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Regierung in Mongolei fasst Neuwahlen ins Auge

Bisherige Koalitionäre werfen sich gegenseitig Korruption und Unfähigkeit vor / Nachbarland China zeigt sich besorgt

China macht sich Sorgen um die politische Stabilität im Nachbarstaat Mongolei. Nach dem Auszug der stärksten Partei aus der Regierung und einer heftigen Protestwelle debattierte das Parlament in Ulan Bator am Freitag über Regierungsumbildung und eventuelle Neuwahlen.



Frankfurt a. M. · "Politische Veränderungen in unserem befreundeten Nachbarland lösen in China sicherlich Besorgnis aus", räumte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Kong Quan, ein. China sei an einer stetigen und gesunden Entwicklung der Beziehungen interessiert. Die gegenwärtige Krise sei aber "in erster Linie" eine innere Angelegenheit der Mongolei.

Die Krise war am Mittwoch durch den Austritt der Volksrevolutionären Partei (MVRP) aus der Regierung ausgelöst worden. Daraufhin stürmten rund 400 Protestierende nach einer Kundgebung in Ulan Bator den Sitz der MVRP. Sie räumten ihn am Freitagvormittag wieder, während das Parlament, der Große Volkskhural, in einer hitzigen Debatte nach einer Lösung suchte.

Ein MVRP-Abgeordneter suchte durch eine Dauerrede den amtierenden Regierungschef Tsakhiagiin Elbegdorj an der Abgabe einer Erklärung zu hindern. Er warf Elbegdorj vor, die Kundgebungen organisiert zu haben und die Alleinherrschaft seiner Partei anzustreben. Elbegdorj gehört der zweitstärksten Partei an, der Demokratischen Partei innerhalb der Mutterland-Demokratie-Koalition (MDC). Die MVRP hat mit 38 Mandaten genau die Hälfte der Abgeordneten.

Die MDC hatte nach der Wahl von 2004 zwar 34 Sitze, jedoch sind acht Parlamentarier seither zu kleineren Parteien übergewechselt. Das Koalitionsabkommen von 2004 hatte festgelegt, dass die Regierung von August 2006 an von der MVRP geführt werden soll.

Beide Parteien werfen einander Korruption und Unfähigkeit vor. Die Regierung Elbedorj habe zu wenig für die 40 Prozent der Bevölkerung getan, deren Monatseinkommen weniger als (umgerechnet) 20 US-Dollar beträgt, behaupten MVRP-Sprecher.

Die MVRP ist direkte Nachfolgerin der kommunistischen Partei gleichen Namens, die von 1921 bis 1991 das Land beherrschte, das unter der Bezeichnung Mongolische Volksrepublik als erster Satellit der Sowjetunion angesehen wurde. Die demokratischen Umwälzungen nach 1991 wurden jedoch von der MVRP zum Teil selbst eingeleitet und in jedem Fall mitgetragen. Seither ist das ehedem rückständige Land vorangekommen. Die Wachstumsrate lag im vergangenen Jahr bei zehn Prozent, während es der Regierung gleichzeitig gelang, die Inflation von elf auf drei Prozent zu drücken.

Die Mongolei ist seit 1911 mit einer kurzen Unterbrechung unabhängig. Vorher hatte die Region innerhalb des Chinesischen Kaiserreichs eine theokratisch geprägte Autonomie bewahrt. Nach der Machtübernahme durch die MVRP im Jahre 1921 und der Gründung der Volksrepublik (1924) wurde die Religion scharf verfolgt. Gegenwärtig bekennt sich etwa die Hälfte der Einwohner zum tibetisch-lamaistischen Buddhismus, etwa 40 Prozent geben an, keiner Religion anzugehören.

Innerhalb der Mongolei lebt nur eine Minderheit aller Mongolen. Fast vier Millionen leben in einer autonomen Region in China, in der sie aber nur eine Minderheit von zehn Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. In der zu Russland gehörenden Region Burjatien am Ostufer des Baikalsees wohnen weitere 300.000 Mongolen.

Karl Grobe

Aus: Frankfurter Rundschau, 14. Januar 2006


Kommentar:

Orange

Die größte Partei der Mongolei hat der Regierung den Garaus gemacht. Da sie genau die Hälfte der Abgeordneten stellt, ist das der Form nach in Ordnung. Doch etwas schillert da in sonderbaren Farben, von denen einige an das ukrainische Orange des vorigen Winters erinnern. Und tatsächlich orakelte am Freitag ein Abgeordneter, es würde noch so kommen wie in Kiew, wenn nicht schleunigst Neuwahlen abgehalten würden.

Übersichtlich sind die Zeichen an der Oberfläche: Die Volksrevolutionäre, die genau die Hälfte der Mandate innehaben, kündigen die Koalition mit einem zerfallenden Parteienbündnis auf, das seinerseits den Regierungschef stellte. Da die Koalitionsvereinbarung aber sowieso vorsah, den Volksrevolutionären im August dieses Jahres die Führung des Kabinetts zu übergeben, wird die Sache undurchschaubar. Es steckt sicherlich nicht volksrevolutionäre Ungeduld hinter dem politischen Manöver, sondern wohl eher die Furcht, die Ermittlungen in einigen Korruptionsfällen könnten lästig werden. Das wären sie dann freilich auch für den kleineren Partner.

Der chinesischen Regierung wiederum macht der Zerfall der Macht in Ulan-Bator Sorge nicht nur wegen der freundnachbarschaftlichen Beziehungen. Sie sieht dort den US-Einfluss wachsen, gerade nach dem Besuch Präsident Bushs im November. Sie sieht noch nicht rot, aber doch orange. Ukrainisch-orange.

Karl Grobe

Aus: Frankfurter Rundschau, 14. Januar 2006


"Die neue außenpolitische Doktrin der Mongolei (Parlamentsbeschluss Nr. 56 vom 30.Juni 1994) besagt, dass die Mongolei neben ihren beiden großen Nachbarn, Russland und China, auch mit weiteren Mächten wie die USA, Japan und Deutschland freundschaftliche Beziehungen und partnerschaftliche Zusammenarbeit zu entwickeln und zu pflegen gewillt ist. Die mongolische Regierung sieht Deutschland als ihren wichtigsten Partner in der Europäischen Union. Eine umfassende Partnerschaft mit der Bundesrepublik Deutschland wird seitens der Mongolei erstrebt."
Quelle: Website der Botschaft der mongolei in Berlin: www.botschaft-mongolei.de.



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