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Bauern gegen Konzernmacht

Ein Besuch bei den Verteidigern der Maisvielfalt im Süden Mexikos

Von Knut Henkel *

Mais ist in Mexiko ein Grundnahrungsmittel – und Teil der Schöpfungsgeschichte der Maya. Deshalb verteidigen viele Bauern ihr Saatgut vehement gegen die Begehrlichkeiten von Konzernen.

»Unser Mais ist Teil der nationalen Identität, weitaus wichtiger als der Tequila«, sagt Everardo Lovera Gómez und deutet auf eine Regalwand mit Plastikboxen, in denen sich Maiskörner in verschiedenen Farben und Formen befinden. Violette, fast schwarze, längliche, breite, dicke und dünne, gelbe und fast weiße. Mais hat in Mexiko, wo die Wiege dieser Kulturpflanze steht, viele Charakteristika. Die meisten kennt Everardo Lovera Gómez, Präsident der Vereinigung der Maisbauern des Bundesstaates Mexiko. Der gehören rund 700 Bauern an, ihr Sitz befindet sich in Atlacomulco, einer Provinzstadt im Bundessstaat Mexiko, die rund eine Fahrtstunde von Mexiko Stadt entfernt liegt. Atlacomulco liegt mitten in einer Anbauregion, wo Mais, Bohnen und Kürbis gepflanzt werden – die drei traditionellen Agrarprodukte Mexikos.

Die sind den Bauern um Everardo Lovera Gómez wichtig und deshalb unterhalten sie an ihrem Zentrum nicht nur eine Saatgutbank, aus der alle Mitglieder Körner in kleineren und manchmal auch in größeren Mengen beziehen können. Sie arbeiten auch mit dem Nationalen Forschungsinstitut für Wald-, Agrar- und Viehwirtschaft zusammen. »Wir wollen das lokale Saatgut verbessern und die Erträge steigern«, umreißt Lovera Gómez ein Ziel der Bauernvereinigung. Dazu werden Versuchsfelder wie am »Rancho Los Leones« angelegt, um mit Saatgut, aber auch mit neuen Produkten zu experimentieren.

»Hier haben wir ein Granulat ausgebracht, das Wasser speichert und den Mais versorgen soll, falls der Regen ausbleibt«, erklärt der Präsident der Bauernorganisation. Rund um Atlacomulco gab es in den letzten Jahren immer wieder trockene Jahre. So auch im letzten Frühjahr, weshalb der Mais erst im Mai statt im März ausgesät wurde. »Im trockenen Boden keimen die dicksten Körner nicht«, so Lovera Gómez lapidar. Mit dem wasserspeichernden Granulat wollen die Bauern sich weniger abhängig vom unberechenbaren Regen machen und hoffen, die Ernten ergiebiger zu machen.

Doch bei der letzten Ernte Anfang Dezember konnten Everardo Lovera Gómez und der ihn begleitende Biologe Dr. Edgar Quero noch keinen großen Unterschied feststellen. »Da es in der zweiten Jahreshälfte kräftig geregnet hatte, waren die Maiskolben auf den unterschiedlichen Feldabschnitten gleich groß«, so Quero. Wir müssen also weiter forschen und dann sehen ob das Granulat letztlich höhere Erträgen bringt.« Das ist das Ziel und während im Norden Mexikos genetisch modifiziertes Saatgut ausgebracht wird, ist das im Zentrum und Süden des Landes undenkbar. »Wir wehren uns gegen genmanipulierten Mais und bewahren unser Saatgut«, betont Lovera Gómez und deutet auf die Saatgutsäcke, die in der geräumigen Halle seiner Organisation lagern und unter den Bauern ausgetauscht werden.

Das ist auch in Españita, im benachbarten Bundesstaat Tlaxcala, so. Das kleine Dorf ist landesweit bekannt geworden, weil hier der Widerstand gegen die Ausdehnung des Genmais in Mexiko gut organisiert ist. »Vicente Guerrero – Agroecológico«, steht auf einem Schild am Straßenrand und genau so ticken viele der rund 120 Familien, die hier eine eigene Parzelle bewirtschaften. Nicht mehr als 1200 Bewohner hat das Dorf, welches zwischen sanften Hügelketten eingebettet liegt und wo die Böden recht schwer und lehmigen sind. »Das mag der Mais«, lacht Bartalomé Ledesma Castañeda, ein 65-jähriger kräftiger Bauer mit Cowboyhut und einem von der Sonne gegerbten bronzefarbenen Gesicht. Für ihn ist klar, dass auf sein Feld nur natürliches Düngemittel und Saatgut kommen. Seine Parzelle ist mit Grünstreifen von Gräsern und Wildblumen eingefasst, die eine natürliche Barriere gegen Schädlinge bilden.

Für diese alternative Anbaumethoden tragen Bauern wie Castañeda und Agrarexperte Panfilo Hernández die Verantwortung. »Wir arbeiten in der Grupo Vicente Guerrero gemeinsam für eine Landwirtschaft, die kleinbäuerlich, traditionell und gesund ist«, erläutert der kleingewachsene Agrarexperte Hernández das Konzept der Gruppe. Die setzt auf herkömmliche Anbauverfahren und traditionelles Saatgut.

So hat Castañeda Bohnen und Kürbisse zwischen die Maispflanzen gesät. »Bohnen bringen der Erde Nitrat und die großen Kürbisblätter bedecken den Boden. Sie halten ihn fest. Für die Kürbiskerne kriege ich auf dem Markt auch noch einen guten Preis«, erklärt Castañeda das Anbausystem, Milpa genannt, und schiebt den Hut kurz in den Nacken, um den Blick über das Feld schweifen zu lassen. Die Milpa kennt in Mexiko jedes Kind, sie hat Tradition, steht für die Vielfalt im Anbau und schützt die Umwelt.

Dabei ist Tlaxcala eine der Schatzkammern der biologischen Vielfalt. Mindestens acht der 59 Maissorten Mexikos werden in dem kleinen Bundesstaat angebaut und Hunderte von lokal angepassten Sorten sind in dem Agrarstaat registriert worden. »Diesen Reichtum wollen wir erhalten« so Hernández. Dazu gehört der violett-schwarze Atole-Mais von Bartalomé Ledesma Castañeda. Der dient zur Zubereitung eines Nationalgerichts und das Saatgut hat Castaneda gegen seinen großkörnigen hellgelben Mais getauscht. »Auf einer unserer Saatgutmessen«, erklärt Panfilo Hernández.

Der berät seit Mitte der 1990er Jahre Bauern, entwickelt Konzepte und organisiert die Saatgutmessen. Da haben die Bauern ein- bis zweimal im Jahr die Gelegenheit, ihr Saatgut zu tauschen, Anbaupraktiken weiterzugeben und gemeinsame Aktionen zu koordinieren. »Wir wollen nicht von einigen wenigen Saatgutlieferanten abhängig werden und wir wollen keinen Mais, der gentechnisch verändert wurde«, betonen Hernández und Bauer Castañeda unisono.

Das ist alles andere als einfach, denn genmanipulierter Mais ist in Mexiko auf dem Vormarsch. Die kommerzielle Aussaat haben die drei US-Saatgutkonzerne Monsanto, DuPont-Pioneer und Dow längst beantragt und dabei alles auf eine Karte gesetzt. »Gleich auf der gesamten bewässerten Anbaufläche in den beiden im Nordwesten beziehungsweise im Nordosten liegenden Bundesstaaten Sinaloa und Tamaulipas wollen die drei Multis Genmais aussäen«, so Ana de Ita vom »Netzwerk zur Verteidigung des Mais«.

Mexiko droht mit dem Einzug des genetisch modifizierten Saatguts der Verlust seiner einzigartigen Maisvielfalt. Zwischen Ciudad Juárez im Norden und Tapachula im Süden des Landes steht schließlich die Wiege des Mais. Dort wurde aus einem Süßgras durch unzählige Kreuzungen eine der fünf für die Welternährung wichtigsten Kulturpflanzen geschaffen. Die sehen Experten wie Bauern gefährdet. »Durch den Pollenflug droht die Verunreinigung vieler Sorten und damit unseres Essens«, so Hernández.

Mais gehört zu fast jeder mexikanischen Mahlzeit, denn Tacos, Tortillas, Enchiladas oder Nachos werden in aller Regel aus Maismehl hergestellt. Der Mais dafür stammt meist aus dem Süden Mexikos, wo der kleinbäuerliche Anbau dominiert. Im Norden des Landes ist der kommerzielle Genmaisanbau wie im US-Bundesstaat Iowa hingegen kaum mehr aufzuhalten. Dort stehen große Flächen bewässerten Ackerlandes zur Verfügung, während im Süden und im Zentrum Mexikos der Anbau kleinteiliger vonstatten geht.

Vor allem im Süden hat sich der Widerstand gegen die Verunreinigung der traditionellen Sorten und ihren Erhalt formiert. »Die Wertschätzung für das Eigene ist längst nicht überall in der Politik so ausgeprägt wie bei den Bauern«, ärgert sich Panfilo Hernández. Selbst in Tlaxcala, einem Bundesstaat, der in erster Linie von der Landwirtschaft lebt, war es alles andere als einfach, Maßnahmen zum Schutz der bunten Sorten durchzusetzen. »Wir haben früh angefangen, Diskussionsveranstaltungen zu organisieren, haben Abgeordnete eingeladen, um sie für unser Projekt zu sensibilisieren, und Druck entwickelt.«

Eine erfolgreiche Strategie, denn es gelang den Bauern, ihre gewählten Vertreter in die Pflicht zu nehmen und sie für die Zustimmung zu einem bisher einzigartigen Gesetzesprojekt zu gewinnen: »Wir haben ein lokales Gesetz für den Schutz der Maisvielfalt auf den Weg gebracht und so ein Zeichen gesetzt«, erklärt Panfilo Hernández mit stolzer Stimme. Mit dem Landwirtschaftliche Gesetz zur Förderung und zum Schutz des Maises als Kulturerbe in seiner Artenvielfalt und als Lebensmittel hat der Bundesstaat Tlaxcala lokales Recht gegen Bundesrecht gestellt.

Ein Achtungserfolg, aber nicht mehr. De facto ist das nationale Gesetz zur biologischen Sicherheit und genveränderten Organismen, das sogenannte Monsanto-Gesetz, maßgeblich und folglich entscheiden die Bundesbehörden, wo Genmais ausgesät werden darf. Und wo nicht – schließlich gibt es auch Regionen, die als gentechnikfrei ausgewiesen sind. Dort zum Beispiel, wo zertifizierter ökologischer Landbau betrieben wird. Deshalb wird in Bauernorganisation wie in Españita bereits über die Umstellung auf Bio-Anbau diskutiert, so Maisbauer Bartalomé Ledesma Castañeda. Er gehört zu den 40 Bauern im Dorf, die sich auf die Umstellung zum organischen Landbau vorbereiten. Ein Ansatz, von dem auch Everardo Lovera Gómez in Atlacomulco schon gehört hat.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. April 2014


»Das ist alles andere als nachhaltig«

Greenpeace-Koordinatorin Aleira Lara Galicia über die Saatgut-Industrie **

Weltweit wird immer argumentiert, dass der genetisch modifizierte Mais der großen US-Hersteller wie Monsanto deutlich höhere Erträge bringt und resistenter gegen Schädlinge ist. Wie sehen die Anbauergebnisse aus?

Diese Darstellung ist ein Mythos. In den USA wurden wir gerade Zeuge, dass das gentechnisch veränderte Saatgut nicht resistenter gegen Klimaveränderungen ist. Dort sind die Ernten aufgrund der Trockenheit eingebrochen und es liegen auch keine Zahlen vor, dass Genmais höhere Erträge produziert. Es ist wahr, dass US-Produzenten mehr produzieren als ein Kleinbauer in Oaxaca auf zwei Hektar ohne Bewässerung. Aber vergleicht man die Erträge von Genmais mit normalem Saatgut bei gleichen Produktionsbedingungen, dann sind die Erträge nahezu gleich. In einigen Regionen Europas sind sie mit konventionellem Saatgut sogar etwas höher.

Mais ist laut der mexikanischen Regierung ein Kulturgut. Warum wird so wenig für den Erhalt getan?

Die mexikanische Regierung verhält sich etwas schizophren, denn auf der einen Seite wird auf die Maisvielfalt und die mexikanische Küche hingewiesen, auf der anderen Seite wird dem Genmais die Tür geöffnet.

Wo liegen die Zentren des Widerstandes gegen Genmais?

In den Bundesstaaten Tlaxcala, Oaxaca, aber auch in Puebla. In Chihuhua gibt es Organisationen, mit denen wir arbeiten. Dort haben wir auch eine Kontaminierung traditioneller Maissorten nachgewiesen. Eine einzelne Maispflanze kann rund tausend andere kontaminieren.

Was bedeutet die Durchsetzung des agroindustriellen Anbaumodells für den Norden des Landes und der damit verbundene und beantragte Einsatz von Genmais?

Der Genmais soll in Monokulturen unter Einsatz von Pestiziden, Düngemitteln und unter kontinuierlicher Bewässerung angebaut werden. Derzeit liegen 14 Anträge für den großflächigen Anbau vor. Das ist alles andere als nachhaltig, denn aufgrund des Klimawandels wird das Wasser im Norden zusehends knapp. Zudem machen Kältephasen den Pflanzen zu schaffen. Darauf sind die gentechnisch modifizierten Maissorten nicht ausgerichtet.

Droht der Ausbau des agroindustriellen Modells auch im Süden des Landes?

Ja, das macht uns merklich Sorgen. Es gibt Indizien, dass große Agrarunternehmen sich nach Süden orientieren, weil dort ausreichend Wasser zur Verfügung steht. Das ist im Norden eben nicht mehr der Fall.

Gibt es Alternativen?

Wir versuchen zu zeigen, dass eine ökologische Landwirtschaft eine echte Alternative ist und ökonomisch durchaus lebensfähig. Das ist derzeit unser wichtigstes Projekt und dabei bemühen wir uns, die Konsumenten aufzuklären.

Interview: Knut Henkel

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. April 2014


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