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Was für ein wunderbarer Plan! / Oh, What A Wonderful Plan!

Von Uri Avnery / by Uri Avnery

EINE PERSON muss schon wirklich naiv sein und keinerlei politisches Verständnis haben, um glauben zu machen, dass es möglich sei, drei Regierungen – die der Palästinenser, der Ägypter und der Jordanier, geschweige denn die der Israelis - davon zu überzeugen, einen Teil ihres Landes herzugeben.
Was noch schlimmer ist: man braucht schon eine besondere Einstellung, um Massen von Menschen so zu behandeln, als wären sie Schachfiguren, die man ohne weiteres von einem Staat in den andern, von hier nach dort, schieben könne.


NEUN MONATE bevor Scharon in den Libanon einfiel, weihte er mich in seinen großen Plan ein, der alle Probleme der Region lösen sollte. Er war toll. Er bat mich nicht darum, ihn geheim zu halten, sondern nur, ihn nicht direkt mit seiner Person in Verbindung zu bringen. Also veröffentlichte ich ihn in meinem Magazin Haolam Hazeh.

Sharon, der damals gerade erst zum Verteidigungsminister ernannt worden war, war nicht mit bescheidenen Schritten zufrieden, um die Situation zwischen Mittelmeer und dem Jordan zu verbessern. Er wollte das Gesicht der ganzen Region – also vier Länder – verändern. Die Hauptpunkte: Vertreibung der Syrer aus dem Libanon; im Libanon einen maronitisch-christlichen Diktator (Bashir Gemayel) einsetzen; die Palästinenser aus dem Libanon nach Syrien und von dort nach Jordanien transferieren; die Palästinenser ermutigen, in Jordanien eine Revolution auszulösen und König Hussein abzusetzen; Jordanien in einen palästinensischen Staat unter Yassir Arafat verwandeln und mit der palästinensischen Regierung in Amman über die Zukunft der Westbank verhandeln. Eine Möglichkeit: eine Situation zu schaffen, die es Israel erlauben würde, in der ganzen Westbank Siedlungen zu bauen, und den Palästinensern das Stimmrecht geben würde, um für das Parlament in Amman zu stimmen.

Dies war der Plan, der Scharon dazu anregte, im Sommer 1982 in den Libanon einzufallen. Er war nicht gerade erfolgreich. Tatsächlich waren die Ergebnisse das Gegenteil von dem, was er erwartet hatte. Israel blieb 18 Jahre lang im libanesischen Sumpf stecken und konnte am Ende nur knapp entkommen. Die maronitischen Christen führten in der Tat ein Massaker in Sabra und Shatila aus, um die Palästinenser zu veranlassen, nach Syrien zu fliehen; aber diese rührten sich nicht von der Stelle. Bashir Gemayel wurde ohne Widerstand zum Präsidenten des Libanon bestimmt, aber bald danach ermordet. Die Syrer blieben für weitere 23 Jahre im Libanon und ließen nach ihrem Rückzug die Hisbollah zurück. Arafat ging nicht nach Amman, sondern nach Tunis und kehrte von dort nach Palästina zurück, nachdem Israel die PLO anerkannt und das Oslo-Abkommen unterzeichnet hatte.

An dieses historische Fiasko wurde ich erinnert, als ich in der vergangenen Woche den grandiosen Plan eines anderen strategischen Genius sah: es handelt sich um Generalmajor Giora Eiland, den früheren Chef der militärischen Operationsabteilung, bis vor kurzem der Chef des Nationalen Sicherheitsrates, einer Regierungsabteilung, deren Aufgabe es ist, die nationale Strategie zu formulieren.

WIE SCHARON will General Eiland die ganze Region von Grund auf neu ordnen. Sein großer Plan ist nicht weniger eindrucksvoll als der von Scharon. Nicht der Trennungsplan – Gott bewahre – sondern der großartige Plan, den ich eben erwähnte. Eiland hat für Scharons Trennungs- und Olmerts Konvergenzplan nur Verachtung übrig. Für ihn sind Scharon und Olmert nur Dilettanten, die keine Ahnung von Stabsarbeit und ordentlichen Beratungen haben, sondern nur aus dem Bauch heraus Entscheidungen treffen.

Wie Eiland dem Haaretz-Interviewer Ari Shavit enthüllte, hätte er einen ernsthafteren und besser ausgearbeiteten Plan, wie folgt:
  • 12 % der Westbank an Israel annektieren, wenigstens 600qkm, um die Sicherheit Israels mit gut zu verteidigenden Grenzen zu garantieren.
  • Von Ägypten im Nordsinai 600qkm nehmen und mit dem Gazastreifen verbinden, damit die Palästinenser dort einen Seehafen und einen internationalen Flughafen und eine Stadt für 1 Million Menschen bauen könnten.
  • Als Kompensation den Ägyptern 150 qkm israelisches Land im Negev geben.
  • Den Ägyptern die Erlaubnis geben, einen Tunnel zwischen Ägypten und Jordanien in der Nähe von Eilat unter israelischem Gebiet zu bauen.
  • 100qkm Land von Jordanien den Palästinensern transferieren – als Kompensation für Land, das Israel den Palästinensern nimmt.
Ich habe Dutzende - wenn nicht gar Hunderte – Pläne von rechtschaffenen Leuten gesehen, die wunderbare Ideen für die Lösung des Konfliktes haben. Kaum ein Monat vergeht, wo mir nicht irgend jemand einen weiteren Plan zumailt. Eilands Plan ist nicht schlechter als die anderen Utopien – leider ist er auch nicht besser.

Aber es gibt einen großen Unterschied: der stolze Erfinder dieses Plans ist eine Persönlichkeit, die eine zentrale Rolle in den höchsten Rängen des israelischen Sicherheits-Establishments spielt. Seine Ideen zeigen etwas Typisches über die geistige Einstellung dieses Kreises.

EINE PERSON muss schon wirklich naiv sein und keinerlei politisches Verständnis haben, um glauben zu machen, dass es möglich sei, drei Regierungen – die der Palästinenser, der Ägypter und der Jordanier, geschweige denn die der Israelis - davon zu überzeugen, einen Teil ihres Landes herzugeben.

Was noch schlimmer ist: man braucht schon eine besondere Einstellung, um Massen von Menschen so zu behandeln, als wären sie Schachfiguren, die man ohne weiteres von einem Staat in den andern, von hier nach dort, schieben könne.

In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man so etwas getan. Nach dem 1.Weltkrieg setzten sich die Politiker hin und ordneten die Weltkarte neu, lösten Staaten auf und setzten andere neu zusammen. Die Ergebnisse waren meistens katastrophal. Nach dem 2. Weltkrieg tat Stalin dasselbe: er annektierte ein großes Stück polnischen Landes an die UDSSR und kompensierte Polen mit einem großen Stück deutschen Landes. Bis heute hat es funktioniert. Adolf Hitler wollte natürlich dasselbe in umgekehrter Richtung durchführen.

In unsrer Realität ist diese Idee absolut unausführbar. Es ist aussichtslos, anzunehmen, dass Ägypten einen Teil seines Landes für einen Fleck Wüste hergeben würde. Schon Menachem Begin entdeckte, wie sensibel die Ägypter in dieser Hinsicht sind. Er berührte die tiefsten Fasern ihrer nationalen Seele. Am Ende gaben die Ägypter nicht einen einzigen Quadratmillimeter ihres Gebietes ab. Der Beleg: die Taba-Affäre.

Die Chance, dass Jordanien ein großes Stück seines fruchtbaren Landes an die Palästinenser opfern würde, ist sogar noch geringer. Eiland scheint wie viele israelische Armeeoffiziere, Jordanien tief zu verachten. Genau so wenig wie er die Ägypter versteht, versteht er die herrschende Klasse des Haschemitischen Königreichs. Es ist – aus gutem Grund - ungewöhnlich sensibel gegenüber Gefahren, die überall lauern. Doch erfreut es sich natürlich der starken Unterstützung von Seiten der USA und Großbritanniens.

Es lohnt sich nicht, auf die Möglichkeit näher einzugehen, die USA und Europa würden einen solchen Schachzug unterstützen, der Menschen und Gebiete hin- und herschiebt. Europa betrachtet bestehende Grenzen als heilig. Wenn man erst damit anfängt, Grenzen zu verändern, weiß man nicht, wo dies enden wird.

Eiland belastet sich nicht mit den praktischen Details der Realisierung seines grandiosen Plans. Es scheint so, als wolle er dies den Politikern überlassen – denselben Politikern, die er so sehr verachtet. Wie der Erfinder, der die Erdkugel sich langsamer drehen lassen will und der gefragt wird, wie das ausgeführt werden soll, antwortet: „Ich habe die Idee – die Ausführung ist der Job der Techniker.“

Vor Jahren sagte Boutrus Boutrus-Ghali, der damalige Außenminister Ägyptens, mit einem feinen ironischen Lächeln mir gegenüber: „Ihr Israelis habt de facto die besten Experten in der Welt über arabische Angelegenheiten. Sie haben alle Bücher und alle Artikel gelesen. Sie wissen alles – und verstehen gar nichts, weil sie nie einen einzigen Tag in einem arabischen Land gelebt haben.“

General Eiland scheint keine Ausnahme zu sein.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert

Quelle: Website von Uri Avnery (deutsche Ausgabe): www.uri-avnery.de


Oh, What A Wonderful Plan!

by Uri Avnery

10-6-06

NINE MONTHS before he invaded Lebanon, Ariel Sharon let me in on his grand design for solving all the problems of this region. It was mind-boggling. He did not ask me to keep it secret, just not to attribute it to him directly. I published it accordingly.

Sharon, then the freshly appointed Minister of Defense, was not satisfied with modest steps for improving the situation in the country between the Mediterranean Sea and the Jordan River. He wanted to change the face of the entire region, over four countries. The main points: To expel the Syrians from Lebanon; to establish there a Maronite-Christian dictator (Bashir Gemayel); to transfer the Palestinians from Lebanon to Syria, and from there to Jordan; to encourage a Palestinian revolution in Jordan to overthrow King Hussein and turn Jordan into a Palestinian state under Yasser Arafat; to negotiate with the Palestinian government in Amman about the future of the West Bank. One possibility: to create a situation there that would allow Israel to establish settlements all over the West Bank and the Palestinians there to vote for the parliament in Amman.

This was the plan which inspired Sharon to march into Lebanon in the summer of 1982. It was not quite successful. Actually, the results were the opposite of what he expected: Israel got stuck in the Lebanese quagmire for 18 years, and in the end barely escaped. The Maronite-Christians did indeed massacre hundreds in Sabra and Shatila to frighten the Palestinians into fleeing to Syria, but they did not budge. Bashir Gemayel was appointed President unopposed but murdered soon after. The Syrians stayed in Lebanon for another 23 years, and, upon leaving, left behind Hizballah. Arafat did not go to Amman but to Tunis, returning twelve years later to Palestine, after Israel had recognized the PLO and signed the Oslo agreement.

This historic fiasco sprang to mind this week when I saw the grandiose plan of another strategic genius: Major-General Giora Eiland, former chief of the Army Operations Department, until recently chief of the National Security Council, the Government department charged with formulating national strategy.

LIKE SHARON, General Eiland dreams of rearranging the entire region, from the foundations up. His grand design is no less impressive than that of Sharon. Not the Separation Plan, God forbid, but the grand design I mentioned earlier. Eiland has only contempt for Sharon's Separation and Olmert's Convergence, holding both Sharon and Olmert to be mere dilettantes who know nothing about staff work and orderly deliberations, but make decisions according to their gut feelings.

As he disclosed to Haaretz interviewer Ari Shavit, Eiland has a much more serious and worked-out plan, as follows:
  • To annex to Israel 12% of the West Bank, 600 sq. km. at least, in order to safeguard the security of Israel with defensible borders.
  • To take 600 sq. km of North Sinai from Egypt and join them to the Gaza Strip, to enable the Palestinians to build a seaport and an international airport there, as well as a city of a million people.
  • To compensate Egypt with 150 sq. km. of Israeli land in the Negev.
  • To allow the digging of a tunnel between Egypt and Jordan under Israeli territory near Eilat.
  • To transfer 100 sq. km. of Jordan to the Palestinians, as compensation for the territory Israel will take from the West Bank.
I have seen dozens - perhaps hundreds - of plans thought up by good people, who have wonderful ideas for the solution of the conflict. Hardly a month goes by without somebody e-mailing me another one. Eiland's plan is no worse than the other utopias. Unfortunately, it is also no better.

But there is one big difference: the proud author of this plan is a man who played a central role in the highest ranks of the security establishment. His ideas may indicate something about the mental patterns prevalent there.

A PERSON has to be really naïve, and devoid of any political understanding, to believe that it would be possible to convince three governments - the Palestinian, Egyptian and Jordanian, not to mention the Israeli - to give up part of their territory.

Worse: one needs a certain mindset to treat large numbers of human beings as if they were chess figures to be moved about from state to state, from here to there.

True, in the first half of the 20th century this was indeed done. After World War I, the statesmen sat down and rearranged the map of the world, dismantling states here and putting together new ones there. Most of the results were disastrous. After World War II, Stalin did the same. He annexed to the Soviet Union a big chunk of Poland, and compensated Poland with a big chunk of Germany. Until now, it has worked. Adolf Hitler, of course, intended to do much the same in the other direction.

In our reality, this idea is totally impractical. There is no chance in the world that Egypt would give up a chunk of land in return for a much smaller patch of desert. Menachem Begin already found out how sensitive the Egyptians are in this regard. It touches the deepest strings of their national soul. In the end, the Egyptians did not give up one square millimeter of their territory. Witness: the Taba affair.

The chance that Jordan would sacrifice fertile land for the Palestinians is even slimmer. Like many Israeli army officers, Eiland, so it seems, has deep contempt for Jordan. Just as he does not understand the Egyptians, he does not understand the ruling class of the Hashemite Kingdom. It is - with reason - uncommonly sensitive to the dangers lurking all around it. But it enjoys, of course, the unwavering support of the United States and the United Kingdom.

It is not even worthwhile considering the possibility that the United States and Europe would lend a hand to such a game of switching around people and territories. Europe sanctifies existing borders. It has learned from bloody experience that there is nothing more dangerous than moving borders. Once started, no one knows where it will end.

Eiland does not burden himself with the practical details of his grandiose plans. He leaves all that, so it seems, to the politicians - the same politicians he so despises. Like the inventor who wanted to slow down the revolution of the globe, when asked how this should be done, he replies: "I have the ideas. The implementation is the job of the technicians."

Years ago Boutrus Boutrus-Ghali, then the acting foreign minister of Egypt, told me with a thin ironic smile: "You Israelis have the best experts on Arab affairs in the world. They have read all the books, all the articles. They know everything -and understand nothing, because they have never lived one single day in an Arab country."

General Eiland seems to be no exception.

Source: Gush Shalom-Website, http://zope.gush-shalom.org


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