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Mongolen glauben den Parteien nicht

Unzufriedenheit trotz Wirtschaftshochs

Von Renate Bormann, Ulan-Bator *

Die Entdeckung der größten Kupfer- und Goldvorkommen der Welt in Oyu Tolgoi in der Südgobi und die anhaltend hohen Weltmarktpreise für Rohstoffe haben der Mongolei in den letzten Jahren einen unerwarteten Geldsegen beschert. Die Bevölkerung ist dennoch nicht zufrieden.

2005 wies der Haushalt zum ersten Mal seit 1990 ein Plus aus. Auch im Außenhandel erwirtschaftet die Mongolei inzwischen einen Überschuss. Innerhalb nur eines Jahres stieg das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung um 400 auf 1000 US-Dollar. Vier Jahre in Folge wächst die Wirtschaft – im letzten Jahr um 8,4 Prozent. Milde Winter und für mongolische Verhältnisse reichliche Niederschläge sorgten für gute Ernten und eine Erhöhung der Viehbestände auf 35 Millionen Tiere.

Die regierende Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP) nutzte diese günstige Entwicklung wacker für soziale Wohltaten: 3000 Tugrik monatliches Kindergeld, 100 000 Tugrik für jedes neugeborene Kind, 500 000 Tugrik für junge Ehepaare. Die unterste Grenze für Sozialhilfebeiträge wurde auf 25 000 Tugrik pro Monat angehoben, die Mindestlöhne liegen inzwischen bei 69 000 Tugrik. Für europäische Verhältnisse sind das zwar geringe Summen, denn ein Euro entspricht etwa 1500 Tugrik, der Mindestlohn beläuft sich demnach auf 44 Euro, doch wird die Regierung nicht müde, ihre Erfolge zu rühmen.

Es nützt indes alles nichts: Die Menschen sind der Meinung, zu wenig vom Reichtum ihres Landes abzubekommen. »Regierungsmitglieder, Abgeordnete, deren Verwandte und Freunde verkaufen nicht nur die Bodenschätze, sondern das Land gleich mit. Sie kümmert es nicht, ob die Natur zerstört wird. Für sie zählen nur Geld und Besitz«, wettert Gombosuren Arslan, Chef der »Front Ehrlicher Bürger«, und fordert radikale Reformen. Dabei weiß er sehr wohl, dass der Rückhalt der meisten wie Pilze aus dem Boden geschossenen Bürgerbewegungen in der Bevölkerung schwach ist. Tsachiagiin Elbegdorsh, ehemaliger Ministerpräsident und Vorsitzender der oppositionellen Demokratischen Partei (DP), erinnerte am Wochenende bei einem Fest auf dem hauptstädtischen Suche-Bator-Platz an den Aufbruch vor 18 Jahren und die Fortschritte seither: Freiheit der Religionsausübung, Schutz des Privateigentums, Parteienvielfalt, freie Presse, freie Wahlen. Der »ehrliche Bürger« Arslan, der mit seinen Getreuen Unterschriften für eine Auflösung der MRVP sammelt, meinte lapidar: »Die sollen nicht feiern, sondern kämpfen.«

Ein Regierungsprogramm für »40 000 bezahlbare Wohnungen« stößt bei den meisten Hauptstädtern auf Skepsis. Khongor, eine 26-jährige Kosmetikerin, lebt mit Mann, vierjähriger Tochter und Vater in einer Jurte am Rande Ulan-Bators. Gerne würde sie in eine moderne Wohnung ziehen. Bisher wurde zwar viel über Finanzierungsmodelle geredet, doch für Khongor war noch kein vernünftiges dabei. Zweifellos wird viel gebaut. Doch ist dieser Wohnraum nur für Neureiche und gut entlohnte Ausländer bezahlbar. Khongors Familie ist glücklicherweise nicht auf die Versprechungen der Sparund Kreditgenossenschaften hereingefallen. Auf 10 000 wird die Zahl der Geschädigten geschätzt, die alles oder fast alles verloren haben und seit Monaten mit Protestkundgebungen und Sitzstreiks auf sich aufmerksam machen.

Die Zustimmung für die MRVP ist jedenfalls trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs laut Umfragen auf 25 Prozent gesunken. Wären ihre Gegner nicht heillos zerstritten, sähe es sicher noch düsterer für die Regierungspartei aus. Jüngste Turbulenzen gehen auf das Konto Tsendiin Nyamdorshs, des Vorsitzenden des Großen Staatshurals. Bürgerbewegungen fordern den Rücktritt des Parlamentsvorsitzenden, da er die Texte des Antikorruptionsgesetzes und des Bergbaugesetzes nach der Verabschiedung geändert haben soll. Die Fraktion der Demokratischen Partei drohte mit ihrem Auszug aus dem Sitzungssaal, sollte Nyamdorsh die Frühjahrssitzung des Parlaments eröffnen. Daraufhin tauschten der Vorsitzende und sein Stellvertreter lediglich die Plätze.

Die Rede von Staatspräsident Nambaryn Enchbayar zur Parlamentseröffnung fiel ungewohnt kritisch aus. Die politischen Parteien seien in die Hände von Wirtschaftsgruppierungen gefallen, was Korruption und Bestechlichkeit fördere. Die Glaubwürdigkeit aller Parteien habe darunter gelitten. »Das kann uns nicht gleichgültig lassen«, sagte der Präsident. Bei der jährlichen Überprüfung des Erfüllungsstands der »Jahrtausendziele«, vorgenommen von internationalen Organisationen, werde für die Mongolei ein Stillstand, bei einigen Kennziffern sogar ein Rückgang verzeichnet. Die Armut sei nicht nennenswert reduziert worden, die Unterschiede zwischen Stadt und Land nähmen zu, die Einkommensunterschiede würden größer, die Zahl der fehlernährten Kinder sei nicht wesentlich gesunken, auch die Rekonstruktion schadhafter Schulgebäude komme nicht wie gewünscht voran. Gleiches gelte für die Versorgung mit sauberem Wasser und den Umweltschutz. Die Wirtschaft habe sich zwar erfolgreich entwickelt, trotzdem gebe es Defizite im Banken- und Finanzsystem, die Schattenwirtschaft wachse, die Arbeitslosigkeit sei nur wenig eingedämmt worden.

* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2007


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