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Vertrag ist Vertrag

Eskalation bei Protest gegen Kupfermine Letpadaung: Harter kapitalistischer Modernisierungskurs nach Ende der Militärdiktatur spaltet Opposition

Von Thomas Berger *

Die geplante Kupfermine Letpadaung in Myanmar (Burma) wird zum Politikum. Kritiker des Projektes wollen auch nach der brutalen Niederschlagung ihrer Proteste durch die Polizei vor wenigen Tagen ihren Widerstand fortsetzen. Die Auseinandersetzungen um das Vorhaben sowie die laufende Untersuchung des Einsatzes der Sicherheitskräfte gegen Protestierende sind eine wichtige Bewährungsprobe für das junge und fragile demokratische System in dem südostasiatischen Land. Auch Oppositionschefin Aung San Suu Kyi hat sich eingeschaltet. Die Friedensnobelpreisträgerin nahm die Einladung der Regierung an, eine Sonderkommission zu leiten. Die soll das Vorgehen der Polizei untersuchen. Bei dem Einsatz waren mehrere Dutzend Protestteilnehmer zum Teil erheblich verletzt worden.

Die Mine Letpadaung im Nordwesten des Landes ist ein Joint Venture. Die einheimische Myanmar Economic Holdings, eines der zahlreichen Unternehmen in der Hand des auch nach dem Ende der jahrzehntelangen Alleinherrschaft noch immer einflußreichen Militärs, und der chinesische Konzern Wanbao wollen in dem Gebiet gemeinsam die dortigen Kupfervorkommen ausbeuten. Anwohner, unterstützt durch studentische Aktivisten und Teile des buddhistischen Klerus, wehren sich gegen geplante Zwangsumsiedlungen. Sie fordern einen Stopp der Arbeiten, um zunächst eine umfassende Analyse zu den sozialen und ökologischen Auswirkungen des Projektes zu erstellen. Elf Tage lang hatten die Widerständler das Gelände besetzt gehalten, bis am Donnerstag voriger Woche überraschend die Polizei mit großer Härte durchgriff. Sechst Protestcamps wurden zwangsgeräumt. Die staatlichen Repressionskräfte setzten den Berichten zufolge Tränengas, Wasserwerfer und Rauchbomben ein. Mehrere der Menschen mußten zudem wegen Verbrennungen an Gesicht und Armen medizinisch behandelt werden – einige der Bilder solcherart entstellter Mönche gingen mit über die großen Nachrichtenagenturen rund um den Erdball.

Der Schock und das Entsetzen über die brutale Polizeiaktion und die damit verbundene Negativwerbung war selbst in Regierungskreisen groß. Der als reformorientiert geltende Präsident Thein Sein wies umgehend die Bildung der Untersuchungskommission an. Nicht nur, daß diese von Suu Kyi als prominentestem Gesicht der Opposition angeführt werden soll, auch sonst sind neben weiteren Parlaments¬abgeordneten verschiedene Vertreter des gesellschaftlichen Lebens, wie ein Vertreter der nationalen Menschenrechtskommission und andere in das formell 19köpfige Gremium berufen worden. Zwei Plätze bleiben allerdings leer, da die eingeladenen Vertreter der »Generation 88« (einstige Anführer der Studentenerhebung 1988) eine Teilnahme abgelehnt haben. Die Gruppe sprach aber Suu Kyi ihr volles Vertrauen aus, die übernommene Aufgabe entsprechend zu bewältigen.

Es wird wohl ein politischer Drahtseilakt, und das dürfte der Oppositionschefin und seit April Parlamentsabgeordneten durchaus bewußt sein. Noch am Donnerstag traf Suu Kyi mit Anwohnern zusammen, führte danach außerdem Gespräche mit Firmenvertretern. Alles wirkt westlich professionell gemanagt: Der lokale Polizeichef hat sich inzwischen für das Vorgehen seiner Leute entschuldigt. Die Menschen in der betroffenen Region warten allerdings auf ein deutliches Signal des Bedauerns von Seiten höherer staatlicher Stellen. Das steht bislang aus. Die Regierung weigert sich auch, mehrere verhaftete Anführer der Protestbewegung freizulassen.

Vergangene Woche war die Situation eskaliert, die Proteste gegen das Vorhaben und vor allem die Art seiner Umsetzung (es erinnert an solcherart Vorgehen in Indien oder China) dauern schon mindestens seit September an. Etwa 3200 Hektar Land soll das Unternehmen unter seine Kontrolle gebracht haben. Die vormaligen Eigentümer – in der Regel arme Bauern – wurden nur wenig oder gar nicht entschädigt. Dies ist einer der Hauptvorwürfe der Widerständler an die Behörden und die Betreibergesellschaft.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die erhoffte Rückendeckung seitens Suu Kyis für die Forderung nach einem Stopp der Arbeiten blieb aus. Nur bei laufendem Betrieb sei eine Analyse der entstehenden Belastungen möglich, ließ sich die Widerstands¬ikone gegenüber Reportern vernehmen. Zudem lehnt sie einen einseitigen Ausstieg aus dem Vertrag, der noch unter der Militärdiktatur geschlossen wurde, ab. Dies würde zu einem Gesichtsverlust führen und wäre damit schlecht für das Investitionsklima im Land generell, so die Begründung.

Auf gleiche Weise lehnt auch die Regierung eine Rückabwicklung ab. Genau hier sehen Kritiker das grundlegende Problem: Myanmar, mit Ausnahme enger Anbindung an China über Jahrzehnte politisch wie wirtschaftlich isoliert, wirbt derzeit mit Macht nach ausländischen Investitionen. Damit soll der enorme ökonomische Rückstand speziell im Vergleich mit den Nachbarn in der Wirtschaftsgemeinschaft ASEAN aufgeholt werden. Aus dem Armenhaus der Region binnen weniger Jahre eine florierende Volkswirtschaft zu machen, dafür ist Regierung wie Opposition beinahe jedes Mittel recht. Auch Suu Kyi und ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) stimmen öfter in dieses Mantra ein und wischen Bedenken beiseite. »Einen bestehenden Vertrag, auch wenn er negative Folgen hat, können wir nicht aufkündigen«, sagte sie vor einer Menschenmenge an der umstrittenen Kupfermine. Letpadaung könnte damit sehr wohl zum Testfall werden, wie sehr sich ein rücksichtsloser Modernisierungskurs mit dem Staat als Handlanger ausländischer Konzerne durchsetzen läßt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 07. Dezember 2012


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