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"Ein palästinensischer und ein israelischer Staat, getrennt"

Von Reiner Bernstein, München *

Der folgende Bericht beruht auf Eindrücken und auf Gesprächen, die ich in der Zeit zwischen dem 18. Mai und 7. Juni 2006 mit israelischen und palästinensischen Politikern, Journalisten sowie mit Mitarbeitern von internationalen und deutschen NGO’s in Tel Aviv, Jerusalem und Ramallah geführt habe. Zur Komplettierung wurden amtliche Kommuniqués jüngeren Datums sowie thematisch einschlägige Veröffentlichungen herangezogen.


Ehud Olmerts "dritte Option"

Seit dem 4. Januar 2006, dem krankheitsbedingten Ausscheiden Ariel Sharons aus der Politik, hat sein Stellvertreter Ehud Olmert in Israel die Regierungsgeschäfte inne. In ihrem Gutachten vom Juni 2006 kommt die „International Crisis Group“ unter Vorsitz des ehemaligen EU-Außenkommissars Chris Patten und des renommierten US-Diplomaten Thomas Pickering zu der Feststellung, dass sich die Lage innerpalästinensisch, in den palästinensischen Außenbeziehungen und zwischen den Palästinensern und Israel erheblich verschlechtert hat . Diese Auffassung widerspricht eklatant der Behauptung vieler Kommentare in Israel und im Ausland, dass seit Jahresbeginn eine neue Dynamik in die israelisch-palästinensischen Beziehungen eingekehrt sei. Im Blick auf Israel stützen sie ihre Überzeugung unter anderen darauf zurück, dass nach der Ära der „Regierung der nationalen Einheit“ mit Shimon Peres und Yitzhak Shamir (1984 bis 1992) sowie den Zwischenspielen Benjamin Netanyahus (1996 bis 1999) und Ehud Baraks (1999 bis 2001) mit Olmert wieder ein Politiker die Regierung ohne frühere Generalstabskarriere führt.

Im folgenden Beitrag soll die Frage im Mittelpunkt stehen, welche Richtungen sich in der israelischen und der palästinensischen Politik abzeichnen. Dazu gehört zum einen die Prüfung, ob die von Ariel Sharon (2001 bis Ende 2005) vorgegebene „Marschrichtung“ des politischen Unilateralismus, wie sich dieser in der Ära Barak im Rückzug aus dem Süden Libanons (Mai 2000) und aus dem Gazastreifen (August 2005) abbildete, einer stärker friedensförderlichen Neuorientierung gewichen ist. Zum anderen soll die Rezeption der Politik von Olmert, Machmud Abbas und der Autonomiebehörde in den westlichen Hauptstädten analysiert werden. Eine Bewertung der Tätigkeit der „Genfer Initiative (GI)“ in Tel Aviv und Ramallah schließt sich an, bevor einige Empfehlungen an die Adresse politischer Entscheidungsträger den Abschluss bilden.

Olmert hat darum gebeten, nicht jede seiner öffentlichen Äußerungen auf die politische Goldwaage zu legen . Damit wollte er nach innen und nach außen die Bereitschaft zur Flexibilität signalisieren, die sich als dritte Option zwischen dem politischen Status quo, der den eigenen nationalen Interessen am besten diene, und der gleichzeitigen Fortsetzung einer Taktik der Verhandlungsverschleppung bezeichnen lässt. Olmert will nach eigenem Bekunden die Realitäten so verändern, dass – wie er es ausdrückt – positive Entwicklungen möglich werden, die sich von dem Amt geschiedenen Verteidigungsminister Shaul Mofaz absetzen, dem israelische Medien vorgeworfen haben, in den palästinensischen Gebieten „eine Spur der Verwüstung“ hinterlassen zu haben. Gleichzeitig hat der Ministerpräsident die „roten Linien“ markiertt: Rückzug aus dem größten Teil der Westbank bei gleichzeitiger Annexion der drei Siedlungszentren Ariel, Ost-Jerusalem einschließlich Maaleh Adumim und „Gush Etzion“ sowie Kontrolle des Jordantals und damit der Grenzübergänge nach Jordanien. Die Planungsabteilung des Militärs hat darüber hinaus die Überwachung der Höhenzüge der Westbank vorgeschlagen.

Im 62seitigen Regierungsprogramm von „Kadima“ und Arbeitspartei vom April 2006 wird die Festsetzung der Grenzen Israels in dieser Legislaturperiode ins Auge gefasst. Olmert hat, und zwar im Widerspruch zu regierungsamtlichen Erklärungen in der Vergangenheit und nach den negativen Voten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (Juni 2004), den Verlauf der „Trennungsmauern“ als künftige Staatsgrenze bezeichnet. An territoriale Kompensationen („land swap“) ist nicht gedacht. Wenn er die Möglichkeit andeutet, im Zuge von Verhandlungen gemäß seinen Planungen zur „Konvergenz“ („Zusammenführung“) auf bis zu 91 Prozent der Westbank zu verzichten, so rechnet er den Großraum Jerusalem nicht mit ein, dem – wie der israelische Ethnologe Jeff Halper (Beersheva) ausgeführt hat – nach der förmlichen Annexion des Ostteils der Stadt 1981 in aller Stille und ohne große öffentliche Aufmerksamkeit die zentrale Aufgabe zugewiesen worden sei, die Entstehung eines lebensfähigen palästinensischen Staates zu verhindern . Demgemäß ist der Souveränitätsverzicht über den Tempelberg für Olmert – selbst zwischen November 1993 und Januar 2003 Bürgermeister Jerusalems – ausgeschlossen. Insgesamt gesehen, würden die genannten Absichtserklärungen im Falle ihrer politischen Umsetzung einen künftigen Staat Palästina in der Westbank auf rund sechzig bis siebzig Prozent (maximal also 2450 der 3500 Quadratkilometer, also knapp zehn Prozent Gesamtpalästinas zwischen Mittelmeer und Jordan) beschränken.

An die Stelle territorialer Geschlossenheit würden palästinensische Nord- und ein Südzonen treten. Die Regierung müsste für die Räumung von 72 Siedlungen mit einer jüdischen Bevölkerung von 70.000 Personen östlich der Mauern sorgen. Es entstünde nach dem Willen Olmerts ein palästinensischer Staat in vorläufigen Grenzen. Unklar bleibt, ob und wie die dritte Phase der „Road Map“ jemals erreicht wird, in der eine echte territoriale Geschlossenheit des Staates Palästina vorgesehen ist, die nicht durch Brücken und Tunnel zwischen seinen Dörfern und Städten unterbrochen wird. Olmerts Erklärung „ein palästinensischer und ein israelischer Staat, getrennt“ , ist demgemäß nur dann Glaubwürdigkeit zuzusprechen, wenn die Latte palästinensischer Souveränität niedrig gehängt wird. Zur Begründung seiner Absichten verweist der Regierungschef darauf, dass die Generation in Israel nach 1967 keine Erinnerung daran habe, dass die palästinensischen Gebiete nicht zu ihrem Staat gehören würden.

Im Tandem mit Olmert hat seine Außenministerin Zippora („Tsipi“) Livni die Ablehnung von Abbas als politisch vollgültigen Partner bekräftigt, und angeboten, mit ihm lediglich bestimmte „Arrangements“ auszuhandeln. Shimon Peres’ Kritik, diese Entscheidung sei voreilig , hat kein Gewicht. Wie für Olmert sollen für Livni Verhandlungen lediglich „erste Priorität“ bleiben. Wenn der Regierungschef seit seinem Antrittsbesuch in Washington im Mai 2006 mehrfach Rekurs auf „die Prinzipien“ der „Road Map“ im Frühjahr 2003 genommen hat, wird in der Kommentierung häufig übersehen, dass ihr Sharon – abgesehen von der Zeitleiste, die schon bei ihrer Vorlage teilweise hinfällig war –, lediglich unter der Bedingung von vierzehn „Modifikationen“ zustimmte . An ihnen hat sein Amtsnachfolger keine Abstriche vorgenommen. Vielmehr hält die Siedlungstätigkeit in jenen Regionen unvermindert an, welche die Regierung annektieren bzw. unter ihrer Kontrolle behalten will. Der Jerusalemer Rechtsprofessor David Kretzmer hat in diesem Zusammenhang jüngst noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass der Status Israels in der Westbank für einige Politiker und Juristen offen sei – eine Argumentation. die sich bis in die Zeit nach dem Junikrieg 1967 zurückverfolgen lässt: Für den nachmaligen israelischen Botschafter bei den Vereinten Nationen, Yehuda Z. Blum, gewann Israel mit der Westbank die Kontrolle über ein Gebiet, auf das kein anderer Staat einen besseren Rechtstitel vorweisen könne .

Gleichwohl kann Olmert darauf vertrauen, dass ihm die internationale Staatengemeinschaft auf seinen Wegen folgen wird. Seine Besuche in London und Paris, wo er seinen „Konvergenzplan“ vorstellte, wurden israelischen Journalisten, die von ihm ansonsten reserviert gegenüberstehenden, als voller Erfolg gewertet, besonders die Begegnung mit Jacques Chirac . Livni lebte bei ihrem Besuch Mitte Mai 2006 in Luxemburg die „einzigartige Beziehung“ zwischen beiden Seiten“ jenseits taktischer Unterschiede . Solch positive Einschätzungen erstaunen nicht, denn das „Quartett“ aus USA, Europäischer Gemeinschaft, Russland und UN-Generalsekretariat hat sich durch die bekannten drei Forderungen an die „Hamas“-geführte Autonomiebehörde „Anerkennung Israels, Verzicht auf Gewalt, Einhaltung früherer Vereinbarungen“ politisch die Hände gebunden und belässt es bei Ermahnungen an die israelische Adresse, die auf wenig geneigte Ohren stoßen. Auch der Bericht der „International Crisis Group“ bleibt im Hinblick auf die Verantwortlichkeiten Israels merkwürdig unentschieden. Der Verzicht auf eine pro-aktive Politik zeichnete sich freilich schon früher ab, zuletzt bei der Vorlage der „Road Map“. Indem diese die Auflösung der „illegalen Siedlungen“ seit Ausbruch der zweiten „Intifada“ verlangte und damit auf die hundert Außenlager („outposts“) anspielte, übernahm sie die israelische These, dass ihr Kern, nämlich die Siedlungen selbst, kein Friedenshindernis seien. Darüber hinaus verlegte die „Road Map“ die Beilegung des Konflikts auf das Ende des palästinensischen Terrorismus und knüpfte sie an eine neue politische Führung. Israel hingegen wurde lediglich aufgetragen, „das Notwendige zu tun, um die Errichtung eines demokratischen palästinensischen Staates zu ermöglichen“. Unverbindlicher konnten die Ansprüche an die israelische Politik kaum formuliert werden. Wenn palästinensische Stimmen behaupten, dass die Regierung in Jerusalem gegenwärtig kein Verhandlungspartner sein könne, so richtet sich diese Kritik auch an die Staatengemeinschaft.

"Fatah" gegen "Hamas" und vice versa

Die gewalttätigen Zusammenstöße zwischen Anhängen und Milizionären der bis Anfang 2006 regierenden „Palästinensischen Befreiungsorganisation (Fatah)“ und der seither in der politischen Verantwortung stehenden „Bewegung des Islamischen Widerstandes (Hamas“) erwecken den Eindruck einer dramatischen Radikalisierung der palästinensischen Bevölkerung insgesamt. Diese Einschätzung entspricht indessen nur bedingt den Beobachtungen von Meinungsforschern. So hat Khalil Shikaki vom „Palestinian Center for Policy and Survey Research“ in Ramallah seit Jahren ein ständiges Wachstum für politische Kompromisse (zwei Staaten, Gebietsaustausch, Ende der Gewalt) festgestellt und diese These kürzlich wiederholt . Lediglich das Meinungsklima in Sachen „Jerusalem“ und das Thema „palästinensische Flüchtlinge“ seien problematisch. Im März 2006 nahm das letztgenannte Problem in Umfragen mit 68 Prozent den Spitzenwert unter allen ungelösten Problemen ein . Gegenwärtig ist „Hamas“ nach den Worten Shikakis populärer als bei ihrer Wahl, obwohl sie ihre Versprechungen nicht eingehalten habe: die Sicherung der Gewaltenteilung einschließlich der Wiederherstellung der unabhängigen Justiz, der Schutz der Meinungsfreiheit und die Hebung des Lebensstandards. „Hamas“ helfen die politischen und militärischen Interventionen Israels, um von eigenem Versagen abzulenken, das durch die Rivalität des Politischen Büros in Damaskus unter Leitung von Khaled Meshal ausgeht sowie im Innern von politisch-exekutiver Sprunghaftigkeit und mangelnder parlamentarischer Erfahrung geprägt ist.

Nachdem Sharon dem Aufstieg von „Hamas“ anfangs gute Seiten abgewann, weil die Bewegung Israel vor internationalem Druck schützen würde, sprechen Beobachter neuerdings davon, dass die bei den jüngsten Wahlen der Macht verlustig gegangene „Fatah“ dafür sorge, dass die gemäßigten Kräfte in „Hamas“ gegenüber ihren innerparteilichen Gegnern auf der Strecke bleiben. Auch wenn „Fatah“ aufgrund ihres von Arafat entwickelten Netzwerkes von Loyalitäten, Abhängigkeiten und Privilegien vielen Beobachtern als unreformierbar gilt, profitiert sie politisch von der plötzlich erwachten Zuwendung des Westens und andererseits von der auf den Gazastreifen beschränkten Bewegungsfreiheit des Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh. Alle Erfahrungen zeigen allerdings, dass die Palästinenser Methoden und Wege gefunden haben, um unter den Bedingungen der Besatzung politische und ökonomische Überlebensstrategien zu entwickeln, die ihre Gegner regelmäßig überraschen. Dazu gehören auch die verdeckten Transfers von hohen Geldsummen über die Grenze zwischen dem Gazastreifen und der ägyptischen Sinai-Halbinsel. Es würde nicht verwundern, wenn auch an anderen Stellen Vorgänge wie diese zu Tage träten.

Im Gegensatz zu Haniyeh stehen Abbas von Ramallah aus viele organisationspolitische und technische Mittel zur Verfügung, die sich weltweiter Förderung und Anerkennung erfreuen. Zusätzlich greift Abbas auf seine Machtbefugnisse als Vorsitzender des PLO-Exekutivkomitees und als Präsident der Autonomiebehörde zurück. Seine Mitarbeiter werden nicht müde, mit Gesprächen mit westlichen Beobachtern auf den geringen Abstand von 44 zu 41 Prozent der Stimmen hinzuweisen, die bei den Wahlen für „Hamas“ oder für „Fatah“ abgegeben wurden, deren Ergebnis sich jedoch aufgrund des nach deutschen Vorbildern entwickelten Wahlverfahrens im Parlament, dem „Palestinian Legislative Council (PLC)“, bedauerlicherweise nicht widerspiegele. „Fatah“ fällt offenkundig die Einsicht schwer, dass sie die Wahlen verloren hat, und – so die „International Crisis Group“ – zieht daraus den Schluss, die neue Regierung als einen Usurpator zu behandeln, während „Hamas“ sich so verhalte, als ob sie weiterhin die Opposition bilde. Auf diese Weise schleppt sich die innerpalästinensische Krise als konkurrierende Doppelherrschaft hin. Abbas’ Intention, über das „Nationale Konsensprogramm“ der in Israel einsitzenden Häftlinge einen Volksentscheid herbeizuführen, war insofern als ein Instrument zur Domestizierung von „Hamas“ zu verstehen, das sich als erfolgreich erwiesen hat. Mittlerweile hat er dem „Konsensprogramm“ den Charakter des politischen Versöhnungsbemühens verliehen.

Desto mehr erstaunen manch auswärtige Kommentierungen dieses Entwurfs. Während, wie ausgeführt, die Auseinandersetzungen zwischen den palästinensischen Parteien im wesentlichen auf konkurrierende Macht- und Gestaltungsansprüche zurückzuführen sind, werden in auswärtigen Medien vor allem die dem Dokument anhaftenden Defizite und Schwächen hervorgehoben und diskutiert. Wer sich jedoch der Mühe unterzieht, den 18-Punkte-Katalog zu lesen, wird die Nuancierungen nicht übersehen können, die ihm innewohnen. So verzichtet er zwar auf die förmliche Anerkennung Israels, wie sie im Gegenzug die israelische Politik gegenüber einem palästinensischen Staat seit langem an den Tag legt, bettet jedoch die Entschlossenheit zur „Befreiung seines [des palästinensischen] Landes mit allen Mitteln“ in die Beschlüsse der Arabischen Liga ein, die im März 2002 in Beirut und auf den Tag genau vier Jahre später in Khartum Palästinenser und Israelis zum Einsatz der politischen Diplomatie anhielten. Bemerkungen Haniyehs vor der Versammlung des „Palestinian Center for Human Rights (PCHR)“ Mitte Juni 2006, dass zu einem künftigen Frieden das „Recht von Flüchtlingen auf Rückkehr in ihre Häuser“ gehöre , bildet keinen grundlegenden Widerspruch. Auch die Autoren der „Genfer Initiative“ schlagen eine Regelung für die Aufnahme von Flüchtlingen in Israel in einer Größenordnung vor, die der Kapazitätsbereitschaft westlicher Staaten entspricht.

Womit der Politikwissenschaftler und langjährige Direktor des „Jaffee Center for Strategic Studies“ an der Universität Tel Aviv, Yossi Alpher, die Behauptung begründet, dass vor allem die Forderung nach der Anerkennung des Rechts auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge erfolgreiche Verhandlungen mit Israel verhindern würde , bleibt unerfindlich. Denn die solchen Papieren durchweg eigenen Kompromissformulierungen kommen hier an jener Stelle zum Ausdruck, an der von der „Bekräftigung des Rechts auf Rückkehr“ der palästinensischen Flüchtlinge die Rede ist. Auch hier haben Beirut und Khartum, auf die sich die Häftlinge berufen, weit realistischere, auf Normalisierung zielende Formulierungen gewählt, indem sie das Rückkehrrecht und die Realisierung seines Ausmaßes an die Zustimmung Israels banden. Schon vor fünfzehn Jahren hat der renommierte palästinensische Historiker Rashid I. Khalidi (damals University of Chicago, gegenwärtig Columbia University) darauf hingewiesen, dass die PLO nicht mehr auf der absoluten Realisierung des Rückkehrrechts bestehe, sondern an die Selbstverpflichtung der Flüchtlinge gebunden sei, mit dem Nachbarn in Frieden zu leben und sich an seine Gesetze zu halten – womit sich Khalidi an den Wortlaut der einschlägigen UN-Resolution 194 Ziff. 11 vom Dezember 1948 hielt. Die Kompensation von Vermögensschäden hielt er für zwingend – genauso wie die „Genfer Initiative“ in Artikel 7 Ziff. 10, der einen „Fonds für die Entschädigung des Flüchtlingsdaseins“ einrichten will.

Der letzte von „Fatah“ gestellte Außenminister Naser al-Qidwa hat in einem Interview mit der „Jerusalem Post“ am 26. Mai 2005 noch einmal die genannte Interpretation der UN-Resolution als Ausgangspunkt für künftige Regelungen hervorgehoben. Schon viel früher vertrat der nachmalige palästinensische Verhandlungsführer Nabil Shaath die Auffassung, dass sich das Rückkehrrecht auf den zu bildenden Staat Palästina in den Grenzen des Gazastreifens und der Westbank einschließlich Ost-Jerusalems beziehe. Die Palästinenser leben also alles andere als „sprachlos hinter Mauern“ und begnügen sich nicht mit der Rolle von Opfern und Objekten. Vielmehr greifen sie in intellektuelle Debatten ein, die zum Beispiel vom „Israel/Palestine Center for Research and Information“ (Gershon Baskin und Hanna Siniora), vom „Harry S. Truman Research Institute for the Advancement for Peace“ (Yaacov Shamir) an der Hebräischen Universität in Zusammenarbeit mit Khalil Shikakis „Palestinian Center for Policy and Survey Research“ und von anderen Einrichtungen im regelmäßigen Turnus organisiert werden.

Indem Alpher das Dokument als „schlecht für den Frieden“ und Olmert es als „bedeutungslos“ bezeichnen und ein besonnener Politiker wie der ehemalige Außenminister Shlomo Ben-Ami den Autoren vorhält, aus israelischer Sicht einen „non-starter“ auf den Weg bringen zu wollen , kehren solche Voten die häufig zitierte Vorhaltung Abba Ebans um, die Palästinenser versäumten keine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu versäumen – schließlich war der Text von Marwan Barghouti („Fatah“), Abdel Khalek Natche („Hamas“) , Bassam al-Saadi („Islamischer Djihad“), Abed al-Rheem Malouch („Volksfront für die Befreiung Palästinas“) und Mustafa Badarna („Demokratische Front für die Befreiung Palästinas“) unter den Augen der israelischen Gefängnisbehörden erarbeitet worden. Abbas versucht seit seinem Amtsantritt, nach innen den vermeintlich prinzipienfesten Grundkurs Arafats der Ambivalenz zu überwinden, der sich zwischen politischem Immobilismus und einer Hinhaltetaktik gegenüber antagonistischen palästinensischen Gruppen bewegte, um seine Rolle als „Übervater der Nation“ zu sichern. Die israelische Regierung wäre gut beraten gewesen, Abbas’ „präsidentiellem Ultimatum“ (Ben-Ami) die positiven Seiten des offenen palästinensischen Meinungsbildungsprozesses abzugewinnen, statt allein mit strikter Ablehnung zu reagieren.

Amtliche Politik und versprengte Friedenskräfte

Bei einer Kundgebung israelischer und palästinensischer Friedensgruppen Anfang Juni 2006 in Tel Aviv hat die große alte Dame des bürgerlich-liberalen Lagers Shulamit Aloni Israel als einen „Staat ohne Recht und Richter“ bezeichnet. Dieses Urteil mag erstaunen, doch in der Realität betont das übliche Bekenntnis zur Demokratie, das im Westen fraglos akzeptiert wird, vor allem die formale Funktionstüchtigkeit der institutionellen Gewaltenteilung. Viele problematische legislative und exekutive Entscheidungen sowie heftige generelle Angriffe auf die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts hat das demokratische Selbstverständnis nicht verletzt, obwohl – wie eine Studie ausführlich begründet hat – seit Yitzhak Rabins Ermordung 1995 „blutet die Demokratie“: Wertvorstellungen und Toleranz sowie die Autorität des Gesetzes hätten unter dem Druck politischer Spannungen gelitten . Der israelische Dichter und Autor Chaim Guri, verschiedentlich als „Vater der Siedlungen“ bezeichnet, hat sich vor vielen Jahren gegen Versuche verwahrt, den Konflikt auf die menschliche Ebene zu reduzieren, weil er dann unerträglich werde . „Schon lange nimmt die israelische Bevölkerung das Leiden der palästinensischen Bevölkerung nicht mehr wahr“, schrieb der Israel-Korrespondent der FAZ im Juni 2006 .

Es ist noch nicht lange her, dass Olmert den Gerichtspräsidenten Aharon Barak als den „vielleicht bedeutendsten Richter in der Welt“ gepriesen hat . Sein Eintritt in den Ruhestand im Sommer 2006 dürfte freilich, so befürchten Beobachter, abträgliche Konsequenzen für die Rechtsprechung nach sich ziehen. Schon in der Vergangenheit standen dem Obersten Gericht nur eingeschränkte Möglichkeiten der juristischen Nachprüfung legislativer und sicherheitsrelevanter Akte zu, so dass es ihm häufig nicht gelang, etwa der Genfer Konvention von 1949 als Teil des internationalen Gewohnheitsrechts angemessene Geltung zu verschaffen. Statt dessen lieferte es bisweilen sogar Rechtfertigungen für bedenkliches staatliches Handeln. Die Politik hat gemeinsam mit der Publizistik für ein Meinungsklima gesorgt, das auf Dauer angelegte Alternativen zum Status quo als lächerlich abzutun geneigt ist, den guten Willen der Palästinenser von Grund auf bezweifelt und dem Standpunkt der eigenen Regierung keine weitere Legitimierung abverlangt – ein Phänomen, dass der Jerusalemer Soziologe Yoram Peri als „Medienpolitik“ bezeichnet hat .

Da der Deutsche Bundestag im Januar und im Mai 2004 die Akteure der „Genfer Initiative (GI)“ politisch ermutigt hat, soll an dieser Stelle ihrer Arbeit gesondertes Augenmerk gewidmet werden. Die aus ausländischen Finanzquellen gespeisten und hauptamtlich besetzten Büros in Tel Aviv und Ramallah führen regelmäßig Meinungsumfragen in der israelischen und der palästinensischen Bevölkerung durch, die eine relativ stabile Mehrheit für die GI-Grundprinzipien ausweisen, vor allem für die Zweistaatenlösung. Damit bestätigen sie einen Trend, der seit den 1990er Jahren erkennbar war und auch durch die zweite „Intifada“ nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden ist. Strittig bleiben die GI-Vorschläge für die künftigen Grenzziehungen, für die Institutionalisierung Jerusalems zur Doppelhauptstadt mit Vorkehrungen für die Altstadt und die dortigen Heiligen Stätten sowie für das palästinensische Flüchtlingsproblem. Hier klaffen die Vorstellungen in beiden Öffentlichkeiten weit auseinander.

In intellektuellen und politischen Kreisen der Palästinenser wird inzwischen häufiger ein Bekenntnis zur „Genfer Initiative“ abgelegt, weil sie das am weitesten fortgeschrittene Dokument für eine Friedensregelung darstellt. Dagegen ist in Israel ihr anfänglich guter Name nach der medienwirksam inszenierten Euphorie der Präsentation in der Schweiz verfallen. Zwar beziehen sich Tageszeitungen wie die liberale „Haaretz“ hin und wieder auf den GI-Text und messen ihm politisch wegweisende Bedeutung zu. Aber in der israelischen Bevölkerung muss sich das Dokument gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, die sich spätestens unter dem Eindruck des „Hamas“-Wahlerfolgs zwischen „nationalem Ausverkauf“ und politischem Illusionismus bewegen. Während das Büro in Ramallah vor allem Workshops, Trainingsprogramme zur Gewaltfreiheit und zur friedlichen Koexistenz sowie Programme in Flüchtlingslagern organisiert, veranstaltet die Dienstelle in Tel Aviv Seminare und Tagungen und bietet für bestimmte Zielgruppen (Lehrpersonal, Journalisten, politische Gliederungen, Angehörige der Sicherheitsdienste, Kommunalpolitiker usw.) Führungen zu neuralgischen Punkten wie der „Trennungsmauern“ an, die im April 2005 die sagenhafte Zustimmung von achtzig Prozent der israelischen Bevölkerung fanden . Der aus den palästinensischen Gebieten berichtende „Haaretz“-Redakteur Danny Rubinstein schrieb an ihre Adresse:

„Alle enthusiastischen Befürworter des Trennungszaun-Baus sollten die Gegend um al-Muwahil besuchen, um die Scheinwelt zu sehen, die die Zäune und Wälle um Jerusalem herum geschaffen haben .“

In der letzten Zeit hat eine nicht unbeträchtliche Personalfluktuation stattgefunden. Davon abgesehen, wird man gewisse Defizite und systemische Schwächen nicht übersehen können. Sie werden zum einen an die Person des ehemaligen GI-Hauptakteurs Yossi Beilin geknüpft, dem Führungsschwäche und die Doppelfunktion als nicht unumstrittener Vorsitzender der Oppositionspartei „Meretz/Yachad“ vorgeworfen wird. Beilins historische Verdienste als Architekt der Osloer Vereinbarungen von 1993 und 1995 als Stellvertreter von Shimon Peres im Auswärtigen Amt sind zwar häufig gewürdigt worden, doch haben sich die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit in der Zwischenzeit von ihnen längst verabschiedet. „Oslo“ hat den Klang eines Schimpfwortes angenommen, von dem sich Beilins einstige politisch-intellektuelle Autorität allem Anschein nach nicht erholt hat. Nachdem „Oslo“ keine Zusage für einen palästinensischen Staat beinhaltet hatte und da die öffentliche Zustimmung zu diesen Vereinbarungen kontinuierlich sank, konnte es nicht verwundern, dass sich die Begeisterung für die „Genfer Initiative“ mit dem Verlangen, die nationale Unebenbürtigkeit der Palästinenser aufzuheben, in Grenzen hält.

Es sei gegenwärtig eine herausragende Aufgabe der „Genfer Initiative“, heißt es im Tel Aviver Rundbrief vom Mai 2006, den Ministerpräsidenten beim Wort zu nehmen, nämlich die vorteilhaftesten Wege zu Verhandlungen mit den Palästinensern auszumachen. Von diesem Anspruch ist wenig zu spüren. Die öffentliche Meinung mag zwar politisch nicht entscheidend sein, in den Kabinetten findet sie jedoch in einer Zeit allemal Aufmerksamkeit, in der das Geschäft der „Medienberater“ wie nie zuvor blüht. Da das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen Regierungen und Veränderungen im Meinungsklima unbestritten ist, hätte man sich eine stärkere Einmischung der „Genfer“ auf beiden Seiten in öffentliche Diskurse gewünscht. Zum anderen ist das Dokument nicht aktualisiert und an neue Realitäten angepasst worden. Zu den Unterlassungen gehören
  • auf beiden Seiten eine deutliche Herausarbeitung des Verhältnisses zur „Road Map“ statt die Wiederholung der defensiv anmutenden Behauptung, wonach „Genf“ in Übereinstimmung mit der dritten Phase des internationalen Wegeplanes stehe;
  • in Israel die Unterstützung für Machmud Abbas in der Öffentlichkeit;
  • beiderseitige Anstrengungen zur Auffüllung der 49 Leerstellen („Anhang X“) im Text;
  • in Israel wahrnehmbare Proteste gegen die „Trennungsmauern“, die bis Ende 2007 in einer Länge von 760 Kilometern – der zweieinhalbfachen Dimension der „Grünen Linie“ von 1967 – fertiggestellt sein sollen, wobei allein im Großraum Jerusalem rund 200.000 Palästinenser auf israelisches Territorium geraten, so dass von einem „Sicherheitszaun“ kaum die Rede sein kann;
  • gemeinsame Erklärungen zur anhaltenden Gewalt, zur ungebremsten Siedlungstätigkeit in Ost-Jerusalem und in den neuralgischen Zonen der Westbank, die nach dem Willen der Regierung annektiert werden sollen.
Das „Public Council“ der israelischen „Genfer“ ist eine hochrangig besetzte Dekoration ohne politisch gestaltenden Einfluss geblieben. Wenn darauf hingewiesen wird, dass mit der Erziehungsministerin Yael („Yuli“) Tamir ein Kabinettsmitglied dazugehört, hätte man gern gewusst, welche Rolle sie bei der Konzeptualisierung eines regierungsamtlichen Friedensprogramms spielt. Selbst Wohnungsbauminister Meir Sheetrit („Kadima“) sah sich zu der Klage veranlasst, dass im Kabinett keine Debatte über Olmerts „Konvergenzplan“ stattgefunden habe.

Die Lage auf der palästinensischen Seite ist grundlegend verschieden. Wegen der schwer unerträglichen Lebensbedingungen ist die palästinensische Bevölkerung kaum für weitreichende Friedensinitiativen zu gewinnen. Andererseits hat die Ernennung des palästinensischen GI-Hauptakteurs Yasser Abed Rabbo zum Beauftragten für das Referendum über das „Nationale Konsensprogramm“ der in Israel einsitzenden Häftlinge noch einmal bestätigt, dass Abbas’ Politik den Prinzipien der „Genfer Initiative“ folgt, ohne diese beim Namen zu nennen. Dem Präsidenten ist klar, dass die Palästinenser nach dem Scheitern von Camp David im Juli 2000 kein besseres Friedensangebot erhalten werden als die Umsetzung jener Vorschläge. Diese Nähe zwischen GI und Präsidialamt hat zur Folge, dass das Büro in Ramallah zu der von Abbas verantworteten Politik in enger, möglicherweise allzu enger Anbindung steht, in jedem Falle jedoch in scharfem Widerspruch zur Autonomiebehörde unter Führung der „Hamas“.

Empfehlungen

Wie andere israelische Politiker vor ihm hat Yossi Beilin jüngst die deutsche Bundesregierung aufgefordert, ihre Politik nicht nur auf die Vergangenheit zu stützen, sondern stärker in die Zukunft friedlicher Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern zu investieren . Die „Genfer Initiative“ ist und bleibt auf absehbare Zeit trotz mancher aktueller Versäumnisse der einzige Friedensentwurf mit politischer Zukunft: Neunzig Prozent des Materials, zeigte sich einer ihrer Repräsentanten überzeugt, werde der künftige Friedensvertrag von den GI-Texten abschreiben .

Die deutsche Politik – Bundesregierung und Bundestag – ist aufgefordert, ihr Verlangen nach Anerkennung Israels durch die Palästinenser ins Gleichgewicht mit der nationalen Ebenbürtigkeit des palästinensischen Volkes zu bringen. Da Israel nach eigenem Bekunden die stärkste Militärmacht in der gesamten Region ist und trotz aller iranischer Drohungen auch bleiben wird, laufen Bundesregierung und Parlament Gefahr, die anhaltende tiefe Asymmetrie zu verlängern, die fast täglich zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert . Am selben Tag, an dem Olmert in Petra (Jordanien) Machmud Abbas die Aufnahme von Verhandlungen „in einigen Wochen“ zusagte, plädierte er bei einer Wirtschaftskonferenz in Jerusalem für die Fortsetzung der „gezielten Tötungen“, wobei er sich für die zivilen Opfer der Angriffe „aus tiefstem Herzen“ entschuldigte . Während Abbas mehrfach die sofortige Einstellung des „Qassem“-Beschusses auf israelische Ortschaften verlangt hat, obwohl ihm die Machtinstrumente zur Durchsetzung dieser Anordnung fehlen , verzichtet die israelische Regierung bislang darauf, ihrem Militärs Zurückhaltung aufzuerlegen, ja Olmert hat es sich jüngst nicht nehmen lassen, ihre Angehörigen als die moralischste Armee auf der ganzen Welt zu preisen.

Die „International Crisis Group“ hat zwar das gesamte „Quartett“ für das Ende des Friedensprozesses verantwortlich gemacht, aber nach unabhängigen Medienberichten plädieren die deutschen neben den britischen und dänischen Diplomaten für eine besonders harte Linie gegenüber „Hamas“ . Wie unter solchen Voraussetzungen ein UN-Vermittler, der auf Vorschlag der „International Crisis Group“ allein gegenüber der PLO, der Autonomiebehörde, „Hamas“ und anderen palästinensischen Organisationen als handlungsbevollmächtigter Friedensrepräsentant auftreten soll, bleibt höchst ungewiss. „Iran braucht Druck und Garantien“, hat Joschka Fischer verlangt . Im Hinblick auf die israelische Politik jedoch möchte er auf den ersten Teil seines Plädoyers Abstand nehmen, denn den Wahlsieg von „Hamas“ führt er allein auf die Korruption und die Misswirtschaft der Autonomiebehörde sowie auf die Welle des radikalen Islam zurück, die zentrale Teile der arabischen Welt erfasst hat : Der Konflikt, der „immer der heißeste Punkt [in der ganzen Region] gewesen ist, (scheint) im Moment zum pragmatischsten Ort der Region geworden zu sein“ . Eine solche Einschätzung unterscheidet sich auffällig von Urteilen, zu denen etwa der israelische Historiker und Publizist Tom Segev kommt: Die Siedlungen – gemeint waren, nach dem Gaza-Abzug, die in den anderen Teilen der palästinensischen Gebiete – seien „ein schweres Hindernis für jede vernünftige Vereinbarung zwischen Israel und den Palästinensern“ . Ein UN-Auftrag nach Maßgabe der „International Crisis Group“ würde im Nahen Osten darauf hinauslaufen, die Souveränitätsvorbehalte über die Westbank Israels zu bestätigen

Der Verzicht auf entschiedenes politisches Handeln hat dazu geführt, dass Europa im Nahen Osten „payer“ geblieben und nicht zum „player“ geworden ist; die Erwartungen Fischers an das „Quartett“ haben sich nicht erfüllt. Dafür hat die einseitige Konzentration auf Finanzhilfen dazu beigetragen, die palästinensische Gesellschaft zu spalten und ihre Eliten zu korrumpieren. Die Bereitstellung von Geld zu humanitären Zwecken reicht nicht aus, auch wenn entgegen allen bisherigen Erfahrungen Shimon Peres jetzt noch einmal vorgeschlagen hat, anstelle der strittigen politischen Fragen den „wirtschaftlichen Frieden“ zu fördern . Der Nahost-Sonderbeauftragte des „Quartetts“, James Wolfensohn, hat ihm gleichsam im Vorgriff Ende April 2006 in seinem Abschiedsbrief mit der selbstkritischen Frage geantwortet, „ob humanitäre Hilfe ausreicht, um uns dem erwünschten Ziel der Zweistaatenlösung gemäß der ›Road Map‹ näherzubringen“ .

Politik und Medien in Deutschland ist es aufgetragen, der politischen Dynamik innerhalb „Hamas“ größere Aufmerksamkeit zu schenken. Aufgrund des politischen Versagens der PLO-Führung repräsentiert „Hamas“ einen erheblichen Teil der palästinensischen Bevölkerung, die sich durch wirtschaftlichen Boykott und durch den Eigenwillen der Siedlungen nicht zur Mäßigung zwingen lässt. Andererseits müssen „Hamas“ Anreize für die Einsicht gegeben werden, die eine Rückkehr in die Vergangenheit – Versuche einer „militärischen“ Konfrontation – verhindern. Ismail Haniyeh hat in einem Interview im Mai 2006 erklärt, wenn sich Israel auf die Grenzen von 1967 zurückziehe, werde es Frieden geben – im gleichen Sinne äußern sich zahlreiche internationale Resolutionen. Haniyehs Sprecher hat drei Wochen später eine fünfzig bis sechzig Jahre anhaltende Waffenruhe („hudna“) angeboten, die den Abschluss eines Friedensvertrages künftigen Generationen überlassen will. Äußerungen wie diese fügen sich in Überlegungen ein, die arabische Friedensinitiative von Beirut im März 2002 zu übernehmen.

Die deutsche Bundesregierung und der Bundestag sind aufgefordert, aus den parlamentarischen Erklärungen vom Februar und vom Mai 2004 politisch operative Konsequenzen zu ziehen. Einseitige Entscheidungen der israelischen Politik beschädigen die Legitimität des palästinensischen Volkes auf souveräne Staatlichkeit und schaden schon heute den Interessen der israelischen Bevölkerung an einem Frieden mit den Nachbarn.

* Dr. Reiner Bernstein, München. Politischer Förderer der "Genfer Initiative"; der Autor zeichnet auch verantwortlich für eine Website zur Genfer Initiative: www.genfer-initiative.de.


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