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Moçambique: Aufbruch aus dem Elend

Reise in ein von Kolonialismus und Krieg zerstörtes Land

Von Roswitha Reich, Maputo*

Moçambique also. Grünes, fruchtbares Land, bald 2 000 Kilometer langgestreckt an der Küste des Indischen Ozeans zwischen Südafrika und Tansania. Rund 19 Millionen Einwohner. Deren Alltag wird immer noch belastet durch die unbewältigte Geschichte aus jahrhundertelanger Kolonialherrschaft sowie einen von außen initiierten Krieg. Dieser endete Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Bevölkerung hoffte danach zuallererst auf einen dauerhaften Frieden, aber auch auf insgesamt bessere Lebensbedingungen. Der erste Wunsch wurde Wirklichkeit. Die Realisierung des zweiten läßt auf sich warten.

Ich flog von meinem Wohnort Johannesburg hinüber nach Maputo. Erster Eindruck: Der Flughafen von Moçambiques Hauptstadt widerspiegelt die Armut des ganzen Landes. Sein letzter Anstrich liegt Jahrzehnte zurück. Der Betrieb hält sich in Grenzen, und ich sehe, daß die abfliegenden Gäste ihr Gepäck auf dem Rollfeld noch einmal identifizieren, bevor es dann eingeladen wird. Meine Fahrt führt vorbei an einem Denkmal – Samora Machel, der Guerillachef, Vorsitzender der moçambiquanischen Befreiungsbewegung FRELIMO, in verwitterten Farben auf einem großen Wandgemälde. Der erste Präsident des Landes kam bei einem Flugzeugabsturz unter noch immer ungeklärten Umständen 1986 über südafrikanischem Gebiet ums Leben. Vieles spricht für Sabotage der damaligen Apartheid-Geheimdienste. Machels Tod riß eine große Lücke in die Reihen derjenigen, die das Land auf einen sozialistischen Weg bringen wollten.


Republik Moçambique
  • 799.380 Quadratkilometer (zum Vergleich: BRD 357 030)
  • Etwa 19 Millionen Einwohner
  • Export: Aluminium, Elektrizität (Staudamm Cobora Bassa), landwirtschaftliche Produkte, Fisch
  • Bruttosozialeinkommen: 216 US-Dollar pro Einwohner (2003)
  • Unabhängigkeit von Portugal: 25. 6. 1975


Diese Bemühungen begannen bald nach der Befreiung vom portugiesischen Kolonialismus 1975. Ein halbes Jahr vor Angola im November 1975 hatten am 25. Juni des Jahres die letzten Kolonialherren das Land verlassen – und eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Die 560jährige portugiesische Kontrolle über Teile des afrikanischen Kontinents endete in Zerstörung. Infrastruktur wurde gesprengt, Wohnraum vernichtet, öffentliche Gebäude verwüstet. Der Start in eine selbstbestimmte Gesellschaft sollte der revolutionär ausgerichteten Frente de Libertaçao de Moçambique so schwer wie möglich gemacht werden.

Hütten für Arme

Vom Flughafen führt mich die Busfahrt in die Innenstadt über Kilometer an Lehmhütten vorbei. In den armseligen Shops dort gibt es nur, was die Familien sich gerade noch leisten können: Maisgrieß, Zucker, getrocknete Bohnen, Mehl und Kochöl. Alles in Säcken und Blechbüchsen. Hier lebt die Mehrheit der moçambiquanischen Bevölkerung. Vor allem während des Kriegs fand eine gigantische Flucht vom Land in die sichereren Gürtel um die Großstädte herum statt – vor allem an den Rand von Maputo. Statistisch verfügen heute zehn Millionen Moçambiquaner über kein sauberes Trinkwasser, von sanitären Anlagen und Kanalisation ganz zu schweigen. Jedes Jahr in der Regenzeit sterben Bewohner, erschlagen in ihren unter den Wassermengen zusammengebrochenen Hütten. 18 Menschen waren es Ende 2005.

Ehe das Stadtzentrum erreicht ist, werden wir ordentlich durchgeschüttelt: Die Schlaglöcher sind selbst in der Innenstadt so groß und tief, daß sie während der Regenzeit zu riesigen Pfützen werden. Den gefährlichsten Fallgruben, auch »Riffs« genannt, wurden Namen wie Sarajevo, Beirut, Kabul, Bagdad und Mogadischu gegeben. Und die meisten Fahrzeuge, an denen sich der neue Hotelbus mit mir vorbeischlängelt, sehen aus, als kämen sie geradewegs vom Schrottplatz.

Die chromglänzenden Autos mit südafrikanischen Kennzeichen, viele davon mit Allradantrieb, bilden einen scharfen Kontrast. Und in der Innenstadt gibt es längst wieder Geschäftsstraßen mit bunten Leuchtreklamen am Abend. Allerdings wird die angestrebte Idylle, in der mit Genuß gekauft, flaniert und konsumiert werden kann, gestört von nicht geleerten Müllcontainern, Abfallbergen in den Seitenstraßen und Hintereingängen. Auch die Gaststätten und Bars – die großen Fastfood-Ketten aus Südafrika und den USA sind nahezu komplett vertreten – laden nicht gerade ein. Und selbst das früher noch so attraktive Terrassenlokal an der beliebten Costa del Sol, der Sonnenküste, wirkt schäbig. Von den Preisen ganz zu schweigen. Das Bier kostet 20 US-Dollar.

Zäune für Reiche

Es wird gebaut in Maputo. Die prächtigen Villen mit Meeresblick gehören meist ausländischen Firmen. Die Sicherheitsvorkehrungen wirken selbst für Südafrikaner, und die sind einiges gewohnt, martialisch: Elektrozäune und Gitter vor Terrassen und Balkonen versperren nicht nur die Einsicht, sondern auch die Aussicht. Später dann, bei einer Stadtrundfahrt, entdecke ich viele gut restaurierte historische Gebäude, und auch die Kirchen sind wieder hergerichtet, angestrichen. Gläubige füllen sie an Sonn- und Feiertagen. Der alte Bahnhof von Maputo, nach Plänen von Gustav Eiffel erbaut, ist zwar wunderbar restauriert, aber aus Mangel an Zugverkehr eher eine Touristenattraktion denn Verkehrsknotenpunkt.

Derzeit fließen in kein anderes Land der südafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (SADC) so viele ausländische Investitionen wie nach Moçambique. Direkt nach dem Krieg wurden bis zu 15prozentige Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts verzeichnet. Trotzdem liegen zwischen einer sozial geprägten Gesellschaft, wie sie die Regierung Samora Machel nach der Unabhängigkeit mit Hilfe der sozialistischen Staatengemeinschaft aufbauen wollte, und der heutigen Welten. Kapitalismus und globale Ausbeutung der begehrten Ressourcen haben längst Einzug gehalten, und auch die regierende FRELIMO paßte sich den Bedingungen realpolitisch an, meist unter Auflagen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds oder einflußreichen Wirtschaftskreisen.

Die sozialistischen Blütenträume platzten nach 1977. Die von den rhodesischen Rassisten gegründete und 1980 vom südafrikanischen Apartheidregime weitergeführte antikommunistische Terrorarmee der RENAMO (Nationaler Widerstand Moçambiques) vernichtete mit ihrem bis 1992 anhaltenden, blutigen Feldzug vor allem gegen die Landbevölkerung große Teile der Infrastruktur. Nichts war sicher. Nichts hatte Zukunft. Und die FRELIMO sah sich zur Hochrüstung gegen die »bandidos armados« (bewaffnete Banditen), wie sie im Volksmund genannt wurden, gezwungen. Heute versucht sich die zur Partei umgewandelte RENAMO als Opposition, verfügt über 90 von 250 Parlamentssitzen, die FRELIMO über den Rest. Zu dem Wenigen, was noch an die hoffnungsvollen, nachkolonialen Jahre erinnert, gehören die Straßennamen in der Hauptstadt Maputo: Karl Marx, Lenin, Fidel Castro, Che Guevara – und natürlich die der großen Persönlichkeiten der afrikanischen Freiheitsbewegungen, von Agostinho Neto bis Patrice Lumumba.

Wohnraum für Arbeitslose

Unübersehbar schließlich jene über die ganze Stadt verteilten, inzwischen ergrauten Wohnblöcke und Hochhäuser. Wo einst die portugiesischen Kolonialbeamten residierten, wohnen heute die Armen und Arbeitslosen. 1975 wurden alle verlassenen Gebäude besetzt, und bis heute zahlen die Bewohner keine Miete, nichts für Wasser und Strom. Auf den baufälligen Balkonen hängt Wäsche, die Fahrstühle sind klapprig geworden, überall liegt Müll – und doch sind es noch die besten Wohnungen, die Maputo der arbeitslosen Bevölkerung, deren Anteil bei 70 Prozent liegt, zu bieten hat. Ein Gesetz aus sozialistischen Tagen schützt vor Obdachlosigkeit. Wer einmal eine Wohnung bezogen hat, darf nicht auf die Straße geworfen werden – auch wenn er nicht zahlen kann. Nicht fürs Wohnen, und erst recht nicht für Farbe oder Müllabfuhr.

Dagegen ist das alte portugiesische Fort von 1787 frisch rekonstruiert. Zu Weihnachten diente die große Rasenfläche im Innenhof einem guten Zweck. Die Straßenkinder von Maputo waren zu einer Party mit Cola und Sandwiches eingeladen. Von ihnen gibt es ungezählt viele, Tausende. Sie versuchen, der Hoffnungslosigkeit und Armut ihrer Eltern in den Slums und auf dem Lande zu entfliehen. Immer noch gehen in Moçambique nur 80 Prozent aller Kinder zur Schule. Regierungsziel ist es, bis zum Jahre 2015 allen Kindern wenigstens eine Grundschulausbildung zu ermöglichen. Zum Schuljahrsbeginn Mitte Januar wurden 547 neue Schulen, darunter 35 Oberschulen, eröffnet. Die FRELIMO drängt darauf, daß die Eltern auch ihre Töchter zur Schule schicken. Bis jetzt gehen nur 46 Prozent aller Mädchen in Moçambique zur Schule. Und unter den Erwachsenen können immer noch 62 Prozent weder lesen noch schreiben. 55 Prozent der moçambiquanischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von weniger als einem US-Dollar täglich. Die Lebenserwartung liegt zwischen 41 Jahren bei Männern und 43 bei Frauen.

Viele der Straßenkinder sind AIDS-Waisen. Die Seuche ist eine Geißel der Menschen hier. Etwa 17 Prozent der Bevölkerung sind vom HI-Virus infiziert. UNAIDS, der Hilfsorganisation der Vereinten Nationen, zufolge benötigen insgesamt 190 000 Moçambiquaner eine antiretrovirale Behandlung, doch nur 2 840 erhalten die lebenswichtigen Medikamente. Bei den Todesursachen auch von Kindern spielt AIDS eine immer größere Rolle. 2005 starben 97 000 Menschen an der Seuche, 17 500 von ihnen waren Kinder im Alter von unter fünf. 500 Neuinfektionen werden täglich registriert. Knapp ein Fünftel davon trifft Kinder, die sich das Virus über ihre Eltern zuziehen – meist über die Mutter während der Schwangerschaft. Die Regierung versucht, die Entwicklung durch Bildung, Aufklärung, Verbesserung der sozialen Lage und auch medizinische Programme zu stoppen, doch blieben die Erfolge bisher bescheiden.

Plan für Entwicklung

Als wichtigsten Schritt zur Verbesserung der Lebensverhältnisse indes strebt die FRELIMO 2006 ein Wirtschaftswachstum von acht Prozent an. Zugleich soll die Inflationsrate unter 7,5 Prozent gedrückt worden. Der Minister für Planung und Entwicklung, Aiuba Cuerenica, hält diese Aussichten für realistisch und verspricht eine Reduzierung der Armut im Lande. Und Moçambiques Präsident Armando Emilio Guebuza kündigte jüngst eine Reihe sozialer Verbesserungen an. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sei vielversprechend. Insbesondere in den Bergbau und den Gasabbau werde investiert.

Da ist zum Beispiel das Mozal-Aluminium-Werk vor den Toren Maputos. Die größte Investition Moçambiques seit 1992 produziert nun mit voller Kapazitätsauslastung etwa 500 000 Tonnen Aluminium pro Jahr. Und: Von den Naturgasfeldern im Norden des Landes wurde gerade eine 856 Kilometer lange Gasleitung direkt zu den Raffinerien der südafrikanischen Ölgesellschaft Sasol fertiggestellt. Wenn auch noch das Pande-Gasfeld in diesem Jahr angeschlossen werden kann, will Südafrika 20 Prozent seiner Energie aus moçambiquanischem Erdgas gewinnen. Schließlich wird weiter an der ersten Titanmine Moçambiques – an der Sandküste der Provinz Nampula im Norden des Landes – intensiv gearbeitet. 670 000 Tonnen Mineralkonzentrate sollen ab 2007 jährlich abgebaut werden. Sobald die Produktion beginnt, könnten dort 2 000 Bergleute einen ständigen Arbeitsplatz bekommen.

Last but not least: die Landwirtschaft. Sie soll in diesem Jahr um 6,9 Prozent wachsen. Mais, Weizen, Maniok, Bohnen und Reis werden für die Ernährung der Bevölkerung gebraucht. Baumwolle, Cashew-Nüsse und Tabak gehen vor allem in den Export. Was die Fischerei betrifft, so setzt Moçambique nun auch auf Fisch- und Garnelenzucht. Das Land unternimmt zudem Anstrengungen, um die Überfischung seiner Küsten und vor allem den Raubbau der großen internationalen Fischereiunternehmen zu unterbinden. Derzeit verfügt die entsprechende Flotte Moçambiques nur noch über 150 Schleppnetzfischerboote. Die Exporteinnahmen von etwa 100 Millionen US-Dollar aus dem eigenen Fischfang, davon etwa 66 Millionen aus dem Verkauf der berühmten Riesengarnelen, können sich zwar immer noch sehen lassen, sind aber heute geringer als im Jahre 1980. Fast die Hälfte der Bevölkerung Moçambiques ernährt sich von Meeresfrüchten. Die Rekonstruktion der Häfen Beira und Maputo ist im Gange. Das bedeutet mehr direkte Straßen- und Eisenbahnverbindungen sowie die Rekonstruktion und Modernisierung der Kaianlagen und Speicher. Be- und Entladekapazitäten müssen um ein Vielfaches erweitert und die Hafenbecken für größere Schiffe, wie Container- und Tanker, ausgebaut werden.

Kapital – für wen?

Der Hafen Maputos indes wurde bereits privatisiert. Neue Betreiber sind britische, schwedische und portugiesische Firmen, die auch das Geld für den Ausbau mitgebracht haben: insgesamt 61 Millionen US-Dollar für die nächsten drei Jahre. Über die Zusammenarbeit mit der südafrikanischen staatlichen Eisenbahngesellschaft Spoornet, die gerade die Zusage gegeben hat, weitere 78 Millionen US-Dollar in die Bahnanbindungen aus Südafrika zu investieren, soll sich dann das Frachtumschlagsvolumen auf 6,8 Millionen Tonnen jährlich erhöhen.

Indes fällt ins Auge: Die Hafeneinfahrt zu den neuen Öl-, Zement- und Kohlehäfen in Maputo sieht immer noch wie ein Schlachtfeld aus. Einige hundert Schiffe rotten vor sich hin. Ich sehe einen großen chinesischen Frachter und erfahre, daß dieser dort seit über zehn Jahren rostet. Allerdings: Inzwischen befinden sich chinesische Bewohner an Bord und haben sogar ihre Flagge gehißt. Vielleicht ein Zeichen dafür, daß die Volksrepublik ihren Schrott in Besitz nehmen und beseitigen will? Sicher ist, daß die Modernisierung der moçambiquanischen Häfen noch Jahre in Anspruch nehmen wird. Obwohl der von Maputo ideal für den Seehandel mit der wichtigsten südafrikanischen Wirtschaftszone Gauteng wäre, können hier erst etwa zehn Prozent des Güterumschlags der Industrie der Gauteng-Region abgewickelt werden. Zu Zeiten der portugiesischen Kolonialherrschaft waren es 40 Prozent.

40 Prozent sind ein hochgestecktes Ziel, und es bleibt zu hoffen, daß bei allem ökonomischen Ehrgeiz der Ausverkauf an ausländische Konzerne und die Abhängigkeit von internationalen Institutionen nicht letztlich dafür sorgen, daß die Armut zum Dauerzustand wird. Die südafrikanische Integration könnte ein Gegengewicht bilden. Und eine möglichst soziale FRELIMO-Politik. Derzeit hält sich erfreulicherweise auch die Korruption in Grenzen, so daß selbst der IWF Moçambique »Good governance« bescheinigt. Das Land habe sich ökonomisch stabilisiert und gehe mit dem neuen Regierungsprogramm PARAPA (Aktionsplan zur Reduzierung der absoluten Armut), einer Art Fünfjahrplan, die schlechten Lebensbedingungen der Masse der Bevölkerung an.

Zurück am Flughafen gehe ich in Richtung der Maschine am Gepäck vorbei. Mein Koffer ist darunter. Bald liegt Maputo unter mir.

* Aus: junge Welt, 4. Februar 2006 (Wochenendbeilage)


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