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Schneise der Zerstörung durch Myanmar

Wenige Tage nach dem Wüten des Zyklons Nargis ist eine Volksabstimmung angesetzt

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Myanmars Militärregierung hat in fünf Gebieten, durch die der Zyklon Nargis am Wochenende eine Schneise von Tod und Zerstörung schlug, den Notstand ausgerufen. Mindestens 4000 Menschen starben, hunderttausende wurden obdachlos. Trotzdem soll am Sonnabend (10. Mai) ein Verfassungsreferendum stattfinden.

Weite Gebiete im zentralen Myanmar sind von der Außenwelt abgeschnitten, noch ist das ganze Ausmaß der Zerstörungen nicht absehbar und Hilfe läuft nur schleppend an. Im Lande wird die Frage laut, warum die Regierung die Bevölkerung nicht vor dem Zyklon der Kategorie 3 gewarnt hat. Weg und Verlauf von Nargis waren dank Satellitenaufnahmen seit Tagen vorhersehbar. Im Nachbarstaat Bangladesch wird die Bevölkerung regelmäßig vor Wirbelstürmen gewarnt, damit sie rechtzeitig Unterschlupf in eigenen Schutzbunkern finden kann. In Myanmar dagegen wurden keine Vorkehrungen getroffen. Insbesondere entlang der schwer erreichbaren Küstengebiete wurde die ohnehin kärgliche Infrastruktur nahezu ausgelöscht. Schwer sind die Zerstörungen auch in der Metropole Yangon (Rangun). Die frühere Hauptstadt blieb auch am Montag größtenteils ohne Strom, wobei Unterbrechungen der Stromversorgung ohnehin häufig sind. Doch Nargis hat die Lebensbedingungen in Yangon erheblich verschlimmert: Die Preise sind über Nacht explosionsartig gestiegen. Eine Flasche Trinkwasser war am Montag dreimal so teuer wie letzte Woche: umgerechnet einen Dollar. Das in einem Land, wo die meisten Menschen von zwei Dollar am Tag leben. Aus Angst vor Plünderungen verkauften die meisten Läden Nahrungsmittel und Trinkwasser nur zwischen den Stäben ihrer Eisengitter hindurch.

Nargis' Weg führte von teilweise gänzlich plattgewalzten Inseln über Küstengebiete, das fruchtbare Irrawaddy-Delta bis hinauf zum nordwestlichen Thailand, wo Ausläufer des Zyklons noch schwere Überschwemmungen auslösten. Am heutigen Dienstag soll eine erste Maschine mit Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern aus Thailand in Myanmar eintreffen. UN-Katastrophenhelfer trafen am Montag in Bangkok Vorbereitungen für die Lieferung von Decken und Moskitonetzen, Filtern und Tabletten zur Trinkwasseraufbereitung und von Wellblechen. Denn Nargis hat zahllosen Häusern die Dächer weggerissen. Es wird damit gerechnet, dass die Militärregierung Hilfsangebote ohne Auflagen oder Beschränkungen zulässt. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz haben ihre Arbeit bereits am Wochenende mit einheimischem Personal aufgenommen.

Angesichts der existenziellen Sorgen vieler Menschen mutet das Festhalten der Regierung an der Abstimmung über Myanmars neue Verfassung am 10. Mai merkwürdig an. »Die Abstimmung ist nur ein paar Tage entfernt und die Bevölkerung kann es kaum erwarten, an die Wahlurnen zu gehen«, hieß es in einer von den staatlichen Medien übertragenen Erklärung.

Erstmals seit rund zwei Jahrzehnten an die Wahlurnen zu gehen, das klingt tatsächlich wie die Verwirklichung eines lange ersehnten Wunsches. Doch die Burmesen stehen vor einer »Wahl ohne Wahl«. Die von ausgewählten Abgeordneten ausgearbeitete Verfassung sieht eine »disziplinierte Demokratie« vor. Der Präsident muss demzufolge Angehöriger der Armee sein und eine Zivilregierung ist absetzbar, sollte sie die »nationale Sicherheit« gefährden. Die Opposition um Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die unter Hausarrest steht, am Sonnabend aber abstimmen darf, hat eine landesweite Kampagne gegen das Referendum geführt, die in den staatlichen Medien freilich nicht erwähnt wurde. Dort ist stattdessen von einem Schicksalstag die Rede und vom Weg zur Demokratie. Wird die Verfassung angenommen, sollen innerhalb eines Jahres Wahlen folgen.

Den Generälen scheint ein deutliches Ja beim Referendum sicher zu sein, sie werden auch unter einer Zivilregierung weiter das letzte Wort haben. Derweil ist die Stimmung vom letzten September, als protestierende Mönche durch die Straßen zogen, denen Hunderttausende folgten, nur noch ferne Erinnerung. Anzeichen für eine Neuauflage der Massenbewegung gibt es nicht. Medien zitierten einen Bewohner Yangons, der stillen Hass äußerte auf »die Uniformierten«, die Leute zusammenprügeln könnten: »Jetzt sollten sie sich in Massen zeigen und uns helfen.«

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2008


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