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"Myanmar ist noch ein weißer Fleck auf der Landkarte"

Linke-Abgeordnete besuchte mit Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) vom 12. bis zum 15. Februar das asiatische Land. Gespräch mit Annette Groth *


Annette Groth ist Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion.

Was war der Sinn der Reise von Herrn Niebel?

Mit der Regierung und auch der Opposition Kontakte aufzunehmen. Mit politischen Gefangenen zu sprechen und zu sehen, wie weit der Demokratisierungsprozeß vorangeschritten ist. Und ein Besuch der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit geförderten Projekte. Eine der zentralen Fragen war die Aufhebung der Sanktionen gegen Myanmar.

Konnte der Minister Erfolge verzeichnen?

Ja. Die Regierung hat angefangen, politische Gefangene freizulassen. Noch sind aber nicht alle frei. Die zwei politischen Gefangenen, die wir getroffen haben, haben eine Liste erstellt, die demnächst dem deutschen Botschafter übergeben werden soll.

In Myanmar finden am 1. April Nachwahlen statt, erstmals darf die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi antreten. Welche Eindrücke hatten Sie vom Wahlkampf?

Wir hatten ein Gespräch mit Aung San Suu Kyi. Sie erzählte von einer Kundgebung in der Stadt Mandalay, wo den Schülern wie auch den Staatsbeamten verboten wurde, sich freizunehmen und an der Kundgebung teilzunehmen. Die Studenten mußten an diesem Tag außerplanmäßige Klausuren schreiben. Bei der Wahl am 1. April wird man schauen müssen, wie sie abläuft.

Worin besteht das politische Programm der Opposition unter Aung San Suu Kyi?

Das ist uns leider auch nicht ganz klar geworden. Demokratisierung sei ihr ein wichtiges Anliegen, sagte Aung San Suu Kyi. Ausländische Gäste geben sich bei ihr gerade die Klinke in die Hand; wir trafen zum Beispiel den österreichischen Außenminister. Auch der EU-Entwicklungshilfekommissar war gerade mit 200 Millionen Dollar im Gepäck in Myanmar. Bevor dieses Geld verteilt wird, sollte man genau analysieren, wohin es fließt und wer damit unterstützt wird: Das war ein wichtiges Anliegen für die »Lady«, wie die Oppositionsführerin auch genannt wird.

Seit 2010 ist in Myanmar eine neue Verfassung in Kraft. Im Westen wird seitdem häufig über eine Demokratisierung des Landes spekuliert. Teilen Sie diese Einschätzung?

Dazu ist noch zu früh. Alle, mit denen wir von der Regierung sprechen konnten, haben uns bestätigt, daß es Zeit für einen demokratischen Wandel sei, daß ohne diesen Wandel auch keine Entwicklung des Landes möglich wäre. Es gibt jedoch noch eine Reihe Mißstände, beispielsweise bei den Minderheiten in den Grenzgebieten zu Thailand, China und Laos.

Auch außenpolitisch soll eine Umorientierung der Regierung Myanmars stattfinden – weg von der engen Anbindung an die VR China. Haben Sie davon etwas bemerken können?

Das ist durchaus bemerkbar. Mehrere Minister bestätigten uns, daß das Land sich vom chinesischen Einfluß lösen wolle, um die Abhängigkeit von diesem mächtigen Nachbarn zu überwinden.

Also gibt es eine Annäherung an westliche Mächte?

Ja, das kann man so sagen. Auch aus der Delegation Herrn Niebels sagte das jemand recht salopp vor Ort: Jetzt sind schon alle da, die Deutschen sollten auch dabei sein. Myanmar ist so gesehen noch ein weißer Fleck auf der Landkarte – ein Land, das man abgrasen kann: vor allem die Rohstoffe; wichtiger Wachstumsmarkt ist auch der Tourismus.

Nach Jahren wirtschaftlicher Stagnation soll sich die Wirtschaft Myanmars langsam erholen. Ist der Aufschwung bemerkbar?

Da wir nur in Rangun waren, ist das natürlich schwer zu beurteilen. Ich habe keine bettelnden Menschen gesehen, der Autoverkehr hat stark zugenommen. Auch die Schere zwischen arm und reich ist größer geworden. Die Korruption bleibt ein großes Problem; es gibt Militärs, die durch Landverkäufe oder Drogenanbau und -handel sehr reich geworden sind. Der zunehmende Tourismus birgt obendrein soziale und ökologische Gefahren, die noch nicht absehbar sind. Es ist sicherlich so, daß die Lebensverhältnisse besser geworden sind. Trotzdem leben noch mindestens 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

Interview: Sebastian Carlens

* Aus: junge Welt, 27. Februar 2012


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