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Spannungen am Dnjestr wachsen

Bedrohungsszenarien werden in Russland, der Ukraine und der Republik Moldau entworfen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der Bürgerkrieg im Osten der Ukraine ruft auch auf beiden Seiten ihrer westlichen Grenze Interventionsängste hervor.

Tiefsten Frieden atmet die Flusslandschaft mit den lichten Auenwäldern. Nur die Maschinengewehrnester, eher schlecht als recht mit Weidengestrüpp getarnt, stören die Idylle. Und seit Ende Juli auch die Bagger: Die Ukraine hebt einen 3,5 Meter breiten und drei Meter tiefen Graben entlang der 450 Kilometer langen Grenze zur »Moldauischen Dnjestr-Republik« (Transnistrien) aus.

Der Konflikt um die überwiegend von Russen und Ukrainern besiedelte Region am östlichen Dnjestr-Ufer, die sich 1992 von der mehrheitlich romanischsprachigen Republik Moldau abspaltete, als die sich Rumänien anzuschließen drohte, zählt zu den »eingefrorenen«. Seit dem Beitritt der Krim zu Russland im März beginnt er jedoch aufzutauen. Kiew fürchtet, Moskau könnte die gesamte Südostukraine besetzen, um die Versorgung der Schwarzmeerhalbinsel zu erleichtern und einen Korridor zu den Brüdern in der Dnjestr-Republik zu schlagen, die keine gemeinsame Grenze mit Russland hat, sondern von der Republik Moldau und der Ukraine umschlossen wird. Kurz nach dem Referendum auf der Krim hatte auch die Dnjestr-Republik um Aufnahme in die Russische Föderation nachgesucht und sich dabei auf Ergebnisse eines Referendums 2006 berufen.

Schon im April verfügte daher die Regierung in Kiew ein Einreiseverbot für männliche Bewohner der von keinem anderen Staat anerkannten Dnjestr-Republik. Inzwischen lässt die Ukraine auch keine Güter mehr passieren, die dort für Russland produziert werden. Und zusammen mit den Baggern für den Grenzwall rückten ukrainische Truppen ins Grenzgebiet ein. Nachdem die Ukraine und die Republik Moldau Ende Juni Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet haben, erörterte der Senat der USA Möglichkeiten, die Ukraine, Georgien und Moldau zu einem Militärbündnis ohne NATO-Mitgliedschaft zu vereinen, schrieb die Moskauer »Nesawissimaja Gaseta« Mitte Juli. Wichtigste Aufgabe der potenziellen Partner sei es, die Republik Moldau bei der Eroberung des östlichen Dnjestr-Ufers zu unterstützen, Washington würde mit Waffen und Logistik helfen.

Bauern wollen bereits Scharfschützen und Panzerfahrzeuge auf ukrainischer Seite gesichtet haben. Und Jewgeni Schewtschuk, gewählter Präsident Transnistriens, warnte im russischen Fernsehen, die Vorbereitungen für eine ukrainische Intervention liefen »auf Hochtouren«. Dann indes droht, was in der Ostukraine bisher vermieden wurde: Krieg zweier früherer Bruderrepubliken – wie der um Südossetien im Jahre 2008. Moskau sah sich damals auch deshalb zum Eingreifen genötigt, weil 80 Prozent der Südosseten einen russischen Pass besaßen, ähnlich wie in der Dnjestr-Republik. Und zu deren Schutz stehen russische Truppen mit Mandat der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS bereit. Ihrer Mission hatten 1992 sowohl die Moldau als auch die Ukraine zugestimmt. Die vertraglich vereinbarte Versorgung dieser Militärs hat Kiew schon eingestellt. Nach russischen Medienberichten will die Ukraine auch den Stationierungsvertrag selbst kündigen. In einst sowjetischen Depots auf dem Gebiet Transnistriens sollen jedoch über 21 000 Tonnen Patronen, Granaten und Raketen lagern.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 5. August 2014


Die NATO feilt am Feindbild Russland

Forderung nach Aufrüstung

Von Olaf Standke **


Vier Wochen vor dem NATO-Gipfel in Wales lässt Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen keine Gelegenheit aus, am alten neuen Feindbild des weltweit größten Militärbündnisses zu feilen. In einem Interview hat er jetzt erneut von der »russischen Aggression« gesprochen, die eine »neue Sicherheitssituation in Europa geschaffen« habe und ein »Alarmsignal« gewesen sei. Als Reaktion auf Moskaus andauernde Unterstützung der Aufständischen in der Ostukraine kündigte er ausgeweitete Manöver wie die in der zweiten Septemberhälfte im Westen des Landes geplante Übung »Rapid Trident« und die Ausarbeitung neuer »Verteidigungspläne« an. US-General Philip Breedlove, als Oberbefehlshaber (Supreme Allied Commander Europe) der eigentliche Chef der Allianz, hat die drei Hauptfragen so formuliert: Haben wir die Stützpunkte an den richtigen Orten, haben unsere Truppen die richtige Stärke, reichen unsere Militärausgaben aus?

Und er hat auch schon über Sofortmaßnahmen hinaus – in den baltischen Staaten etwa wurden US- und kanadische Bodentruppen stationiert, mehrere Mitgliedstaaten haben die Luftraumüberwachung ausgedehnt und multinationale Marineverbände proben vor der Küste den Ernstfall – Antworten für den Gipfel der 28 Staats- und Regierungschef vorgegeben. Es gehe vor allem darum, die militärischen Fähigkeiten zu verbessern, rasch zu reagieren. Die Schnelle Eingreiftruppe (NRF) leiste zwar hervorragende Arbeit, aber ihre Reaktionszeit betrage bisher 30, 60 oder mehr Tage. Viel zu lange. Teile von ihr würden künftig in zwei, drei und fünf Tagen reagieren müssen. Zugleich werde man sich die Standorte der diversen Hauptquartiere genau anschauen.

So erwägt die NATO die Errichtung eines Stützpunktes in Osteuropa, größer als alle bisherigen, um die Infrastruktur für die Eingreiftruppe näher an Russlands Grenzen zu verlagern. Favorit sei die an der Ostseeküste liegende polnische Hafenstadt Szczecin. Hier sollen u.a. Rüstung, Munition und Nahrungsgüter untergebracht werden, um die Versorgung von Kampfeinheiten des Bündnisses binnen kürzester Frist zu ermöglichen.

Rasmussen wie Breedlove erwarten für derartige Projekte deutlich mehr Geld von den europäischen Bündnispartnern. Russland habe seine Verteidigungsausgaben in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent gesteigert, während die Ausgaben im NATO-Raum im Durchschnitt um 20 Prozent geschrumpft seien, so der Generalsekretär – der dabei gern vergisst, dass allein die USA nach Angaben des Friedensforschungsinstituts SIPRI zuletzt rund 640 Milliarden Dollar für das Militär ausgegeben haben, etwa acht Mal soviel wie Russland. Zwar haben sich inzwischen einige NATO-Staaten verpflichtet, langfristig das Ausgabeziel von zwei Prozent ihres jährlichen Bruttoinlandsproduktes zu erreichen, doch das reicht der Bündnisführung und Washington nicht.

** Aus: neues deutschland, Dienstag 5. August 2014


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