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Ein sehr einseitiger Krieg / A Very One-Sided War

Von Uri Avnery / By Uri Avnery

„Von meinetwegen, können sie alle verhungern!“ verkündete Zachi Hanegbi, nachdem die palästinensischen Gefangenen einen zeitlich unbegrenzten Hungerstreik wegen der Gefängnis-bedingungen erklärt hatten. Auf diese Weise fügte der Minister für Innere Sicherheit dem Lexikon über den israelisch-palästinensischen Konflikt einen weiteren denkwürdigen Satz hinzu.
Hanegbi wurde das erste Mal berühmt (oder berüchtigt) als von ihm als Student ein Photo aufgenommen wurde, während er mit seinen Freunden arabische Studenten mit Fahrradketten jagte. Damals veröffentlichte ich ein Photo von ihm, das in den 30er Jahren deutsche und polnische Studenten nicht beschämt hätte. Es gibt nur einen kleinen Unterschied: in den Dreißigern waren die Juden die Verfolgten – jetzt sind sie die Verfolger.

Mittlerweile hat sich Hanegbi wie viele junge Radikale verändert – er wurde ein rücksichtloser Karrierist. Er ist ein Minister geworden, der selbst an heißen Sommertagen elegante Anzüge trägt und der mit der typischen, wichtigtuerischen Gangart eines Kabinettsministers daherkommt. Jetzt unterstützt er sogar Ariel Sharons Abzugsplan – sehr zum Missfallen seiner Mutter Geula Cohen, einer extrem rechten Militanten, die sich nicht verändert hat.

Doch abgesehen vom Ministeranzug und der Toga des Staatsmannes, ist Zachi Zachi geblieben, was durch die totale Unmenschlichkeit seines Statements über die Gefangenen deutlich wird, für deren Wohlergehen er offiziell verantwortlich ist. Sein Einfluss beschränkt sich nicht auf Worte: die augenblickliche Gefängniskrise wurde durch seine Ernennung eines neuen Direktors der Gefängnisse ausgelöst, der sofort daran ging, für die palästinensischen Gefangenen härtere Bedingungen zu schaffen.

Doch wollen wir nicht zu viele Gedanken über den ehrenwerten Minister verschwenden. Viel wichtiger ist es, sich Gedanken über den Streik selbst zu machen.

Das Grundübel liegt in einer israelischen Erfindung: der einseitige Krieg. Die Generäle der israelischen Armee erklären immer wieder, wir befänden uns in einem Krieg. Der Kriegszustand erlaubt ihnen, Akte wie „gezielte Tötungen“ zu verüben, die man sonst Mord nennen würde. Aber in einem Krieg tötet man den Feind ohne Gerichtsverfahren. Und im Allgemeinen sind das Töten und Verletzen von Menschen, das Zerstören von Häusern und Plantagen und all die anderen Akte der Besatzung zu alltäglichen Vorfällen geworden, die durch den Kriegszustand gerechtfertigt werden.
Aber dies ist ein sehr spezieller Krieg, weil er nur den Kämpfern der einen Seite Rechte zugesteht. Auf der anderen Seite ist kein Krieg, gibt es keine Kämpfer, kein Recht der Kämpfer – sondern nur Verbrecher, Terroristen und Mörder.

Warum?
In früheren Zeiten machte man einen klaren Unterschied: man war Soldat, wenn man eine Uniform trug; wenn man keine Uniform trug, war man ein Verbrecher. Soldaten einer angreifenden Armee war es erlaubt, lokale Bewohner, die auf sie schossen, an Ort und Stelle zu exekutieren. Aber in der Mitte des 20. Jahrhunderts änderte sich dies. Weltweit wurde man sich darin einig, dass die Mitglieder des französischen Widerstandes, die russischen, jugoslawischen u.a. Partisanen Kämpfer waren und deshalb als legitime Kämpfer unter internationalem Schutz standen. Internationale Konventionen und Kriegsregeln wurden entsprechend abgeändert.

Was ist also der Unterschied zwischen Soldaten und Terroristen? Nun, die Besatzer sagen, da bestehe ein riesiger Unterschied: Soldaten bekämpfen Soldaten, Terroristen verletzen unschuldige Zivilisten.

Wirklich? Der Pilot, der über Hiroshima die Atombombe warf, tötete Zehntausende von unschuldigen Zivilisten – war er ein Soldat oder ein Krimineller, ein Terrorist? Und was waren die Piloten, die ganze Städte wie Hamburg und Dresden zerstörten, als es dafür keine triftige militärische Notwendigkeit mehr gab? Das erklärte Ziel war, den Willen der deutschen Zivilbevölkerung zu brechen und sie zur Kapitulation zu zwingen. Waren die Kommandeure der britischen und amerikanischen Luftwaffe Terroristen (wie die Nazis sie damals tatsächlich nannten und so das Wort „Terrorflieger“ erfanden)?

Was ist der Unterschied zwischen einem amerikanischen Piloten, der eine Bombe auf einen Bagdader Markt fallen lässt und einem irakischen Terroristen, der eine Bombe auf demselben Markt explodieren lässt? Die Tatsache, dass der Pilot eine Uniform trägt? Oder dass er seine Bombe aus größerer Entfernung fallen lässt und so die Kinder natürlich nicht sieht, die er tötet?

Ich sage dies nicht, um das Töten von Zivilisten zu rechtfertigen, Gott bewahre! Im Gegenteil – ich verurteile dies absolut, egal, wer das tut: ob Soldaten, Guerillas, Piloten hoch oben oder Terroristen hier unten. Für alle gilt ein und dasselbe Gesetz.

Soldaten, die vom Feind gefangen genommen werden, werden Kriegsgefangene, denen Rechte zustehen, die von internationalen Konventionen garantiert werden. Eine spezielle internationale Organisation – das Rote Kreuz – überwacht dies. Kriegsgefangene werden nicht wegen Strafe oder aus Rache festgehalten, sondern nur, um sie daran zu hindern, zum Schlachtfeld zurückzukehren. Sie werden entlassen, sobald der Frieden einkehrt.

Von ihren Feinden gefangene Untergrundkämpfer werden oft wie Verbrecher vor Gericht gestellt. Ihnen werden in Israel nicht nur die Rechte der Kriegsgefangenen (POW) entzogen, ihre Gefängnisbedingungen sind schlimmer als die unmenschlichen Bedingungen, die israelischen Kriminellen auferlegt werden. Die Amerikaner haben von uns gelernt und Präsident George W. Bush hat afghanische Kämpfer in ein extra für sie errichtetes, berüchtigtes Gefängnis in Guatanamo geschickt, wo sie aller menschlichen Rechte beraubt sind, der Rechte der Kriegsgefangenen und der Rechte gewöhnlicher krimineller Gefangenen.

Als vor sechzig Jahren die jüdischen Untergrundorganisationen gegen das britische Besatzungs- und Kolonialregime in Palästina kämpften, forderten wir, dass unseren Gefangenen die Rechte der Kriegsgefangenen gewährt werden. Die Briten waren nicht damit einverstanden; in der Praxis aber wurden die Gefangenen so behandelt, als wären sie POWs. Die gefangenen Untergrundkämpfer konnten sich an einem Fernstudium beteiligen. Viele von ihnen konnten ihr Jura- oder andere Studien in britischen Gefängnislagern abschließen.

Eine der damaligen Gefangenen war Geula Cohen, Zachi Hanegbis Mutter. Man würde wohl gerne wissen wollen, wie sie und ihre Kameraden der Stern-Untergrundgruppe reagiert hätten, wenn ein britischer Polizeikommandeur erklärt hätte: „Es kümmerte mich einen Dreck, wenn sie im Gefängnis gestorben wäre.“ Wahrscheinlich hätten sie versucht, ihn zu ermorden. Glücklicherweise handelten die Briten anders. Sie brachten sie sogar zur Behandlung in ein Krankenhaus, (aus dem sie mit Hilfe von arabischen Dorfbewohnern fliehen konnte).

Gegenüber den irischen Untergrundkämpfern verfolgten die Briten eine andere Linie. Als diese einen Hungerstreik erklärten, ließ Margaret Thatcher sie Hungers sterben. Diese Episode brachte ihr zusätzlich zu ihrer Haltung gegenüber Arbeitern und Bedürftigen den Ruf als unmenschliche Person ein.

Menschliche Behandlung von politischen Gefangenen ist auch aus rein pragmatischen Gründen richtig. Ex-Gefangene besetzen nun die oberen Ränge der palästinensischen Behörde. Männer, die 10, 15 oder gar 20 Jahre in israelischen Gefängnissen saßen, sind politische Führer, Minister, Bürgermeister geworden. Sie sprechen fließend hebräisch und kennen die Israelis gut. Fast alle von ihnen gehören jetzt dem gemäßigten Lager an und stimmen für Koexistenz zwischen Israel und einem palästinensischen Staat. Sie sind es auch, die die Gruppierungen leiten, die Demokratie und Reformen in der palästinensischen Behörde fordern. Die faire Behandlung, die sie damals vom Gefängnispersonal erhielten, muss wohl dazu beigetragen haben.

Die Hauptsache für mich aber ist, der Staat Israel sollte nicht wie Zachi Hanegbi und seinesgleichen aussehen. Wichtig für mich ist, dass Menschen – Palästinenser genau so wie Israelis – in Israels Gefängnissen nicht vor Hunger sterben sollten. Wichtig für mich ist auch, dass Gefangenen – egal ob Israelis oder Palästinensern – menschliche Bedingungen gewährt werden sollen.

Wenn Zachi Hanegbi im Gefängnis einsäße, würde ich auch für ihn genau dies fordern.

Erstellt am 21.08.2004

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert
http://www.uri-avnery.de

A Very One-Sided War

By Uri Avnery

"For all I care, they can starve to death!" announced Tzahi Hanegbi, after Palestinian prisoners declared an open-ended hunger strike against prison conditions. Thus the Minister for Internal Security added another memorable phrase to the lexicon of the Israeli-Palestinian conflict.
Hanegbi became famous (or infamous) for the first time when, as a student activist, he was caught on camera with his friends hunting Arab students with bicycle chains. At the time I published a photo of him that would not have shamed German or Polish students in the 1930s. With a small difference: in the 30s the Jews were the pursued, now they were the pursuers.

In the meantime, Hanegbi has changed like many young radicals - he has turned into an unrestrained careerist. He has become a minister, wearing elegant suits even on hot summer days and walking with the typical, self-important gait of a cabinet minister. Now he even supports Ariel Sharon's disengagement plan, much to the distress of his mother, Geula Cohen, an extreme-right militant who has not changed her spots.

But beneath the minister's suit and the statesman's robe, Tzahi has remained Tzahi, as evidenced by the total inhumanity of his statement about the prisoners for whose well-being he is officially responsible. His influence is not limited to words: the current prison crisis was caused by his appointment of a new Director of Prisons, who immediately proceeded to create intolerable conditions for the Palestinian prisoners.

Let's not dwell too much on the personality of the honorable minister. It is much more important to turn our thoughts to the strike itself.

Its basic cause is a particularly Israeli invention: the one-sided war.

The IDF generals declare again and again that we are at war. The state of war permits them to commit acts like "targeted eliminations", which, in any other situation, would be called murder. But in a war, one kills the enemy without court proceedings. And in general, the killing and wounding of people, demolition of homes, uprooting of plantations and all the other acts of the occupiers that have become daily occurrences are being justified by the state of war.

But this is a very special war, because it confers rights only on the fighters of one side. On the other side, there is no war, no fighters, and no rights of fighters, but only criminals, terrorists, murderers.

Why?
Once there was a clear distinction: one was a soldier if one wore a uniform; if one did not wear a uniform, one was a criminal. Soldiers of an invading army were allowed to execute local inhabitants who fired at them on the spot. But in the middle of the 20th century, things changed. A worldwide consensus accepted that the members of the French resistance and the Russian and Yugoslav partisans and their like were fighters and therefore entitled to the international protection accorded to legitimate fighters. International conventions and the rules of war were amended accordingly.

So what is the difference between soldiers and terrorists? Well, the occupiers say, there is a tremendous difference: Soldiers fight soldiers, terrorists hurt innocent civilians.

Really? The pilot who dropped the atomic bomb on Hiroshima and killed tens of thousands of innocent civilians - was he a soldier or just a criminal, a terrorist? And what were the pilots who destroyed whole cities, like Hamburg and Dresden, when there was no valid military necessity anymore? The declared aim was to break the will of the German civilian population and compel them to capitulate. Were the commanders of the British and American air forces terrorists (as the Nazis indeed called them, inventing the term "Terrorflieger")?

What is the difference between an American pilot who drops a bomb on a Baghdad market and the Iraqi terrorist, who lays a bomb in the same market? The fact that the pilot has a uniform? Or that he drops his bomb from a distance and does not see the children he is killing?

I am not saying this, of course, to justify the killing of civilians. Indeed, I strongly condemn it, whoever the perpetrators may be - soldiers, guerrillas, pilots above or terrorists below. One law for all.

Soldiers who are captured become prisoners-of-war, entitled to many rights guaranteed by international conventions. A particular international organization - the Red Cross - oversees this. P0Ws are not held for punishment or revenge, but solely in order to prevent them from returning to the battlefield. They are released when peace comes.

Underground fighters captured by their enemies are often tried as criminals. Not only are they not entitled to the rights of POWs, but in Israel their prison conditions are even worse than the inhuman conditions inflicted on Israeli criminals. The American have learned from us, and President George W. Bush has been sending Afghan fighters to an infamous prison set up for them in Guantanamo, where they are deprived of all human rights, both the rights of POWs and the rights of ordinary criminal prisoners.

Years ago, when the Hebrew underground organizations were fighting the British regime in Palestine, we demanded that our prisoners be accorded the rights of POWs. The British did not accept this, but in practice prisoners were generally treated as if they were POWs. The captured underground fighters could enrol for correspondence courses, and in fact, many of them completed their studies in law and other professions in British prison camps.

One of the prisoners at that time was Geula Cohen, Tzahi Hanegbi's mother. It would be interesting to know how she and her Stern Group comrades would have reacted if a British police commander had declared that he didn't give a damn if she died in prison. Probably they would have tried to assassinate him. Fortunately, the British behaved otherwise. They even brought her to a hospital for treatment (where she promptly escaped with the help of Arab villagers.)

Towards the Irish underground fighters, the British took a different line. When they declared a hunger strike, Margaret Thatcher let them starve to death. This episode, on top of her attitude towards workers and the needy, contributed to her image as an inhuman person.

A humane treatment of political prisoners is preferable even for purely pragmatic reasons. Ex-prisoners are now filling the upper ranks of the Palestinian Authority. Men who have spent 10, 15 and even 20 years in Israeli jails have become political leaders, ministers and mayors. They speak fluent Hebrew and know Israel well. Almost all of them now belong to the moderate Palestinian camp, advocating co-existence between Israel and a Palestinian state. They also head the forces seeking democracy and reforms in the Palestinian Authority. The fair treatment they got at the time by the prison personnel must have contributed to this.

But for me, the main thing is that the State of Israel should not look like Tzahi Hanegbi and his ilk. It is important for me that human beings - Palestinians as much as Israelis - should not starve to death in Israeli prisons. It is important for me that prisoners - whether Israelis or Palestinians - should be accorded humane conditions.

If Tzahi Hanegbi were in prison, I would be demanding the same even for him.

21.8.04

Source: http://www.gush-shalom.org


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