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Wahl im Armenhaus

In der Republik Moldau wird ein neues Parlament gewählt. Pro-EU-Kräfte und Anhänger einer Anbindung an Russland in Umfragen gleichauf

Von Reinhard Lauterbach *

Es könnte eine dieser Wahlen sein, von denen im Rest der Welt nichts abhängt, und die die Nachrichtenredakteure im Radio am Sonntag morgen vor dem Fußball vom Vorabend vermelden, weil sich sonst nichts tut und die Sendezeit gefüllt werden muss. Doch die am kommenden Sonntag stattfindenden Wahlen in der Republik Moldau sind durch den Ukrainekonflikt mit geopolitischer Bedeutung aufgeladen worden. Denn auch Moldau zählt zu den Ländern, die in diesem Jahr mit der EU ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen haben. Wie die Abstimmung ausgeht, lässt sich auch als ein Plebiszit über diesen außenpolitischen Kurs der Führung in Chisinau (russisch: Kischinjow) interpretieren. Um die 101 Sitze im moldauischen Parlament bewerben sich Kandidaten von über 20 Parteien; allerdings werden nur fünf bis sechs von ihnen Chancen eingeräumt, die Sechsprozenthürde zu überwinden.

Die politische Szene in der oft als »Armenhaus Europas« bezeichneten Republik teilt sich in ein prowestliches und ein prorussisches Lager. Die Erfahrung der Jahre seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 zeigen, dass beide ungefähr gleich stark sind. Von 2001 bis 2009 regierten die als prorussisch geltenden Kommunisten das Land. Danach wurden sie durch Vertreter der »proeuropäischen« Option gestürzt, wobei die entscheidenden Abstimmungen durch ein verwirrendes Spiel von Boykotts und Verfahrenstricks wenig transparent waren.

Eine prowestliche Koalition aus Liberalen, Christdemokraten und Nationalliberalen hat das Land seitdem auf EU-Kurs geführt. Allerdings hat das nicht nur den Gegensatz zwischen Chisinau und der im Bürgerkrieg 1992 abgespaltenen Republik Pridnestrowien (Transnistrien) verschärft, wo eine überwiegend russische bzw. ukrainische Bevölkerung den Marsch des Landes in eine Annäherung an Rumänien nicht mitmachen wollte. Russland hat in Transnistrien etwa 2.000 Soldaten stationiert und sieht die Region als südwestlichen Außenposten. Für den Fall einer Vereinigung Moldaus mit Rumänien hat es gedroht, Pridnestrowien den bereits beantragten Anschluss an Russland zu genehmigen.

Auch die im Süden des Landes siedelnden Gagausen - einer Minderheit ethnische Türken, die im 19. Jahrhundert zum orthodoxen Christentum übergegangen sind - will an einer engen Bindung von Moldau an Russland festhalten und hat seit Anfang des Jahres ihre Bemühungen um eine Stärkung ihrer Autonomie belebt. Es sollte sogar ein Referendum über das EU-Assoziierungsabkommen stattfinden, das von der Regierung in Chisinau für illegal erklärt worden ist.

Russland versucht, die Drift der Republik Moldau nach Westen durch Sanktionen zu bremsen. Wegen angeblicher hygienischer und qualitativer Mängel ist seit dem Sommer der Export von moldauischem Wein, Obst, Gemüse und Fleisch nach Russland gestoppt worden. Mit solchen landwirtschaftlichen Produkten war Moldau zu Sowjetzeiten relativ wohlhabend geworden.

Heute ist aus der Goldgrube eine drückende wirtschaftliche Abhängigkeit geworden. Nach Angaben des katholischen Hilfswerks »Caritas« lebt die Hälfte der Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze, und eine Million Moldauer, ein Viertel der Bevölkerung, arbeitet im Ausland. In Westeuropa ist vor allem Italien ihr Ziel, weil die Sprachbarriere relativ niedrig ist. Rund 400.000 Moldauer leben in Russland, und Moskau hat ihnen in der Hoffnung auf wahlpolitische Dividenden ein Angebot gemacht: Wer zur Abstimmung nach Hause fährt und danach zurückkommt, soll einen geregelten Aufenthaltsstatus erhalten. Denn 70 Prozent der in Russland arbeitenden Moldauer leben dort ohne Papiere.

Wie die Wahl am Sonntag ausgeht, ist nach den Umfragen offen. Den Kommunisten wird zugetraut, mit gut 30 Prozent wieder stärkste Partei zu werden, allerdings ohne Chancen auf eine Mehrheit. Sollte also die prowestliche Koalition der letzten Jahre zusammenhalten, könnte sie gegen die Kommunisten an ihrem Westkurs festhalten.

Politischer Joker ist die neuentstandene Partei »Vaterland« des in Russland zu Geld gekommenen Geschäftsmanns Renato Usatii. Der bekennende Fan des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko tritt ebenfalls für eine Ostbindung des Landes ein, nur ohne die ideologischen Etiketten der Vergangenheit.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. November 2014


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