Wie weit ging die Kompromissbereitschaft Baraks in Camp David?
Israels territoriale "Konzessionen": Mehr Legende denn Wirklichkeit
Unter dem Titel "Israelische 'Konzessionen' - Der verpasste Kompromiss" erschien in der Dezemberausgabe von Le monde diplomatique eine Analyse von Faisal Husseini, einem Mitglied des Exekutivkomitees der PLO, zuständig für die Jerusalemfrage. Darin wird der Frage nachgegangen, wie weit Baraks Kompromissbereitschaft bei den Verhandlungen in Camp David tatsächlich ging. Wir dokumentieren Auszüge.
...
Die Palästinenser konnten die positiven Seiten des Oslo-Prozesses
nicht realisieren - im Gegenteil: Seit 1993 mussten sie erleben, wie
weitere Teile ihres Landes für Siedlungen beschlagnahmt wurden
und wie die israelische Politik der militärischen Abriegelung ihre
Wirtschaft ruinierte. Die oben abgedruckten Karten
(sie fehlen hier), auf denen die
von Israel in Camp David präsentierten Projekte Gestalt annehmen,
machen deutlich, dass man für diese Probleme keine Lösungen
gefunden hat. Die Gebiete unter vollständiger palästinensischer
Kontrolle (Zone A) sind ein Flickenteppich unzusammenhängender
Enklaven, die weder das besetzte Ostjerusalem umfassen noch die
Gebiete, die an andere arabische Länder grenzen.
In Camp David hat Israel nicht etwa versucht, diese Probleme zu
lösen, sondern war im Gegenteil bemüht, seinen eigenen Einfluss
noch zu verstärken. Wie die Karten zeigen, ist das Westjordanland
in drei Kantone aufgeteilt, während zugleich die jüdischen
Siedlungen bestehen bleiben. Und Ostjerusalem bietet das Bild eines
unentwirrbaren Gemenges aus jüdischen Siedlungen und
palästinensisch kontrollierten Zonen. Ein solcher Vertrag bietet in
keiner Weise die Voraussetzungen für einen politisch unabhängigen
und wirtschaftlich lebensfähigen Staat.
Dennoch sind in den vergangenen Jahren die Grundlinien für die
Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts festgelegt worden.
1988, noch im Exil in Algier, stimmte der Palästinensische
Nationalrat (PNC) mehrheitlich für eine Lösung auf der Basis der
Koexistenz zweier Staaten, unter Beachtung der
UN-Sicherheitsrats-Resolutionen 242 und 338, die von Israel den
Rückzug aus allen Gebieten fordern, die es im Krieg von 1967
besetzt hat. Dieser historische Beschluss bedeutete nicht nur die
Anerkennung des Existenzrechts Israels, sondern auch das
Einverständnis, dass Israel dieses Existenzrecht auf einem
Territorium wahrnehmen kann, das einer Fläche von 78 Prozent des
geschichtlichen Palästina entspricht. Der Nationalrat gab sich also
mit einem palästinensischen Staat zufrieden, der sich auf 22 Prozent
dieses Territoriums beschränkt, nämlich den Gasastreifen und das
Westjordanland, unter Einbeziehung Jerusalems. Damit hat das
autochthone Volk Palästinas dem Staat Israel innerhalb der Grenzen
vom 4. Juni 1967 die Anerkennung seiner Existenz in Frieden und
Sicherheit garantiert.
Die Entscheidung des PNC ebnete den Weg für die Konferenz von
Madrid 1991 und die Gespräche, deren Resultat dann 1993 der
Vertrag von Oslo war. Damit hatten sich beide Seiten bereit erklärt,
die UNO-Resolutionen umzusetzen, das heißt mit dem Grundsatz
"Land gegen Frieden" ernst zu machen. ...
Sieben Jahre nach Oslo sind nicht mehr als 70 Prozent des
Gasastreifens und 40 Prozent des Westjordanlands unter -
eingeschränkter - palästinensischer Kontrolle. Die in den Verträgen
vereinbarte dritte Phase des Rückzugs wird von israelischer Seite
immer wieder hinausgezögert. Und im Laufe der Jahre, aber
insbesondere unter der Regierung Barak, hatte Israel in vielfacher
Weise neue Fakten geschaffen, indem die Errichtung von Siedlungen
und die Konfiszierung von Land beschleunigt vorangetrieben
wurden: Seit den Verträgen von Oslo haben sich über 80.000
weitere Siedler im Westjordanland niedergelassen. Der Mehrheit
der Palästinenser bleibt der Zugang zur Heiligen Stadt Jerusalem
verwehrt, ihre Möglichkeiten, sich im Westjordanland von Stadt zu
Stadt sowie zwischen dem Westjordanland und dem Gasastreifen zu
bewegen, sind stark eingeschränkt.
In Camp David saßen wir einem Verhandlungspartner gegenüber,
der sehr viel mächtiger ist als wir, wobei die USA keineswegs als
neutraler Vermittler auftraten. Sie betätigten sich vielmehr als
Parteigänger Israels, um uns so weit reichende Zugeständnisse
abzuringen, dass sie für das palästinensische Volk niemals
akzeptabel gewesen wären. Und auch nicht - was den Punkt
Jerusalem betrifft - für die arabische und muslimische Welt
insgesamt. Damit war das Gipfeltreffen gescheitert.
Trotz allem hat Camp David für beide Seiten einen großen Schritt
nach vorn bedeutet, denn wir haben bei diesem Treffen eine ganze
Reihe von Hindernissen überwunden. Aber leider war Ehud Barak
so sehr in innenpolitische Probleme verstrickt, dass er nach seiner
Rückkehr begann, kurzsichtige Maßnahmen zu ergreifen, nur um
seine Regierung zu retten. Besonders tragisch war die Entscheidung,
Ariel Scharon - ein Kriegsverbrecher, mit dem er eine
Koalitionsregierung zu bilden erhoffte - einen Auftritt im haram
asch-scharif auf dem Tempelberg zu gestatten, der drittheiligsten
Stätte des Islam. Die Proteste, die dieser Besuch auslöste,
entwickelten sich rasch zu einem Volksaufstand, in dem sich die
jahrelange Enttäuschung und Erniedrigung entlud.
... Der brutale und exzessive Einsatz von Gewalt durch
Israel hat deutlich gemacht, dass die Palästinenser auf eine
internationale Friedenstruppe angewiesen sind, um ihre Sicherheit zu
gewährleisten.
Darüber hinaus muss ein internationaler Kontrollmechanismus
installiert werden, damit Israel die Abkommen, die es unterzeichnet
hat, auch in die Realität umsetzt. Zugleich muss die Welt
akzeptieren, dass die Palästinenser verhandeln und gleichzeitig
demonstrieren können - so wie die Israelis gleichzeitig verhandeln
und Siedlungen bauen können.
Man wird einen neuen Verhandlungsmechanismus finden müssen,
der es erlaubt, den Geist des Vertrauens wieder aufzubauen, der
sich 1991 bei der Madrider Konferenz zu bilden begonnen hatte
und auf der Umsetzung der UN-Beschlüsse beruhte. Wenn ein
solcher Ansatz gelingt, dann gibt es auch Aussicht auf weitere
Fortschritte: Der Friedensprozess kann die Kriegshandlungen, die
Vernunft kann die Logik der Gewalt ablösen. ...
Faisal Husseini
(dt. Edgar Peinelt)
Aus: Le Monde diplomatique, Beilage zur taz, 15. Dezember 2000
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