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Schließlich ist ein Regulo kein König

Restauration in den Dörfern Mosambiks - Nach dem Abschied vom Sozialismus beanspruchen die Stammesführer wieder ihre Macht

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag aus der Wochenzeitung "Freitag".


Von Andrea Strunk

Antonio Saeze regelt geschäftlichen Angelegenheiten gern im Schatten. Wenn sich die Sonne am Morgen an die Palmenhaine des Hochlands schmiegt und ihre Strahlen in goldener Ruhe nach den Wellen des Indischen Ozeans ausstreckt, nimmt er auf einem schiefen Plastikstuhl Platz und breitet Amtspapiere aus. Auf der einen Seite des Tisches die Anträge - auf der anderen die Regularien.

Saezes Amtssitz ist ein Dorfgasthaus der bescheidensten Sorte, unter dessen vorgebautem Wellblech von Zeit zu Zeit Hochzeitsgäste tanzen und trinken. Schwierige Streitfälle regelt Saeze auch in seiner Hütte, wenn unter vier Augen verhandelt werden soll, was die Frauen auf ihrem Nachhauseweg von der Feldarbeit nicht aufschnappen sollen.

An anderen als Hochzeits-, Wahl- und Beerdigungstagen ist der Gasthof geschlossen, und wenn Antonio Saeze keinen Schlüssel für die Tür zum Vorratsraum besäße, müsste er ohne seinen selbst gebrannten Schnaps aus wilden Beeren regieren, den er eigenhändig nach einem alten Familienrezept brennt. Er trinkt ihn zur Desinfektion, zur Abwehr der Mücken und trüben Gedanken. Er trinkt ihn wie andere Leute Wasser.

Die Schlüsselgewalt zur Gasthofküche mit dem Schnapsregal hat sich Saeze verdient, schließlich ist er "Regulo von Guilondo" im Distrikt Chidenguele: Der Herrscher über die Gastwirtschaft, das umgebende Dorf und noch ein paar tausend Hütten, die verstreut in einem Gebiet von 600 Quadratkilometern liegen. Wollte Saeze sie alle abschreiten, müsste er am Strand beginnen, just dort, wo der Saum des Wassers eine feine schaumige Linie auf dem Sand hinterlässt, müsste sich in die Haine aus Kokoswäldern begeben, in denen der Wind säuselt, und am Rand der Lagunen mit ihren gestelzt stehenden Mangroven entlang wandern, sich durch Maniok- und Süßkartoffelfelder einen Weg bahnen, unter den alten, astlastigen Nussbäumen verweilen, von der feuchten, salzigen Luft des Tieflandes in die süß nach Bananenstauden riechende Frische des Hochlandes aufsteigen, sich wieder in die Ebene fallen lassen und noch viele Male so weiter. Wie viele Untertanen er genau hat, weiß Saeze nicht.

Untertanen? Saeze wiegt das Wort mit dem Kopf hin und her und scheucht es dann mit einer schnellen Handbewegung davon. Schutzbefohlene, sagt er, das wäre vielleicht besser. Schließlich ist ein Regulo kein König, sondern eine Art Patron, ein Wächter über Moral und Ordnung, über Sitte und Anstand. Recht sprechen, einen Streit schlichten, Hochzeiten segnen, im Ernstfall auch die Erlaubnis zur Scheidung erteilen, bei Toten-Zeremonien vorstehen, auf Feierlichkeiten den Ehrenplatz besetzen - dafür muss man kein Autokrat, sondern gütig wie ein Vater sein. Was aber tut ein Vater, dem die Kinder davon laufen, dessen Rat kaum einer mehr sucht?

Wenn Antonio Saeze sich mit einem Glas Morgenschnaps gekräftigt hat, steht die Sonne meist gerade über seinem Kopf. Da ist es gut, im schattigen Unterstand zu sitzen. Schließlich hat der Tag auch dann noch viele Stunden, zu viele, um sie mit Warten zu verbringen. Manchmal kommen die Frauen vorbei und reden einfach so, wie Frauen reden. Über die Ernte, den Regen, die Kinder, den neuen Lehrer. Manchmal zeigt eine, dass Antonio Saeze ihr gefällt - zu Recht, denn er ist ein stattlicher Mann -, und redet über die neue Pumpe, nicht ohne zu erwähnen, dass das Auf- und Abtreten, mit dem das Wasser aus dem Boden gefördert wird, die Schenkel hart mache.

16 Jahre jung war Antonio Saeze, als sein Vater starb und er die Herrschaft über 6.000 Quadratkilometer Land und mehrere Tausend Menschen erhielt, die weit verteilt in Rundhütten lebten - als er Regulo von Guilondo wurde. Dies geschah vor 40 Jahren, Mosambik war damals noch portugiesische Kolonie, in der die Weißen das Sagen hatten. Die teilten die Männer zur "Chibalo" ein, einem System der Zwangsarbeit, und ließen die Frauen als Sklaven die Baumwolle pflücken. Die Weißen nahmen sich ihren Teil der Ernte, besetzten die wichtigen und oft genug auch die unwichtigen Ämter. Da sie aber dachten wie Weiße, blieb ihnen verborgen, was hinter der schwarzen Stirn ihrer geknechteten Untertanen vorging. Sie verstanden weder Religion noch Riten. Leicht konnte ihnen da die Kontrolle entgleiten, in diesem riesigen Land, in dem Hütten nicht in Dörfern zusammenstehen müssen, weil jede Familie genügend Platz hat, allein auf weiter Flur zu leben.

Da die Weißen wussten, dass sich die inneren Dinge ihrer Vernunft und ihrem Verständnis entzogen, ließen sie die Regulo an ihrem Platz und beschnitten sie nicht in ihrer Macht. Als diese Weißen dann 1975 Hals über Kopf aus dem Land flohen und es den sozialistischen Ideen der FRELIMO (*) und einer chaotischen Unabhängigkeit überließen, war Antonio Saeze gerade 26 Jahre alt. Da hatte es sich ausregiert und ausgeherrscht. Die FRELIMO wollte mit dem Kolonialismus aufräumen. Die Regulo wurden beschuldigt, Handlanger der Portugiesen gewesen zu sein, ihrer Ämter enthoben und aus den Dörfern gejagt. Nicht einmal an den Hochzeiten und Beerdigungen ließ man sie noch teilhaben. Als dann zehn Jahre später die Volksrepublik Mosambik im Bürgerkrieg versank und Zehntausende aus den Dörfern in die Städte flohen, zog auch Saeze mit ihnen. Ein armer vertriebener Bauern unter armen vertriebenen Bauern.

Dann aber kam die FRELIMO im Jahre 2002 zu der Überzeugung, das "chieftainship" - wie die Herrschaft eines Stammesführers inzwischen genannt wurde - sei doch keine schlechte Einrichtung und nehme der Regierung viel Arbeit ab. Vor allem die zeit- und personalaufwändige Verteilung von Landrechten hatten die Verwalter des Post-Sozialismus nicht im Griff. Noch immer nämlich ist es in Mosambik nicht möglich, Land zu erwerben - vergeben wird nur das Recht zur Bewirtschaftung. Wer nun wo und neben wem, wie lange und unter welchen Umständen, sein Haus bauen und seinen Samen säen darf, das wuchs den Distriktsbeamten, von denen die meisten nicht einmal eine Schreibmaschine besaßen - nicht zu reden von einem Computer mit verwaltungstauglicher Software - über den Kopf.

Antonio Saeze, inzwischen 54, sah sich wieder in Amt und Würden und erhielt dazu noch einen gebundenen Katalog, in dem unter Paragraphen und Artikelzeichen seine Rechte und Pflichten genau benannt waren. Alles hätte nun gut werden können, doch Saeze musste mit Bitterkeit feststellen, dass die einstigen Untertanen auf seine schützende Hand wenig Wert legten. Weil er sie nämlich nicht nur zum Segen, sondern auch zum Kassieren ausstreckte - so war es schließlich immer. Die Zustimmung zur Hochzeit, die Vergabe von Landrechten, das Schlichten im Streitfall, das kostete und kostet noch. Immerhin kann ein Regulo nicht Tag um Tag sein Feld bestellen wie ein Bauer. Er muss mit den Ahnen Zwiesprache halten, er muss seine Ratgeber auszahlen, deren Urteil zur weisen Ausübung der übertragenen Herrschaft unerlässlich ist.

Früher, als die Herrschaft der Regulo noch vom Vater auf den Sohn überging, eine Erbfolge, die lange vor der Ankunft der Portugiesen existierte, zweifelte niemand daran, dass jedem, der ohne Zustimmung des Regulo einen Entschluss fasste, Ungemach drohte. Der Sozialismus brach mit diesem Glauben.

Das habe den Regulo von seinen Leuten entfremdet, klagt Saeze. Sie gingen jetzt oft zu den staatlichen Stellen, wenn sie heiraten, beerdigen oder Recht wollten. Dort kosten die Genehmigungen nichts. Sie gehen zu den "Secretarios", ein Sammelbegriff, unter dem Saeze alle Positionen in der Verwaltung zusammenfasst. Lediglich in die Landvergabe kann ihm niemand hineinpfuschen. Und weiß denn ein "Secretario", wer in seinem Bezirk so alles wohnt?

Die Sonne saust schon im Sturzflug zum Horizont, wenn Saeze sich erhebt, um seinen Abendschnaps zu holen. In Grüppchen, die Hacke geschultert, kommen die Frauen vom Feld. Bald wird der karamellartige Geruch von warmen Süßkartoffeln in der Luft hängen. Auf der einen Seite des Tisches liegt unangetastet der schmale Stapel mit den Anträgen, auf der anderen schiebt Saeze seufzend die Regularien zusammen. Wenn im Herbst die Renamo (**) die Wahlen gewinne, sagt er noch, dann sei alles wieder gut. Mit der FRELIMO und ihren Ideen, mit den "Secretarios", die keine Verbindung zu den Ahnen aufnehmen wollten - nein, damit könne Mosambik keine Zukunft haben.

* Frente de Libertaçao de Mosambik, Befreiungsbewegung, nach der Unabhängigkeit am 25. September 1975 Staatspartei.

** Resistencia Nacional Mocambiquana, einst die bewaffnete Gegenkraft zur FRELIMO, seit 1980 maßgeblich von Südafrika unterstützt.

Aus: Freitag 31, 23. Juli 2004


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