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"Wir wurden schon zur Genüge kolonisiert"

Über den Wiederaufbau Moçambiques, Erfolge bei der Armutsbekämpfung, den ideologischen Wandel der FRELIMO und die Abhängigkeit von fremden Geldgebern. Ein Gespräch mit Carlos dos Santos *


S. E. Carlos dos Santos ist seit dem 24. Mai 2006 außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Mosambik (portug.: Moçambique) in der Bundesrepublik Deutschland.

Wie die meisten Staaten des »schwarzen« Kontinents findet Moçambique nur wenig Beachtung in den deutschen Medien. Woher rührt dieses Schattendasein?

Der Grund ist einfach der, daß wir in Moçambique keinen Krieg haben wie in der Elfenbeinküste oder im Sudan. Nur hin und wieder taucht das Land mal mit einer Notiz in der Presse oder mit ein paar Bildern im Fernsehen auf. Was die Medien interessiert, sind Komplikationen und Kriege. Wenn positive Dinge passieren, berichten sie nicht darüber.

Moçambique ist ein Land mit bedeutenden Naturressourcen und Rohstoffreserven. 1990 erfolgte der Übergang zur »freien Marktwirtschaft«, die Wachstumsraten sind relativ hoch. Dennoch lebt die Masse der Bevölkerung weiter in tiefer Armut. Woran liegt das?

Die Bekämpfung der Armut ist ein ständiges zentrales Anliegen der Regierung. Um die Situation zu verstehen, muß man den Ausgangspunkt sehen. Unmittelbar nach der Erringung der Unabhängigkeit 1975 begann der Bürgerkrieg. Erst nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags 1992 konnte der Wiederaufbau in Angriff genommen werden. Die Wirtschaftskraft war de facto unter dem Nullpunkt, vielerorts konnte der Boden nicht bestellt werden. Der erste Schritt bestand darin, die Fundamente der Ökonomie zu festigen. Um Geldstabilität zu schaffen und die Inflation einzudämmen, welche damals bei über 60 Prozent lag, arbeitet Moçambique bereits seit 1987 mit dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und anderen internationalen Finanzinstitutionen zusammen. Diese Zusammenarbeit, um unsere Ökonomie auf ein besseres Niveau zu heben, wirkt sich nach und nach aus. Mit der zurückgewonnenen Stabilität konnten ausländische und nationale Investoren angezogen werden. Dieser Wiederaufbau war die Voraussetzung dafür, daß es uns gelang, in den vergangenen zehn Jahren den Anteil der armen Bevölkerung von 69,5 auf 54 Prozent zu verringern. Für eine solche Entwicklung ist das ein historisch kurzer Zeitraum.

Auch Moçambique wurde von der internationalen Finanzmarktkrise und gestiegenen Weltmarktpreisen getroffen. Im Herbst 2010 kam es zu Protesten gegen höhere Lebenshaltungskosten und schweren Unruhen mit mehreren Toten. Welche Schlüsse hat Ihre Regierung daraus gezogen?

Infolge dieser Revolten wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen. Es wurden staatliche Mittel für Subventionen frei gemacht, um den ärmsten Schichten zu helfen und sicherzustellen, daß die Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel nicht stiegen. Neben solchen punktuellen Dingen gibt es vor allem das Programm PARPA, den Aktionsplan der Regierung zur Armutsbekämpfung. Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern wird ständig überprüft, welche Fortschritte und Fehler dabei auftreten. Wie Sie wissen, birgt die Marktwirtschaft das Problem, daß sie soziale Probleme der Bevölkerung nicht direkt löst, sondern immer nur in indirekter Form. Die Regierung muß Wege finden, daß die ökonomische Entwicklung allen zugute kommt. Die Programme zur Armutsbekämpfung sind implementiert, aber wie in jeder anderen Wirtschaft und selbst hier in Deutschland sind deren Entwicklung und die Ergebnisse beim Erreichen gesetzter Ziele auf anderen Gebieten nicht immer wie gewünscht. Unter Vermittlung der Regierung diskutieren Gewerkschaften und Unternehmer jährlich die Festsetzung eines Mindestlohns. Dieser ist noch sehr bescheiden, deckt nicht die Hälfte des Bedarfs einer Familie. Er ist dennoch eine gute Sache. Wenn es wirtschaftlich eine positive Entwicklung gibt, muß sich das auch im Mindestlohn des Arbeitenden widerspiegeln.

Wie bringt sich Deutschland in die internationale Zusammenarbeit mit Ihrem Land ein?

Deutschland war stets vertreten. Dabei geht es vor allem um »nachhaltige Wirtschaftsentwicklung«, aber auch den Bildungsbereich und die Landwirtschaft. Ein gemeinsames Projekt, Banco Terra, an dem die deutsche Entwicklungsbank KfW beteiligt ist, vergibt Mikrokredite an kleine Produzenten und Unternehmer. Es zeigt bereits Wirkung, denn die normalen kommerziellen Banken verlangen hohe Zinsen und zeigen wenig Interesse an diesem Kundenkreis. Derzeit versuchen wir verstärkt, Investoren aus Deutschland zu interessieren. Es sind jedoch erst wenige Firmen in Moçambique vertreten, wie der Siemens-Konzern, der auf dem Gebiet der Telekommunikation mit uns zusammenarbeitet. Im Zuge der Entwicklung unserer Wirtschaft sind wir nun dabei, Bodenschätze zu erschließen. Wegen des Kriegs, ökonomischer Instabilität und des Mangels an Investoren ist deren Förderung zurückgeblieben. Doch schließlich besitzen wir unter anderem gewaltige Vorkommen an Kohle und Erdgas.

China engagiert sich immer stärker auf dem afrikanischen Kontinent. Klopft der asiatische Wirtschaftsriese bereits auch in Maputo an?

Das Hauptfeld ist die Entwicklungszusammenarbeit, doch in der letzten Zeit ist China auch geschäftlich aktiv geworden. Es ist dabei, kraftvoll mitzumischen. Die Chinesen beteiligen sich an internationalen Ausschreibungen für Infrastrukturprojekte. Es gibt Abkommen zwischen unseren Regierungen, die bilaterale Kooperation auszuweiten und über große chinesische Investitionen auf verschiedenen Gebieten.

Etwa die Hälfte des Staatsetats wird durch externe Finanzhilfen gedeckt. Schränkt diese Abhängigkeit die politische Selbstbestimmung nicht gravierend ein?

Die Regierung Moçambiques ist die Regierung eines unabhängigen und souveränen Landes. Innerhalb internationaler Beziehungen müssen wir bestimmen, bis zu welchem Punkt wir Verpflichtungen eingehen wollen. Unsere Grundwerte und Prinzipien sind dabei nicht verhandelbar. Wenn ein Geber uns Geld gibt, weil er denkt, mit dem Geld bestimmen zu können, wie Moçambique funktioniert, ist das nicht akzeptabel, und unsere Regierung wird so etwas niemals akzeptieren. In den Gesprächen und Verhandlungen mit den Gebern wird diese Botschaft stets klar übermittelt. Wir öffnen die Türen, das ja, und wir sind bereit, freundschaftlich auch darüber zu diskutieren, was bei uns falsch läuft. Doch kolonisiert wurden wir bereits zur Genüge, wir wollen nicht dazu zurückkehren, kolonisiert zu sein, selbst wenn wir Hilfe benötigen. Es gibt gewisse Kompromisse, doch unsere Souveränität ist noch intakt und wird es weiter sein.

Moçambique wird seit der Unabhängigkeit ununterbrochen von der ehemaligen Befreiungsbewegung FRELIMO regiert, die sich 1989 vom Marxismus lossagte. Welchen politischen Kurs steuert die Partei heute?

Die FRELIMO ist eine wirklich progressive Kraft, aber fortschrittlich ohne Dogmas. Sie werden innerhalb der Partei noch immer einige Leute finden, die meinen, wir hätten uns nicht von unseren marxistischen Anfängen lossagen dürfen. Aber selbst diese erkennen an, daß Veränderungen notwendig waren, weil sich die Welt und die Bedingungen ebenfalls änderten. Sie sind Teil der Partei, beteiligen sich an den Entscheidungen und akzeptieren den Wandel. Manche meinen, es wäre vielleicht besser gewesen, bei früheren Herangehensweisen zu bleiben. Nicht nur in ideologischer Hinsicht, auch in bezug auf praktische Fragen. Wie man die Entwicklung vorantreibt, wie man den Fortschritt zu allen Moçambiquanern bringt. Weil das stets unsere erste Sorge war. Die sozialistische Ideologie wollte das Land entwickeln, um den wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen zu können. Das ist ein Anliegen jeder Regierung, sogar in der kapitalistischen Welt. Ich denke, es gibt niemanden mehr in Moçambique, der meint, wir könnten zum Sozialismus zurückkehren. Diese Möglichkeit existiert nicht mehr.

Zu Zeiten der Volksrepublik war die DDR war ein enger Partner und Verbündeter. Hat dies Spuren hinterlassen?

Viele Ostdeutsche haben in unserem Land beim Aufbau geholfen. Es war für unser Land eine gute Zusammenarbeit, die bis heute fortwirkt. Alle zwei Jahre gibt es ein Treffen der »Freunde Moçambiques«.

Interview: Peter Steiniger

* Aus: junge Welt, 8. Juni 2011


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