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"Triumph des Volkes"

Myanmars Opposition bei Nachwahl erfolgreich *

Myanmars Oppositionspartei NLD hat bei den Nachwahlen zum Parlament kühnste Erwartungen übertroffen.

Die Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi holte nach eigenen Angaben mindestens 43 der zu vergebenden 45 Sitze. »Das ist ein Triumph des Volkes«, sagte Suu Kyi am Montag (2. April) vor Anhängern in Yangon. »Wir hoffen, dass damit eine neue Ära beginnt, in der die Menschen aktiv an der Politik des Landes teilhaben.« Die 66-Jährige stand mehr als 15 Jahre unter Hausarrest. Sie gewann nach Parteiangaben in ihrem Wahlkreis 90 Prozent der Stimmen.

Bei der Nachwahl ging es lediglich um einen kleinen Teil aller Mandate. Die militärnahe Regierungspartei USDP erlebte eine beispiellose Niederlage. Die vakanten Sitze waren zuvor alle in ihren Händen. Sie waren frei geworden, weil die Abgeordneten in Regierungsämter berufen worden waren. Selbst im Wahlkreis von Präsident Thein Sein in der Retortenhauptstadt Naypyidaw war die Nationalliga für Demokratie (NLD) erfolgreich. Das offizielle Ergebnis der Wahlkommission wird erst in einigen Tagen erwartet. Die Auszählung fand aber öffentlich im Beisein von Parteivertretern statt.

Myanmar erhält damit gut ein Jahr nach dem Ende der fast 50-jährigen Militärherrschaft eine erstzunehmende Opposition. Zahlenmäßig bleibt die NLD zwar klein, da Militär und USDP zusammen mehr als 80 Prozent der Stimmen im Parlament kontrollieren. Die NLD war bei den eigentlichen Wahlen 2010 aus Protest gegen unannehmbare Auflagen nicht angetreten. Das Wahlergebnis könne aber einen Vorgeschmack auf die Parlamentswahlen 2015 geben, meinten Analysten. Suu Kyi hat eine Kandidatur als Präsidentin nicht ausgeschlossen.

»Die Regierung wollte möglichst faire Nachwahlen, damit die internationale Gemeinschaft positiv reagiert«, sagte der myanmarische Politologe Win Min an der Harvard-Universität. Präsident Thein Sein hat in mit Reformen überrascht, darunter der Freilassung von politischen Gefangenen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. April 2012


Hoffen auf neue Ära

Myanmar: Wahlkommission bestätigt Sieg der Partei von Aung San Suu Kyi **

Einen Tag nach ihrem Triumph bei der Nachwahl in Myanmar ist die langjährige Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi am Montag als strahlende Siegerin vor ihre Anhänger getreten. »Unser Erfolg ist ein Erfolg des Volkes«, sagte die Friedensnobelpreisträgerin vor der Parteizentrale ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) in der Metropole Yangon. Tausende Unterstützer jubelten ihr zu und skandierten ihren Namen. »Es ist nicht so sehr unser Triumph, sondern der Triumph des Volkes, das entschieden hat, sich am politischen Prozeß in diesem Land zu beteiligen«, betonte Suu Kyi.

Die NLD habe 40 von 45 Mandaten errungen, meldete der staatliche Rundfunk am Montag unter Berufung auf die Wahlkommission. Aus fünf Bezirken lägen noch keine Ergebnisse vor. NLD-Sprecher Han Than hingegen erklärte, seine Partei habe mindestens 43 der 44 Parlamentssitze erobert, um die sie sich beworben hatte. In der Hauptstadt Naypyitaw habe die Bewegung alle vier Sitze errungen. Ein Sprecher der Wahlkommission bestätigte inoffiziell, daß die NLD alle sechs Wahlkreise in der Metropole Yangon gewonnen habe. Ergebnisse aus abgelegeneren Gegenden würden bis Mitte der Woche erwartet, hieß es.

Nach dem Wahlsieg Suu Kyis in ihrem eigenen Wahlkreis südlich von Yangon bekräftigte ein Berater von Präsident Thein Sein die Möglichkeit, daß die Friedensnobelpreisträgerin einen Posten im Kabinett erhalten könnte. »Sie könnte angesichts ihrer Fähigkeiten jede verantwortungsvolle Position übernehmen«, sagte Nay Zin Latt.

Suu Kyi stand fast 20 Jahre unter Hausarrest, nachdem ihre Partei bei den Parlamentswahlen 1990 einen überwältigenden Sieg erzielt hatte, der von der Militärjunta allerdings nicht anerkannt worden war. Sollte ihr Sieg bei der Nachwahl bestätigt werden, wäre es das erste Mal, daß die 66jährige ein öffentliches Amt bekleidet. Insgesamt standen bei der Nachwahl am Sonntag 45 freigewordene Sitze im 664 Mitglieder zählenden Parlament zur Wahl.

Die Leiterin der Wahlbeobachtermission der EU, Malgorzata Wasilewska, zeigte sich mit dem Ablauf der Abstimmung grundsätzlich zufrieden. US-Außenministerin Hillary Clinton begrüßte das Ergebnis der Nachwahl. »Selbst die repressivsten Regime können sich reformieren, selbst die am stärksten abgeschotteten Gesellschaften können sich öffnen«, sagte sie auf einer Pressekonferenz in Istanbul. (dapd/jW)

** Aus: junge Welt, Dienstag, 3. April 2012


Prüfungen am Irrawaddy

Von Detlef D. Pries ***

Vorsorglich hatte Aung San Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin und Galionsfigur der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie (NLD) in Myanmar, über die Behinderung ihrer Partei im Wahlkampf geklagt. Davon ist nach der Abstimmung nicht mehr die Rede. Warum auch, wenn 43 von 45 ausgeschriebenen Parlamentssitzen an die NLD gehen? So viele beansprucht wenigstens die Liga. Offizielle Ergebnisse liegen noch nicht vor, doch alle Beobachter sprechen von einem fairen und transparenten Wahlverlauf, die »Lady« selbst von einem »Triumph des Volkes« und von der Hoffnung auf den Beginn einer neuen Ära im Vielvölkerstaat am Irrawaddy.

Nicht zu vergessen ist: Am Sonntag waren nur 45 von 600 Parlamentssitzen zu vergeben. Die Machtverhältnisse in Myanmar, das seit gut 50 Jahren von Militärs regiert wird, haben sich nicht entscheidend verändert. Doch ohne Zweifel war die Nachwahl am Sonntag nicht nur ein Test für den Reformwillen der Herrschenden, sondern auch ein Test der Stimmungen in der Bevölkerung. Das Ergebnis ist eindeutig, und das gilt für beide Prüfungen.

Die Militärs, zumindest aber der zum zivilen Regierungsdienst abkommandierte Teil, scheinen schrittweise demokratische Spielregeln akzeptieren zu wollen. Aus innerer Überzeugung oder unter äußerem Zwang? Der deutsche Entwicklungsminister lobt jedenfalls großspurig die friedensstiftende Wirkung westlicher Sanktionen, man müsse eben nur einen »langen Atem« haben. Gewiss gibt es keinen Grund, die Schuld der Generäle an der Verarmung des Landes zu verharmlosen, aber es mutet mindestens zynisch an, ein Volk durch Sanktionen noch tiefer ins Elend zu stoßen, um sich anschließend als dessen Wohltäter aufspielen zu können. Zumal wenn die Ankündigung, die Zwangsschrauben würden nun gelockert, auch der Angst geschuldet ist, beim Geschäft mit Myanmars natürlichen Reichtümern zu kurz zu kommen.

Aung San Suu Kyi denkt derweil bereits an die nächsten Parlamentswahlen im Jahre 2015 und an eine Kandidatur fürs Präsidentenamt. Im Erfolgsfall stünde auch ihr ein Test bevor, eigentlich die wahre Prüfung: Kann sie die Hoffnungen der Bevölkerung erfüllen, Frieden mit allen Minderheiten schließen und die Ausplünderung des Landes verhindern?

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. April 2012 (Kommentar)


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