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Lernen von Singapur

Myanmar drängt in die Weltwirtschaft. Die notwendige Qualifizierung der Arbeitskräfte soll mit Hilfe des benachbarten Stadtstaates erfolgen

Von Thomas Berger *

Seit zwei Jahren befindet sich Myanmar (ehemals Burma) auf dem Weg aus der politischen und wirtschaftlichen Isolation. Nach erzielten Fortschritten dank politischer und ökonomischer Reformen verfolgen sowohl Regierung als auch Oppositionskräfte nunmehr ein gemeinsames Ziel: Den Aufbau (bzw. Entfesselung) der Produktivkräfte. Das Land soll aus seiner Armut und wirtschaftlichen Rückständigkeit befreit werden. Nur wenige Wirtschaftsbereiche, wie etwa der halboffizielle Export von Tropenhölzern, haben während der jahrzehntelangen Militärdiktatur floriert. Die Erlöse aus diesen staatlich sanktionierten Geschäften flossen hingegen in die Taschen weniger Profiteure. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft, und das eher schlecht als recht. Jegliche Industrie ist in Myanmar bislang nur rudimentär entwickelt. Es dürfte ein langer Weg werden, wirtschaftlich mit den südostasiatischen Nachbarstaaten mithalten zu können und das Land stärker in den Prozeß der internationalen Arbeitsteilung einzubringen. Dies erfordert mehr als nur ein paar neue Gesetze, die derzeit in den Amtsstuben der zuständigen Ministerien ausgearbeitet werden.

Lernen von Singapur, lautet momentan das Motto. Zumindest im Hinblick auf die notwendige berufliche Qualifikation seiner Bürger hat Myanmar den Blick auf den reichen und wirtschaftlich prosperierenden Stadtstaat in der Nachbarschaft geworfen. Ziel ist es, von dortigen Erfahrungen zu profitieren. In der vergangenen Woche wurde eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Arbeit Myanmars und der Singapore Polytechnic and Temasek Foundation unterzeichnet. Bei letzerer handelt es sich um eine Stiftung des mächtigen staatlichen Investmentkonzerns Temasek Holding. Von dort kommt ein Großteil der umgerechnet 210000 US-Dollar, mit denen zunächst die Schulung von zuständigen burmesischen Regierungsbeamten finanziert werden soll. Diese Weiterbildung übernimmt das Institut Singapore Polytechnic. Der erste Kurs soll in Singapur, ein zweiter in Myanmar stattfinden.

Das Arbeitsministerium in der Hauptstadt Naypyidaw ist derzeit dabei, ein Gesetz über berufliche Ausbildungsstandards durchs Parlament zu bringen. Etwa 200 staatliche und private Institutionen haben damit begonnen, Bürger des südostasiatischen Landes für die fachlichen Herausforderungen des angestrebten Wachstums fit zu machen.

Es ist eine Art Pflichtprogramm. Der erwartete Schub der einheimischen Wirtschaftsentwicklung wird zahlreiche neuer Betriebe und Unternehmen entstehen lassen, die ausgebildete Arbeitskräfte brauchen. Wesentlicher noch ist, daß entwickelter Kapitalismus die Freizügigkeit von Arbeitskräften voraussetzt. Gerade der sich zügig herausbildende südostasiatische Binnenmarkt, praktisch der regionale Teil der vielbeschworenen Globalisierung, erzeugt einen hohen Bedarf.

Die angebotenen Kurse, beispielsweise in Elektronik/Elektrotechnik und Schweißtechnik, werden zwar wohlwollend geduldet, folgen aber bisher höchst unterschiedlichen Vorgaben, Zielmarken und Qualitätskriterien. Jetzt streben die Behörden die Vereinheitlichung der Standards an, um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse zu gewährleisten.

Singapurs berufliches Ausbildungssystem gilt in der Region als vorbildlich. Nun sollen dort zunächst 30 Mitarbeiter von Myanmars zuständiger Behörde einen genaueren Einblick erhalten und Erfahrungen sammeln. Beim Workshop Nummer zwei im Heimatland wird es dann vor allem darum gehen, diese ersten Erfahrungen für ein eigenes Modell zu nutzen, das an die konkreten Verhältnisse in Myanmar angepaßt ist. Denn selbstverständlich ist eine Eins-zu-Eins-Kopie der entsprechenden Verfahren des singapurischen Standards von Workforce Skills Qualifications (WSQ) unmöglich. Denn schon die Grundvoraussetzungen für die Qualifizierung sind verschieden, angefangen bei der Tatsache, daß nur ein Drittel der Einwohner Myanmars eine weiterführende Schule bis zum Abschluß besucht hat.

Doch der Druck ist groß. Zahlreiche ausländische Investoren stehen in den Startlöchern, um in Myanmar Fuß zu fassen. Neben dem profitträchtigen Öl- und Gassektor sowie der Aussicht auf Ausbeutung der vielen Bodenschätze (die seit langem schon im Visier der Interessenten aus aller Welt sind), haben die Kapitalexporteure auch weitere Branchen ins Auge gefaßt.

Die Einbindung eines bislang isolierten Staates in den globalen Reproduktionsprozeß ist für die Regierung auch ein Balanceakt. Während es beim Anschluß an den Weltmarkt und bei der fortschreitenden Vernetzung im Rahmen des Regionalbündnisses ASEAN zum einen darum geht, auf gesetzlicher Grundlage zu verhindern, daß die Profite nicht im Übermaß ins Ausland abfließen, wäre es für Myanmar fatal, wenn die investierenden Firmen aus Mangel an ausreichend qualifizierten Bewerbern im Inland auch noch ihre eigenen Facharbeiter mitbringen würden. Schon jetzt ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit eines der gravierendsten sozialen Probleme Myanmars. Vor einem Wirtschaftsboom an der Masse der Bevölkerung vorbei hat auch die lange isolierte, inzwischen jedoch wieder politisch aktive Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wiederholt gewarnt.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. Juli 2012


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