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Eine Déja-vu-Erlebnis der besonderen Art

Der von John Kerry vermittelte Nahost-Friedensprozess ist zum Scheitern verurteilt

Von Phyllis Bennis *

Außenminister Kerrys letzter Abstecher in nah-östliche Friedensverhandlungen sollten als Einsteinscher Friedenprozess bezeichnet werden. Ständig die gleiche Sache zu wiederholen und dennoch unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten ist für diesen großen Wissenschaftler die Definition von Geisteskrankheit. Bei diesem Mal deuten die Anzeichen darauf hin, dass Kerry, trotz aller gegenteiligen Anhaltspunkte, tatsächlich glaubt, dass diese neueste Wiederholung des Jahrzehnte alten Unternehmens mit dem Namen „Friedensprozess“ tatsächlich Erfolg haben könnte. Aber, unglückicherweise für Kerry, sind seine politischen Überlegungen dabei, bei den gnadenlosen Sandbänken der politischen Realität auf Grund zu laufen.

Was auch immer Kerrys Überzeugungen sein mögen, das Timing dieser neuesten Version der Gespräche hat eindeutig etwas zu tun mit den Krisen, die derzeit in der Region des Nahen Osten ausbrechen. Der eskalierende regionale und Bürgerkrieg in Syrien, die wachsenden inter-konfessionellen und religiös-säkularen Spaltungen, die in der gesamten Region aufbrechen, und selbst der vom Pentagon unterstütze Staatsstreich des ägyptischen Militärs gegen die Moslem-Bruderschaft deuten alle auf eine verbreitete Schwäche der USA und deren Versagen im Nahen Osten hin. Das Unvermögen der USA strategisch auf diese Herausforderungen zu reagieren ist sicherlich ein Grund dafür, warum ein erneutes Eintauchen in israelisch-palästinensische Verhandlungen, trotz wiederholter früherer Fehlschläge, als ein nützlicher Schritt erscheinen konnte – zur Ablenkung, zur Beruhigung von Unterstützern Israels, zur Demonstration der zwar schwindenden aber noch vorhandenen Stärke einer geschwächten imperialen Macht.

Aber trotz aller dieser Gründe sind diese Gespräche zum gleichen Scheitern verurteilt wie die 22 Jahre fehlgeschlagener Diplomatie, die ihm vorausging.

Ein Teil des Problems liegt einfach in Kerrys verkündetem US-Ziel für die Gespräche: „Beenden des Konflikts, Beenden der Forderungen.“ Nicht ein Beenden der Besatzung, nicht ein Beenden der Belagerung von Gaza, nicht ein Beenden der Jahrzehnte der Enteignungen und Vertreibungen von Palästinensern ins Exil. Lediglich ein Beenden der Spannungen, des Streits – unabhängig davon, welche Version der gegenwärtigen Realität letztendlich offiziell akzeptiert wird. Dann werden, in Kerrys Welt, alle palästinensischen Forderungen verschwinden, und die Palästinenser werden, selbst wenn ihre international anerkannten Rechte außer Reichweite bleiben, strahlen, ihren tapferen Führern applaudieren und alles höflich schlucken. (Zukünftige israelische Forderungen werden selbstverständlich nicht enden müssen, denn israelische Forderungen betreffen die „Sicherheit“ und sind automatisch legitim und nicht verhandelbar, wohingegen palästinensische Forderungen – nach Selbstbestimmung, wirklicher Souveränität, Gleichberechtigung, Rückkehr – lediglich politischer Art und damit verhandelbar sind.)

Die Ernennung von Martin Indyk als US-Gesandten für die Gespräche ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass niemand beabsichtigt, die Rahmenbedingungen der letzten 22 Jahre der fehlgeschlagenen US-geführten Diplomatie zu ändern. Indyk, ein früherer US-Botschafter in Israel, früherer stellvertretender Forschungsdirektor von AIPAC, der mächtigen pro-Israel Lobby und Mitbegründer des AIPAC-nahen Washingtoner Institute for Near East Policy, spielte jahrelang eine zentrale Rolle bei der US-kontrollierten Israel-Palästina Diplomatie. (In den letzten Jahren konnte man immer wieder erleben, wie Indyk, Dennis Ross, Aaron Miller und andere für die 22 Jahre fehlgeschlagener US-Diplomatie im Nahen Osten Verantwortliche, sich auf ihren Status als qualifizierte „Veteranen“ zur Fortsetzung ihrer Karrieren berufen.)

Diese Gesprächsrunde wird, wie bereits die vorausgegangenen, internationales Recht ignorieren und stattdessen auf der Grundlage des Akzeptierens des gegenwärtigen Ungleichgewichts zwischen Besatzer und Besetztem arbeiten. Der pro-israelische US-Vermittler wird bestimmen, dass die israelischen Positionen und israelischen „Kompromissvorschläge“ als „vernünftig“ zu gelten haben. Israel wird fortfahren, Siedlungen im besetzten Ost-Jerusalem und der besetzten West-Bank zu bauen und auszudehnen, gestützt auf die tausenden bereits gewährten Genehmigungen, verbunden vielleicht mit einer kurzfristigen Verzögerung beim Gewähren einer unbestimmten Anzahl weiterer Genehmigungen – und das wird dann als wesentlicher Kompromiss bezeichnet werden. Über 600.000 israelische Siedler werden weiterhin in ihren riesigen Stadt-ähnlichen, ausschließlich für Juden bestimmten, Siedlungen in der gesamten West-Bank und Ost-Jerusalem leben, und die Gespräche werden auf der Grundlage des Verständnisse geführt, dass es bei einer Endgültigen Lösung Israelgestattet wird, alle wichtigen Siedlungsgebiet, und Grundwasservorräte zu behalten und 80% oder mehr der Siedler bleiben können, wo sie bereits sind.

Außenminister Kerry verkündete stolz, dass diese Gesprächsrunde anders sei – gestützt auf die arabische Friedensinitiative von 2002. Er überging dabei allerdings die kleine von den USA und Israel vollzogene „Anpassung“ des Plans, die ihm seinen potenziellen Wert nahm. Der Plan bot ursprünglich die Normalisierung der Beziehungen arabischer Staaten mit Israel erst an nach dem „vollen“ Rückzug auf die Grenzen von 1967 und einer gerechten Lösung des Flüchtlingsproblems auf der Grundlage der UN-Resolution 194, die das Rückkehrecht garantierte. Kerrys neue Version ignoriert die Flüchtlinge (jedenfalls bisher) und übernimmt die US/israelische Sprachregelung über Grenzen, die (immer als ein Begriff verwendet) von 1967-Grenzen-mit-Gebietsaustausch spricht. Dieser Gebiets-„Austausch“ bedeutet natürlich, dass Israel alle seine Siedlungs-Städte behält, die meisten seiner illegalen Siedler, praktisch alle palästinensischen Wasservorräte, während den Palästinensern irgendein unentwickeltes an Gaza grenzendes Gebiet angeboten wird, oder vielleicht ein Vorschlag, inner-israelische Städte mit palästinensischer Mehrheit, wie z.B. Nazareth, unter die Jurisdiktion eines zukünftigen palästinensischen „Staates“ zu stellen.( Über Gaza wird vermutlich ein Kompromiss noch nicht einmal erörtert werden – die israelische Belagerung wird bestehen bleiben, verstärkt durch Ägyptens neue Regierung nach dem Putsch, die die Tunnel geschlossen hat und den Grenzübergang von Gaza nach Ägypten bei Rafah streng kontrolliert – und die Diplomaten der palästinensischen Behörde der West-Bank werden kaum Gaza in ihre Hauptverhandlungsstrategie einbeziehen.)

Von den Palästinensern wird selbstverständlich erwartet, Israels „vernünftige“ Kompromisse zu akzeptieren, so als ob beide Seiten, Besatzer und Besetzte, die gleichen Verpflichtungen unter internationalem Recht hätten. (Oh, stimmt, das internationale Recht hat hier ja gar keine Rolle zu spielen.) Falls die Palästinenser irgendeinen der ach-so-vernünftigen Vorschläge Israel ablehnen, wird der Preis dafür ein massiver US- und vielleicht sogar weltweiter Tadel für die Blockade des Friedensprozesses sein. Zurzeit lassen einige Entwicklungsländer (Süd-Afrika, Brasilien) eine etwas unabhängigere Position gegenüber Israel-Palästina erkennen. Die neuen Restriktionen der EU bei der finanziellen Unterstützung von Siedlungseinheiten, die kurz vor Kerrys Ankündigung neuer Gespräche und deren Akzeptieren seitens Israels veröffentlicht wurden, sind von besonderer Bedeutung, da sie einen Blick gestatten auf die Auswirkungen, die selbst milde Sanktionen auf Tel Aviv haben. Aber während die Bürgerbewegung für Boykott, Sanktionen und Abzug aller Investitionen sich weiter aufbaut, bleibt doch unklar, wie die Regierungen, die zögerlich von den US-Positionen abrücken, reagieren würden auf einen Zusammenbruch der US-kontrollierten Gespräche , insbesondere wenn die USA behaupten, dass das Scheitern Schuld der Palästinenser sei.

Israelische Verletzungen des internationalen Rechts, der Genfer Konventionen, der UN-Resolutionen und von noch mehr bestehen weiterhin. Die USA sieht die Beendigung dieser Verletzungen nicht als Ziel der Friedensverhandlungen – und schon gar nicht als eine Vorbedingung. Wenn sie das täten, müsste Israel seine Besatzung der Gebiete von 1967 beenden und das Rückkehr-Recht der Palästinenser einseitig anerkennen – ein Beenden von Rechtsverletzungen sollte ja eigentlich keine Verhandlungen erfordern. Und genau deshalb werden diese Gespräche letztlich scheitern. Solange Verhandlungen geführt werden auf der Grundlage der US-Unterstützung für Israels Stärke, und nicht auf der des internationalen Rechts, der Menschenrechte und Gleichberechtigung für alle Beteiligten, solange wird der „Friedensprozess“, einschließlich dieser neuesten Einstein Ausgabe, weiterhin scheitern.

* Phillis Bennis leitet das „New Internationalism Project“ am Institut für Politikforschung (Institute for Policy Studies-IPS) in Washington und arbeitet für das Transnationale Institut in Amsterdam. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind der Nahe und Mittlere Osten und die Vereinten Nationen. Außerdem arbeitet sie eng mit der amerikanischen Friedensbewegung „United for Peace and Justice“ zusammen.

Originalartikel: “John Kerry’s doomed peace process is deja vu all over again”. In: http://mondoweiss.net
Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken



Chronologie: Verheißungen und Rückschläge **

1978: Unter Vermittlung von US-Präsident Jimmy Carter unterzeichnen Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat und Israels Ministerpräsident Menachem Begin das Camp-David-Abkommen: Ägypten erkennt den Staat Israel an, der die 1967 annektierte Sinai- Halbinsel zurückgibt.

1988: US-Präsident Ronald Reagan willigt ein, diplomatische Beziehungen zu den Palästinensern aufzunehmen. Yasser Arafat, Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), hatte Israels Existenzrecht zuvor indirekt anerkannt.

1993: Arafat und Israels Ministerpräsident Yitzhak Rabin unterzeichnen als Gäste Bill Clintons das Oslo-Abkommen – die erste Friedensvereinbarung zwischen Israel und PLO.

1994: Durch Clinton vermittelt, schließen Israel und Jordanien einen Friedensvertrag. Israel und die Palästinenser vereinbaren eine Autonomieregelung für den Gaza-Streifen und Jericho im Westjordanland.

1995: Die Autonomieregelung im Westjordanland wird schrittweise ausgedehnt.

1998: In Wye Plantation (USA) wird Israels Rückzug aus 13 Prozent des Westjordanlands vereinbart. Außerdem wird die Freilassung von 750 palästinensischen Gefangenen zugesagt. Unter dem Druck der Ultra-Orthodoxen verkündet Netanyahu im Dezember 1998 den Stopp der weiteren Umsetzung des Wye-Abkommens.

1999: Im ägyptischen Scharm- el-Scheich unterzeichnen Israel und die Palästinenser am 5. September einen Vertrag zur Umsetzung des Abkommens von Wye. Er sieht die Übergabe weiterer elf Prozent des Westjordanlandes an die palästinensische Verwaltung ab 20. Januar 2000 sowie Verhandlungen über den endgültigen Status der Autonomiegebiete nach Abschluss eines Rahmenabkommens im Februar 2000 vor.

2000: In Camp David scheitern Gespräche zwischen PLO-Chef Arafat und Israels Regierungschef Ehud Barak. Hauptstreitpunkt ist der Status von Jerusalem. Die Palästinenser erheben sich kurz darauf zur »zweiten Intifada«.

2003: US-Präsident George W. Bush stellt die »Roadmap« vor. Der Plan sieht die Bestätigung des Existenzrechts Israels und die Gründung eines Palästinenserstaats bis zum Jahr 2005 vor. Die Umsetzung gerät bald ins Stocken.

2005: Israel räumt die jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen.

2007: In Annapolis (USA) vereinbaren Israels Premier Ehud Olmert und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Friedensgespräche. Es kommt zu einer gemeinsamen Erklärung. Der erhoffte Neubeginn bleibt aber aus. Norman Paech kommentierte: "Drei Lahme Enten und viel Staffage".

2008: Im Dezember startet Israels Armee eine Offensive gegen die im Gaza-Streifen regierende Hamas. Der einseitige Krieg führte zu einem einseitigen Waffenstillstand. Friedensgespräche mit Palästinensern werden auf Eis gelegt.

2010: US-Präsident Barack Obama bringt beide Parteien am 2. September in Washington an einen Tisch. Der Dialog zwischen Abbas und dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu reißt jedoch ab, nachdem Israel am 26. September die Besiedlung der besetzten Gebiete fortsetzt.

2011: Obama spricht sich für einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 aus. Netanjahu schließt dies jedoch aus.

2013: Die Arabische Liga erklärt im April einen Gebietsaustausch für vorstellbar. US-Außenminister John Kerry verkündet am 19. Juli eine Grundsatzeinigung zur Wiederaufnahme direkter Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Israel erklärt sich vor Beginn der Gespräche in Washington bereit, 104 palästinensische Gefangene freizulassen.

** Diese kurze Chronologie haben wir dem "neuen deutschland" vom 9. August 2013 entnommen und um einige Hinweise ergänzt. AGF




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