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Kein Kompromiss in Chisinau

Moldova: Präsidentenwahl vertagt, Parlamentsauflösung droht

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die für kommenden Freitag (23. Okt.) geplante Präsidentenwahl in Moldova ist erst mal abgeblasen: Für das Amt des Staatschefs, der nicht direkt, sondern vom Parlament gewählt wird, müssen sich mindestens zwei Bewerber finden. Bis zum Auslaufen der Frist am Sonntagabend (18. Okt.) aber hatte sich nur einer registrieren lassen.

Der einzige Kandidat ist Marian Lupu, Vorsitzender der Demokratischen Partei Moldovas. Sie gehört zur »Allianz für europäische Integration«, dem Regierungsbündnis von vier Parteien, die bei den Parlamentswahlen Ende Juli die Mehrheit einfuhren und 53 der insgesamt 101 Sitze in der Nationalversammlung bekamen. Der Staatschef aber muss mit Dreifünftelmehrheit gewählt werden: Er braucht also 61 Stimmen. Lupus Chancen, sich die fehlenden acht von Abgeordneten der Partei der Kommunisten Moldovas (PKRM) zu besorgen, standen schon vor der Absage der Abstimmung im Parlament miserabel. Der 43-jährige ehemalige Parlamentsvorsitzende war nämlich fast vier Jahre lang die Nummer 2 der PKRM. Erst Anfang Juni, kurz vor der Parlamentswahl, war er zur damaligen Opposition übergelaufen.

Zwar glaubten manche, die Fahnenflucht sei mit Teilen der Parteiführung abgesprochen gewesen: Lupu habe in deren Auftrag eine pseudo-oppositionelle Partei gegründet, um Wähler aufzufangen, die mit den Kommunisten im Allgemeinen und mit Parteichef Wladimir Woronin, der in den vergangenen acht Jahren Präsident Moldovas war, unzufrieden sind. Auch Lupu selbst erklärte seine politische Kehrtwende mit Unstimmigkeiten zwischen ihm und Woronin. Doch ging es wohl weniger um politische Differenzen als um gekränkte Eitelkeit: Der extrem ehrgeizige Lupu hatte übel vermerkt, dass Woronin nicht ihn, sondern die damalige Premierministerin Sinaida Greceanii als Nachfolgerin ins Präsidentenamt hieven wollte, das er selbst nach zwei Amtszeiten räumen musste.

Doch bei den ersten Parlamentswahlen dieses Jahres, Anfang April, fehlte der PKRM - wiewohl nach wie vor stärkste Partei - eine einzige Abgeordnetenstimme, um Greceanii zur Präsidentin zu wählen. Alles Werben war vergebens: Um keinen ihrer Abgeordneten in Versuchung zu führen, boykottierte die Opposition die Abstimmung geschlossen, zumal es nach der Parlamentswahl zu Unruhen wegen vermeintlicher Unfairness gekommen war. Nach drei Fehlversuchen musste Woronin als amtierender Staatschef das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen.

Die Wahlwiederholung im Juli beendete die Krise nicht, sondern vertiefte sie weiter. Keines der beiden Lager bekam die Mehrheit, die zur Wahl eines Präsidenten erforderlich ist. Wohl aber konnte die vormalige Opposition dank Lupus Beitritt zur »Allianz für europäische Integration« eine Regierung unter dem Liberalen Vlad Filat bilden. Woronin trat am 11. September als amtierender Präsident zurück, weil er den neuen Regierungskurs nicht billigte. Binnen zwei Monaten muss laut Verfassung ein neuer Staatschef gewählt werden. Aber nichts deutet darauf hin, dass neben Lupu ein weiterer Kandidat ins Rennen geht. Zwar versucht sich der Überläufer als Vermittler zwischen westlich orientierten, prorumänischen Nationalisten und seinen ehemaligen Genossen darzustellen, doch die verzeihen ihm seinen Verrat nicht. Das heißt, dass der Parlamentsvorsitzende Mihai Ghimpu als derzeit amtierender Präsident spätestens im November das Parlament erneut auflösen müsste. Anfang 2010 würden die Moldauer dann zum dritten Mal in weniger als einem Jahr an die Urnen gebeten.

Eben dieser dritte Wahlgang, glauben Kommunisten wie auch Liberale, werde die Machtfrage endlich klären. Und damit auch den künftigen außenpolitischen Kurs Moldovas. »Russland oder Europa« heißt die vermeintliche Alternative. Zwar versuchte Woronin, zu beiden gleiche Nähe - oder gleichen Abstand - zu halten, doch das gelang nicht. Der nach wie vor ungelöste Konflikt um die Dnjestr-Republik, das vorwiegend von Ukrainern und Russen bewohnte Gebiet, das sich 1992 vom eigentlichen Moldova trennte, ist nur die Spitze des Eisbergs von Problemen. Moldova, ohnehin am Ende europäischer Ranglisten stehend, erwartet in diesem Jahr einen wirtschaftlichen Einbruch um 9 Prozent.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Oktober 2009


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