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Burma und die Kreuzfahrer von heute

Responsibility to Protect: Eine Intervention neuen Typs

Von Lutz Herden *

Am 9. Dezember 1992 landen US-Truppen in Ostafrika - im grellen Licht der Scheinwerfer, erfasst von den Live-Kameras des Kanals CNN waten Marineinfanteristen durch den Indischen Ozean dem Strand von Mogadischu entgegen. D-Day für Somalia. Das Land soll vor einer "humanitären Katastrophe" bewahrt werden, heißt es. Zwei Monate vor seinem Abgang als Präsident interveniert George Bush sen. am Horn von Afrika, seine Männer ziehen als Teil eines UN-Kontingents landeinwärts und werden von US-Generälen geführt. Restore Hope - Hoffnung zurückbringen - nennt sich das Unternehmen.

Nach Lesart der UNO ist die Mission notwendig, da vier Fünftel der internationalen Lebensmittelhilfe für das vom Bürgerkrieg zerrüttete Somalia die Depots marodierender Warlords füllen und keinen Bedürftigen erreichen. Auch wenn das Internationale Rote Kreuz eine Verlustrate von höchstens 15 Prozent geltend macht - die Vereinten Nationen lassen sich in ihrem Handlungswillen nicht beirren. Dem Sicherheitsrat, besonders der damaligen US-Regierung, gilt Somalia als idealer Testfall für eine UN-Intervention neuen Typs. Unter dem Kommando der USA soll in einem offenkundig unregierbaren und unregierten Land nicht nur Frieden gewahrt (peace keeping), sondern offensiv - mit Waffengewalt - erzwungen werden (peace making), um eine unhaltbare humanitäre Situation zu bereinigen. Die UNO will sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts als globale Friedensmacht etablieren - die Amerikaner testen, wie sich ein so genannter failed state befrieden lässt, wenn man einmarschiert und ein UN-Mandat im Gepäck hat.

Bald zeigt sich freilich, Restore Hope gleicht dem Sprung in die Schlangengrube eines Bürgerkrieges und endet mit einem Debakel. Nachdem am 3. Oktober 1993 Milizen des Warlords Aidid getötete US-Soldaten unter dem Beifall der Bevölkerung durch Mogadischu geschleift haben, beordert Bush-Nachfolger Clinton das Somalia-Korps zurück. Eine "humanitäre Intervention" ist gescheitert und hinterlässt eine derart verheerende Wirkung, dass die Vereinten Nationen zwischen April und Juni 1994 tatenlos zusehen, als in Ruanda fanatische Hutu-Extremisten in einem Amoklauf der Gewalt mehr als eine Million Menschen massakrieren. Fühlte sich das Weltgewissen im Fall Somalia höchst alarmiert, scheint es beim Völkermord in Ruanda überfordert.

Umstrittene Rechtsfigur

Die somalische Lektion ist es wert, erinnert zu werden, wenn nach der Naturkatastrophe in Burma laut und immer lauter nach der "humanitären Intervention" gerufen wird. Diesmal möglicherweise ohne UN-Mandat und an der nationalen Regierung vorbei, obwohl die existiert und handlungsfähig ist, auch im Katastrophengebiet. Stattdessen wird es geradezu als selbstverständlich angesehen, dass die Souveränität des burmesischen Staates notfalls obsolet, dessen Regierung eher kein Partner und ein bewaffneter Konflikt möglich ist.

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz betrachtet es denn auch als durchaus legitim (Deutschlandfunk vom 13. Mai), bei Hilfsaktionen aus der Luft, den burmesischen Luftraum zu verletzen. Was es bedeutet, wenn dabei Flugzeuge abgeschossen werden, lässt er offen. Deutlicher wird der rechtspolitische Sprecher der linken Bundestagsfraktion, Wolfgang Neskovic, am 13. Mai gegenüber dem Tagesspiegel: "Man kommt mit Militär und verteilt Güter. Und wenn sich dann das dortige Militär einem entgegenstellt, dann stellt man sicher, dass man die Güter weiter verteilen kann." Mit anderen Worten, falls ein solches Vorgehen Kampfhandlungen auslöst, werden ausländische Truppen gegen burmesische Streitkräfte kämpfen, womit nur noch zu klären wäre: Entsandt und geführt von wem? Mit welchem militärischen Auftrag? Welchem politischen Ziel?

Jede Regierung eines souveränen Staates wird eine solche Handlungsweise zu recht als feindseligen Akt empfinden und schon im Ansatz zu verhindern suchen. Erst recht Burmas Obristen, die angesichts ihrer internationalen Ächtung jedes Eingreifen von außen als Vorspiel zum Regime Change fürchten und das nicht ohne Grund.

Zur Erinnerung: Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner erklärt unmittelbar nach dem Zyklon Nargis bei einem Treffen mit der deutschen Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, sein Land beabsichtige, Hilfsgüter per Kriegsschiff in Richtung Burma zu bringen. Die US-Regierung beordert parallel dazu den mit Marschflugkörpern ausgerüsteten Zerstörer USS Mustin, flankiert von drei Schiffen der Kampfgruppe Essex, in die Region. Zugleich werden Helikopter der Air Force für eine mögliche Luftbrücke nach Thailand verlegt.

In Washington nimmt sich am 5. Mai urplötzlich Laura Bush des Themas Burma an und wirft im Press Room des Weißen Hauses dem dortigen Staat vor: "Obwohl sie von der Bedrohung wussten, versäumten es Burmas staatlich kontrollierte Medien, die Bürger in der Schneise des Sturms rechtzeitig zu warnen." Die Irritation über den Auftritt der First Lady währt genau einen Tag, dann stellt sich heraus, sie war im Vorprogramm des Präsidenten tätig, der am 6. Mai an gleicher Stelle wissen lässt, er habe der burmesischen Oppositionellen Aung San Suu Kyi gerade jetzt die Congressional Gold Medal verleihen wollen, die höchste Auszeichnung des US-Kongresses, und denke zudem an drei Millionen Dollar Soforthilfe, die auf jeden Fall ankommen müssten. Währenddessen hat sein UN-Botschafter Zalmay Khalilzad keine Zweifel, "dass die Fähigkeit der burmesischen Regierung, die katastrophale Situation zu bewältigen, beschränkt ist". Ein Diplomat aus Khalilzads Umgebung ergänzt: "Wir versuchen ihren Untergang zu beschleunigen." - Was kann geeigneter sein, die Junta von Naypidaw in ihrem Willen zur Blockade internationaler Hilfe zu bestärken? Wie lässt sich wirksamer verhindern, was angeblich erreicht werden soll: der ungehinderte Transfer von Hilfe ins Irrawaddy-Delta?

Das Urteil von außen lässt nicht auf sich warten: Die Generäle opfern Zehntausende ihrer Landsleute, um das eigene politische Überleben zu sichern. Ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte, der einen übergesetzlichen Notstand heraufbeschwört, ein militärisches Einschreiten ist nicht auszuschließen - ein Fall für responsibility to protect, die neue Rechtsfigur aus dem Baukasten globaler Ordnungspolitik.

Der Begriff reflektiert ein Handlungsraster, wie es auf dem UN-Gipfel 2005 mit einem ausdrücklich als unverbindlich deklarierten Dokument verabschiedet wurde. Darin steht, die Staaten bekennen sich zur eigenen "Verantwortung für den Schutz ihrer Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Für den Fall, dass nationale Regierungen dem zuwider handeln, werden kollektive Maßnahmen der UNO in Aussicht gestellt, die es jedoch nur geben darf, wenn der Sicherheitsrat zustimmt. Unschwer zu erkennen, hier hat sich die "humanitäre Intervention" als - gegebenenfalls militärisch wahrzunehmende - "Schutzverantwortung" (responsibility to protect) frisch eingekleidet. Eine umstrittene Rechtsfigur, weil damit die Entmündigung souveräner Staaten möglich und bei höchst pauschal definierten Notlagen eine Intervention legitimiert wird. Russland und China, ebenso Südafrika und Indien, haben daher 2005 darauf bestanden, eine derartige "Schutzverantwortung" an Voten des Sicherheitsrates zu binden. Mit Burma nach dem Zyklon Nargis ergibt sich die Gelegenheit, genau das in Frage zu stellen und auch ohne UN-Mandat der responsibility to protect gerecht zu werden.

Willkommener Steilpass

Für Bush, Sarkozy, Kouchner, aber auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ist das Land der verstockten Generäle augenblicklich der Präzedenzfall, um das Prinzip "Schutzverantwortung" als Handlungsoption durchzuspielen und so ausdauernd wie suggestiv zu fragen: Ist das Verhalten der Junta nicht ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit"? Was soll geschehen, wenn da die UNO nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben ist? Muss nicht die "internationale Staatengemeinschaft" (wer das auch immer ist) deren Ausfall kompensieren?

Dabei besteht das Paradigmatische der burmesischen Übung auch darin, eine militärische Drohkulisse aufzubauen und damit den Wunsch nach einer Intervention so stark im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, dass er sich bei vergleichbaren Situationen wie ein Reflex abrufen lässt. Nach dem Prinzip Learning by doing implementiert ein "humanitärer Interventionismus" Handlungsfolien eines als Zuchtmeister auftretenden Menschenrechtsimperialismus. Gewiss nicht ganz rechtskonform, weil Rechtsnormen (Staatssouveränität, territoriale Unversehrtheit) missachtet werden, aber auch nicht ganz rechtsnihilistisch, weil sich die UN-Mitglieder 2005 - unverbindlich, aber immerhin - über responsibility to protect verständigt haben. Auf jeden Fall ein willkommener Steilpass für Politiker, zumal in Deutschland, die es gewohnt sind, nach Augenschein zu urteilen und dabei so neutral und ideologiefrei zu sein wie der Dalai Lama.

Man denkt an jene Tage im März, als ein anti-chinesischer Pogrom zum pro-tibetischen Aufstand verklärt wurde, und fragt sich, wann die Provinz Tibet als das Kosovo der Volksrepublik China ausgemacht und von der "Staatengemeinschaft" für die responsibility to protect reklamiert wird.

* Aus: Wochenzeitung "Freitag" 21, 23. Mai 2008


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