studios von Televisa unter dem Motto »Schalte den Fernseher aus und die sozialen Netzwerke ein« gegen die Manipulation durch die Massenmedien demonstriert. Für den gestrigen Montag (Ortszeit) hatte die Bewegung zu weiteren Protesten aufgerufen.
Die Stimmberechtigten in Mexiko wählten am Sonntag neben dem neuen Präsidenten auch 500 Parlamentsabgeordnete, 128 Senatoren, sechs Gouverneure und den Regierungschef von Mexiko-Stadt. Insgesamt wurden 2127 politische Ämter vergeben. Auch für diese Wahlen lagen am Montag noch keine Endergebnisse vor. Der Trend deutete jedoch auf einen haushohen Sieg des progressiven Kandidaten Miguel Angel Mancera (PRD) in Mexiko-Stadt hin. Dort dürfte er rund 68 Prozent der Stimmen erhalten haben. Auch im Bundesstaat Morelos liegt der PRD-Vertreter, Graco Ramirez, vorn, während die PRI-Anwärter in Yucatán, Jalisco und Chiapas führen. In Guanajuato scheint der PAN-Kandidat das Rennen zu machen, in Tabasco liegen die von PRD und PRI gleichauf.
** Der Autor leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko-Stadt
Aus: junge Welt, Dienstag, 3. Juli 2012
Enrique Peña Nieto: Der Glatte ***
Von Enrique Peña Nieto existieren
zwei Bilder in der Öffentlichkeit.
Das eine zeigt ihn als jungen, gut
aussehenden, telegenen Politiker.
Seine Vermählung mit der bekannten
Seifenoper-Darstellerin
Angélica Rivera wurde von Televisa
als Märchenhochzeit inszeniert.
Überhaupt: Televisa, der marktbeherrschende
Fernsehkonzern
Mexikos, unterstützt Peña Nietos
Karriere seit Jahren – nicht immer
mit erlaubten Mitteln.
Bereits mit 18 Jahren hatte der
Spross einer wohlhabenden mexikanischen
Familie beschlossen,
Politiker zu werden. Er fand einflussreiche
Förderer in seiner Partei,
der Partei der Institutionalisierten
Revolution (PRI). Die
Grundvoraussetzung in dem von
Klientelismus geprägten politischen
System Mexikos. Als er 2005
im Alter von 38 Jahren in den
Wahlkampf zog, um Gouverneur
des Bundesstaates Mexiko zu werden,
war klar, dass auf diesem
Posten nicht Schluss sein sollte.
Die Partei, die fünf Jahre zuvor
nach 71-jähriger Herrschaft aus
dem Präsidentenpalast gewählt
worden war, brauchte ein neues
Image. Und Peña Nieto sollte das
neue Gesicht einer »neuen« PRI
werden, die nichts mehr gemein
hat mit Wahlbetrug, Vetternwirtschaft
und jenem autoritären Regierungsstil,
der die PRI-Herrschaft
prägte und die der peruanische
Nobelpreisträger Mario Vargas
Llosa als »perfekte Diktatur«
bezeichnet hatte.
Doch es gibt noch dieses andere
Bild, das hinter dem jugendlichen
Image auftaucht – das Bild eines
Mannes ohne Eigenschaften. Bei
öffentlichen Auftritten wirkt Peña
Nieto oft hölzern, nicht festlegbar,
vage. Auch hat er Probleme, spontan
zu reagieren. Im Wahlkampf
erlaubte er sich einige Patzer. In
einem Interview wusste er weder
die Höhe des Mindestlohns noch
die Preise von Grundnahrungsmitteln,
was eine Debatte um seine
Eignung als Präsident entfachte.
Als Gouverneur ordnete er
2006 den Polizeiüberfall in Atenco
an, bei dem zwei Menschen getötet,
Dutzende Frauen gefoltert und
missbraucht wurden. In vielen
Ländern bliebe ein Mann wie dieser
ohne Chancen, Präsident zu
werden. Nicht so in Mexiko. Dort
wurde er am Sonntag gewählt.
Andreas Knobloch
*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Juli 2012
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