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Ring frei zur nächsten Runde

Zum dritten Mal in weniger als zwei Jahren wählt die Republik Moldova ein neues Parlament / Von einer "Zeitenwende" ist zwischen Prut und Dnjestr nichts zu bemerken

Von Detlef D. Pries *

Schon wieder sind die Bürger der Republik Moldova aufgerufen, über die Zusammensetzung ihres Parlaments zu entscheiden. Allerdings ist durchaus nicht sicher, dass aus dieser dritten Abstimmung innerhalb von 19 Monaten eine stabile Regierung und ein ordentlich gewähltes Staatsoberhaupt hervorgehen.

Eine »Zeitenwende« und den »Sieg der Demokratie« bejubelten die Gewinner der Parlamentswahlen im Juli vor einem Jahr: Der vormaligen Opposition war es gelungen, der Partei der Kommunisten der Republik Moldova (PCRM), die seit 2001 Regierung und Staatsoberhaupt gestellt hatte, die Mehrheit im Parlament abzunehmen.

Knapp vier Monate zuvor, im April 2009, hatte die PCRM bei den turnusgemäßen Wahlen noch 60 der 101 Abgeordnetensitze gewonnen. Proteste wegen vermeintlichen Wahlbetrugs arteten in den Tagen danach in gewaltsam ausgetragene Tumulte aus, Parlamentsgebäude und Präsidentensitz wurden verwüstet, zwei Menschen kamen zu Tode. Der Streit um Hintergründe und Drahtzieher der Ausschreitungen dauert bis heute.

Die »demokratischen« Wahlverlierer jedenfalls verhinderten daraufhin die Wahl eines neuen Präsidenten, die eine Dreifünftelmehrheit (61 Stimmen) in der Volksversammlung erfordert hätte. Nach zwei vergeblichen Abstimmungen musste das Parlament laut Verfassung aufgelöst werden, Neuwahlen wurden für Juli 2009 angesetzt.

Zwar ging die PCRM daraus abermals als stärkste Partei mit 48 Mandaten hervor, doch da sich die vier anderen Parlamentsparteien zu einer Allianz für europäische Integration mit 53 Abgeordneten verbündeten, verdrängten sie die Kommunisten aus der Regierung. Regierungschef wurde Vlad Filat, der Chef der Liberaldemokraten (PLDM), Parlamentspräsident Mihai Ghimpu, Vorsitzender der Liberalen Partei (PL), Staatspräsident sollte Marian Lupu werden, der erst kurz zuvor von der PCRM zur Demokratischen Partei (PD) übergelaufen war.

Lupus Wahl im Parlament vereitelten jedoch dessen ehemalige Genossen, indem sie sich für den Boykott nach der Aprilwahl revanchierten. Die Allianz allein verfügte nicht über die erforderlichen 61 Stimmen, so dass auch diese Präsidentenwahl misslang. Die Volksversammlung hätte abermals aufgelöst werden müssen, was laut Verfassung aber nicht zwei Mal innerhalb eines Jahres möglich war. Ein Versuch, das Grundgesetz durch ein Referendum zu ändern und das Staatsoberhaupt wieder direkt durch das Volk bestimmen zu lassen, scheiterte im September dieses Jahres an mangelnder Beteiligung der Wähler. So kommt es am Sonntag zur dritten Parlamentswahl innerhalb von 19 Monaten.

Von einer »Zeitenwende« nach der Regierungsübernahme der Allianz für europäische Integration sprechen inzwischen jedoch allenfalls noch die Regierenden selbst. Moldova gilt nach wie vor als das ärmste Land Europas. Die Arbeitslosigkeit hat derartige Ausmaße angenommen, dass rund ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung – geschätzt werden 600 000 bis eine Million Menschen – ihr Glück im Ausland versuchen, in Russland oder in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Frankreich. Dank ihren Überweisungen halten sich die Zurückgebliebenen, überwiegend Kinder und Alte, notdürftig über Wasser.

Die Regierungsparteien und ihre Führer haben Aufsehen vor allem durch persönliche Rivalitäten und umstrittene Erklärungen erregt. Parlamentschef Mihai Ghimpu, der als geschäftsführendes Staatsoberhaupt agiert, bezeichnet sich selbst als Rumänen und wünscht sich eine »Wiedervereinigung«. Diese Position ist weder in der Regierungskoalition noch in der Bevölkerung mehrheitsfähig. Wohl aber wünschen sich 70 Prozent der Moldauer laut Umfragen einen Beitritt zur EU. Den versprach die Allianz schneller herbeiführen zu können als die PCRM, wurde jedoch durch Erklärungen aus EU-Kreisen enttäuscht, wonach eine weitere Osterweiterung der Union in den nächsten zehn Jahren nicht möglich sei. Ghimpu argumentierte auch, die EU habe seit 1990 keinen Staat mehr aufgenommen, der nicht zuvor NATO-Mitglied geworden sei. Das wurde als Aufruf zur Aufgabe der in der Verfassung verankerten Neutralität Moldovas aufgefasst. Dadurch wie auch durch die Nichtteilnahme moldauischer Militärs an der Moskauer Parade zum 65. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg verschlechterte sich das Verhältnis zu Russland. Und der Lösung des Konflikts mit der Dnjestr-Republik war dies alles ebenfalls nicht dienlich.

Die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung sei unter der »prowestlichen« Regierung genauso groß wie unter den Kommunisten, bekannte der Politologe Vlad Kuklinski in einem dpa-Gespräch. Die Wähler hätten den »Krieg zwischen den Parteien« einfach satt. Alle Umfragen besagen indes, dass die Partei der Kommunisten unter dem ehemaligen Staatspräsidenten Wladimir Woronin wieder mit den meisten Stimmen rechnen kann. »Moldova wählt den Sieg« ist ihre Wahllosung. Doch eine eigene Mehrheit wird die PCRM – Mitglied der Europäischen Linken – nicht gewinnen. Fragt sich, ob sie diesmal Koalitionspartner findet oder ob sich wieder alle gegen sie verbünden. Nicht ausgeschlossen, dass die Wahl lediglich eine neue Runde des politischen Machtkampfs einläutet.

Lexikon: Moldova, Moldau, Moldawien?

Die Moldova ist ein Nebenfluss des Sereth im Nordosten Rumäniens. Ebenso wie der Nebenfluss der Elbe, der tschechisch Vltava heißt, wird er im Deutschen Moldau genannt.

Nach diesem Fluss hieß das im 14. Jahrhundert entstandene Fürstentum Moldau (Principatul Moldovei), das sich von den Karpaten bis an den Dnjestr und ans Schwarze Meer erstreckte. Es umfasste heutige rumänische, moldauische und ukrainische Gebiete. Sowohl Rumänien als auch die Republik Moldova sehen sich als Nachfolgestaaten dieses Fürstentums. Das Gebiet der von Moldova abtrünnigen »Moldauischen Dnjestr-Republik« – östlich des Dnjestr – gehörte nicht zum Principat, stand aber oft unter dessen Einfluss.

Das Fürstentum Moldau war seit Beginn des 16. Jahrhunderts ein Vasallenstaat des Osmanischen Reiches. 1812 mussten die Ottomanen den östlichen Teil jedoch an das zaristische Russland abtreten, der westliche Teil vereinigte sich 1859 mit der Walachei zum späteren Rumänien. Die Zugehörigkeit des Ostteils wechselte in den folgenden Jahrzehnten mehrfach. 1918 bis 1940 gehörte das Gebiet zwischen Dnjestr (Nistru) und Prut zu Rumänien, im Gefolge des Molotow-Ribbentrop-Paktes wurde es von der Sowjetunion vereinnahmt, 1941 bis 1944 wiederum Rumänien zugeschlagen. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1991 gehörte es als Moldauische SSR abermals zur Sowjetunion. Allmählich setzte sich allerdings im Deutschen die aus dem Russischen abgeleitete Bezeichnung Moldawische SSR durch. Entsprechend wurde die 1991 ausgerufene unabhängige »Republica Moldova« hierzulande meist Moldawien genannt. Erst in jüngerer Zeit verwenden die Medien – wie auch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik – wieder die deutsche Bezeichnung Republik Moldau. Parallel dazu wird, an die Originalsprache angelehnt, der Name Republik Moldova benutzt.
ND

Die Republik Moldova erklärte am 27. August 1991 ihre Unabhängigkeit. Auf einem Territorium von 33 843 Quadratkilometern (etwas größer als das Land Brandenburg) leben etwa 4 Millionen Einwohner, von denen zwei Drittel als Moldauer gelten. In der abtrünnigen »Moldauischen Dnjestr-Republik« (PMR), die 12 Prozent der Gesamtfläche einnimmt, sind dagegen zwei Drittel der knapp 600 000 Einwohner Ukrainer und Russen. Als nationalistische Kräfte in Moldova 1991/92 auf eine Vereinigung mit Rumänien drängten, hatte sich das Gebiet östlich des Dnjestr in einem blutigen Konflikt vom Hauptteil des Landes abgespalten und für unabhängig erklärt. Die Unabhängigkeit wird jedoch von keinem anderen Staat anerkannt. Versuche der Lösung des Konflikts im sogenannten 5+2-Format (Moldova und die Dnjestr-Republik sind die Streitparteien, die OSZE, Russland und die Ukraine gelten als Vermittler, die EU und die USA als Beobachter) haben bisher nicht zu greifbaren Resultaten geführt.

Abspaltungsbestrebungen der mit den Türken verwandten Gagausen wurden 1994 durch die Anerkennung der Autonomen territorialen Einheit Gagausien beigelegt.



* Aus: Neues Deutschland, 27. November 2010


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