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Camp David 2000: Wie nahe war der Frieden im Nahen Osten?

Mythen, Tatsachen und Interpretationen*

Von Reiner Bernstein**

Seit dem Scheitern der Gipfelkonferenz in Camp David wird in der internationalen Öffentlichkeit darüber gestritten, ob der damalige israelische Premier Ehud Barak im Juli 2000 ein äußerst großzügiges Angebot zur Räumung der besetzten Gebiete vorgelegt habe, das von Palästinenserpräsident Yasser Arafat leichtfertig abgelehnt worden sei. Seither beschuldigen sich Israelis und Palästinenser, die Wege zu einem Friedensvertrag blockiert zu haben und statt dessen zu Mitteln der exzessiven Gewalt zu greifen. Während jüngst auch Joschka Fischer Baraks Vorschlag als weitreichend bezeichnet hat, behaupten Repräsentanten der Autonomiebehörde, dass am Ende einer solchen Regelung ein palästinensischer Quislingsstaat gestanden hätte.

Ich will untersuchen, ob in Camp David tatsächlich eine noch nie da gewesene Chance verpasst wurde. Plausible Antworten lassen sich nur finden, wenn die Verhandlungen in die Substanz des Friedensprozesses von Oslo sowie in den Kontext der israelischen und palästinensischen Innenpolitik eingebunden werden.

Einleitende Bemerkungen:

Der Streit um die politische Bedeutung und die Tragweite der Verhandlungen von Camp David begann bereits, als US-Präsident Bill Clinton nach einem zweiwöchigen Sitzungsmarathon das Scheitern der Gespräche am 25. Juli 2000 bekannt gab. Seither behaupten die einen, dass die politischen und territorialen Angebote Baraks äußerst großzügig gewesen seien. Die anderen weisen diese Interpretation zurück und halten Baraks Angebote für völlig unzureichend, so dass Arafat allen Grund gehabt habe, sie abzulehnen.

Mein Bemühen um eine differenzierte Urteilsbildung soll nicht darauf hinauslaufen, die Verantwortlichkeiten für das Misslingen der Konferenz neu zu verteilen oder die Schuld ausschließlich der einen oder der anderen Seite zuzuweisen. Vorgeschichte und der Gang der Verhandlungen sind viel zu komplex, als dass eine solche Herangehensweise Bestand hätte. Vielmehr wurde sie nur eine weitere Runde nutzloser rhetorischer Eskalationen einleiten und die Einsicht verhindern, dass Camp David die bisher letzte Chance seit 1993 war, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern auf politisch-diplomatischem Wege zu regeln.

Womit haben wir es mit der Prinzipienerklärung vom September 1993 und mit der Interimsvereinbarung vom September 1995 ("Oslo I + II)" zu tun gehabt?

1. Beide Dokumente spiegelten das Gefälle zwischen einem Staat und einer Dachorganisation wider. Insofern waren sie keine Verträge im völkerrechtlich verbindlichen Sinne ("treaties"), sondern Vereinbarungen ("declaration" bzw. "agreements" oder "accords"). Schon wenige Wochen nach den Unterschriften in Washington, als Rabin, Peres und Arafat den Friedensnobelpreis entgegennahmen, drohte angesichts der Unebenbürtigkeit der Verhandlungspartner das Ende der Gespräche. Danach schleppten sich Gespräche von einer Krise zur anderen.

2. Oslo entfernte den Konflikt aus der internationalen Politik und erklärte ihn zu einer bilateralen Streitfrage in regionalen Kontexten. Arafat selbst hatte die Prinzipienerklärung ohne Einschaltung der ägyptischen, jordanischen und syrischen Regierungen ausgehandelt. Dieses Versäumnis wird ihm in arabischen Hauptstädten bis zum heutigen Tage übelgenommen, deshalb sind die regelmäßig verabschiedeten Solidaritätserklärungen brüchig.

3. Die Prinzipienerklärung hat alle strittigen Probleme auf die fünfjährige Interimsphase bis Mai 1999 verschoben. Die Themen Jerusalem, Flüchtlinge, Siedlungen, künftige Grenzen und Sicherheitsangelegenheiten blieben bis zum heutigen Tage ungelöst. In all diesen Problemen spielt der Topos der Souveränität eine zentrale Rolle: Während für Israel die Siedlungen in der Westbank und im Gazastreifen in völkerrechtlich nicht geklärten Territorien liegen, sind sie für die Palästinenser illegal und widersprechen den Normen des internationalen Rechts. Insofern gehen die ständigen Vergleiche mit der auf vertrauensbildende Maßnahmen zielenden Konferenz für Frieden und Sicherheit in Europa, dem israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von Camp David 1979 und mit dem israelisch-jordanischen Friedensvertrag 1994 völlig in die Irre. Niemand in den europäischen Hauptstädten, Jerusalem, Kairo und Amman wäre auf die Idee gekommen, die Legitimität der Staatsordnung auf der anderen Seite in Frage zu stellen.

4. An keiner Stelle von Oslo I und II ist von einer israelischen Zusage für einen palästinensischen Staat zu Rede. Hätten die palästinensischen Verhandlungsführer einen Stab von kompetenten Beratern herbeigezogen, dann wäre ihnen zu Bewusstsein gekommen, dass die Interimsvereinbarung vom September 1995 keinen "Rückzug" ("retreat") aus den besetzten Gebieten, sondern die "Umgruppierung" ("redeployment") der israelischen Truppen stipulierte. Diese schwerwiegende Differenz hat Arafat, als er sie bemerkte, dazu veranlasst, alles auf die Karte der Unwiderstehlichkeit der in Oslo in Gang gesetzten politischen Dynamik zu setzen.

5. Diesen Annahmen war es zuzuschreiben, dass Arafats "Staatsobsession" alle innenpolitischen Probleme in den palästinensischen Gebieten vernachlässigte und ihre Lösung sogar verhinderte. Das gilt sowohl für die Einbeziehung der im Januar 1996 gewählten Gesetzgebenden Versammlung (PLC) in politische Entscheidungsprozesse, wie für den Aufbau eines funktionierenden Rechtssystems und die Entwicklung einer mittelständisch orientierten Wirtschaftsordnung. Das Versprechen einer in die arabische Welt hineinwirkenden palästinensischen Demokratie blieb auf der Strecke. Statt dessen erkaufte er sich Loyalitäten durch Begünstigungen seiner aus dem tunesischen Exil mitgebrachten alten Kampfgefährten und die Pflege neuer Abhängigkeiten.

6. Gegen den mit machtpolitischem Durchsetzungsvermögen ausgestatteten Staat Israel "glänzte" Arafat in all den Jahren durch politische Sprunghaftigkeit, die ein geschlossenes Planungs- und Handlungskonzept vermissen ließen. Nur so ist es zu erklären, dass er die Proklamation des Staates Palästina zweimal in letzter Minute absagen musste und - wie Ende 1987 schon einmal - vom Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 überrascht wurde. Diese Unfähigkeit zum politisch-strategischen Denken machte ihn zum Getriebenen von Entscheidungen, die anderen Ortes gefällt wurden. Angesichts solcher Defizite und Fehleinschätzungen griff Arafat kompensatorisch zu ambivalenten Mitteln, um seine Autorität zu wahren: Zum einen forderte er ständig die Rückkehr zu Verhandlungen, auf die er faktisch nicht vorbereitet war. Zum anderen ermutigte er den Einsatz von Gewalt, wenn die Verhandlungspolitik zu scheitern drohte, und ließ die Täter wenigstens gewähren, und distanzierte sich im nachhinein unter israelischen und/oder amerikanischem Druck von ihnen, um als "Partner" noch ernst genommen zu werden.

7. Barak war der erste israelische Ministerpräsident, der den Palästinensern förmlich einen eigenen Staat anbot. Solche Belege finden wir bei Rabin nicht, von Netanyahu und Sharon ganz zu schweigen. Welche Qualität dieser Staat nach israelischen Vorstellungen haben sollte, darüber ist der eigentliche Meinungsstreit entbrannt. Darauf ist zurückzukommen.

Zur vorhandenen Literatur:

Bislang liegen keine gesicherten Erkenntnisse über den tatsächlichen Verlauf der Gespräche in Camp David vor. Alle drei Seiten, Israelis, Palästinenser und Amerikaner, haben ihre Akten und Notizen bislang nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Deshalb sind wir auf Bewertungen von Beratern angewiesen, die mehr oder weniger dicht am Ort des Geschehens waren, auf Interviews und auf das Urteil von erfahrenen Kommentatoren. Von den Gesprächen in Taba (Dezember 2000) hat Bill Clinton seine Notizen freigegeben. Sie sind auf der Grundlage palästinensischer Quellen veröffentlicht worden . Wie politisch authentisch sie sind, entzieht sich dem endgültigen Urteil, weil Clinton als historischer Friedensengel aus dem Amt scheiden wollte.

Ein erster Blick in die Literatur lässt erkennen, dass die Urteile über das Ergebnis der Verhandlungen stark voneinander abweichen und nicht entlang arabisch-palästinensischen bzw. der israelischen Frontlinien verlaufen. Vielmehr dokumentieren sie die ganze Bandbreite von Erfahrungen und Standpunkten. "Fragen Sie Arafat, und er mag Ihnen bereitwillig sagen, dass es kein israelisches Angebot gab und dass es außerdem von Arafat abgelehnt wurde. Fragen Sie Arafat, und die Antwort, die Sie hören, dürfte die sein, dass es kein Angebot gab und dass es außerdem nicht akzeptabel war", fassten Hussein Agha und Robert Malley ihre Schilderung der Ereignisse ironisch zusammen . Barak und Arafat misstrauten sich tief, was an der Eingangsszene deutlich wird, dem anderen den Vortritt in den Verhandlungsraum zu überlassen, das heißt sich den eigenen Rücken freizuhalten.

Aus der vorliegenden Literatur wird deutlich, dass keine der drei beteiligten Parteien auf die Verhandlungen gut vorbereitet waren und kein Sicherheitsnetz ausgebreitet hatten für den "Fall der Fälle". Es war, hat Yossi Beilin bemerkt, der zur Delegation Baraks gehörte, "eher ein Nullsummenspiel denn eine ernsthafte Kompromissbereitschaft . Führende Mitglieder der Autonomiebehörde wie Abu Ala, der Parlamentspräsident, waren gar nicht erst nach Camp David gereist, weil sie ein Desaster befürchteten.

Barak ließ sich von drei Grundüberlegungen leiten, aus denen er eine vierte Konsequenz zog:
  1. Nachdem die fünfjährige Interimsphase verstrichen sei, ohne den Konflikt zu beenden, habe sich das Konzept schrittweiser Regelungen erledigt. Es komme darauf an, eine umfassende Lösung zu finden.

  2. Barak glaubte, dass die palästinensische Führung zu einem historischen Kompromiss bereit sei, weil ihre politische Autorität in der eigenen Bevölkerung schwinde.
  3. Barak erwartete, dass die israelische Bevölkerung einen endgültigen Frieden mit den Palästinensern akzeptieren würde, auch wenn er weitreichende Konzessionen beinhalte.
  4. Diese eigenen Hoffnungen veranlassten Barak zur Unnachgiebigkeit in der Flüchtlingsfrage, in der geplanten Annexion der drei Siedlungsblöcke Gush Etzion, Groß-Jerusalem und Ariel sowie in der Forderung nach Sicherheitsregelungen wie Frühwarnstationen auf palästinensischem Boden und einem langfristigen Pachtvertrag in der Jordansenke.
Das Beharren auf diesen vier Prinzipien ist als eine "Alles oder nichts"-Strategie bezeichnet worden .

Auch auf palästinensischer Seite schien es eine Bereitschaft zu geben, die ergebnisschwache Interimsphase zu den Akten zu legen und ebenfalls auf eine Gesamtregelung zuzusteuern. Sie speiste sich aus Erfahrungen mit Baraks Vorgängern, insbesondere mit Benjamin Netanyahus. Außerdem wurde befürchtet, dass Israel auf dem Wege einer zügigen Regelung des Konflikts mit Syrien einen ungeheuren Druck auf die Palästinenser aufbauen werde. Arafat war zwar bereit, sich auf den großen Wurf ("grand design") Baraks einzulassen, bestand aber auf der Regelung der strittigen Einzelprobleme einschließlich der dritten Rückzugsphase, die im Winter 1999 in Wye vereinbart worden war . Schließlich und letztlich ging es Arafat mehr darum, nach Camp David politisch zu überleben als mit Erfolgen nach Hause zurückzukehren, gegen die sich in der palästinensischen Öffentlichkeit Widerstand regen würde.

Es stellte sich heraus, dass Arafat dreierlei Weise aus Camp David als Verlierer schied:
  1. Zum einen wurde in der arabischen Welt sein Verhandlungsgeschick strittig bewertet. So schrieb ein führender jordanischer Kommentator: "Das Grundproblem jeder Verhandlungsführung besteht darin, dass es die schwächere Seite vermeidet, Angebote abzulehnen, selbst wenn sie nicht ausreichen. Auf diesem Hintergrund entdeckt man, dass die palästinensische Führung dieselben Fehler begangenen haben mag wie 1947", als in der UN-Vollversammlung der Teilungsplan abgelehnt wurde ; der Kommentar lag auf der Linie der Distanz König Abdullahs II. zu Arafat . In einem langen Interview mit der ägyptischen Nachrichteragentur erklärte Mubarak kürzlich, dass die Palästinenser seit Oslo für ihre eigene Zukunft verantwortlich seien .
  2. Zum anderen übernahmen weite Teile der internationalen Öffentlichkeit die von Clinton mitgetragene Version, dass Arafat in Camp eine historische Chance habe vorbeistreichen lassen.
  3. Schließlich fachte die "Junge Garde" gegen die Interessen der "Tunesier" die zweite Intifada an. Ohne in der Lage zu sein, an die Stelle der Autonomiebehörde eine alternative politische Option zu vorzulegen, setzte sie den Versuch in Gang, unter Einsatz der "Hisbollah"-Instrumente im Süden Libanons die Israelis mit militärischen Mitteln aus den besetzten Gebieten zu vertreiben . Wie Barak in Camp David setzte sie alles auf eine Karte.
Die Verhandlungen von Camp David: Kennzeichen und Fehleinschätzungen

Wenn wir die Substanz der Verhandlungen mit ihren taktischen Winkelzügen und in ihrem politischen Ergebnis zusammenfassen wollen, dann ergibt sich folgendes Bild:
  1. Beide Seiten zögerten, die Verhandlungspositionen in die Schriftform zu kleiden, das heißt sie der überprüfenden Kontrolle zugänglich zu machen.
  2. Beide Seiten bedienten sich Bill Clinton für die Übermittlung ihrer mündlichen Botschaften und wiesen ihm damit eine Rolle zu, die er schwerlich ausfüllen konnte, ohne selbst politisch beschädigt zu werden.
  3. Die Vorstellungen Baraks liefen darauf hin, die palästinensischen Gebiete in vier voneinander getrennte Sektoren aufzuteilen: die nördliche Westbank, die zentrale Westbank, die südliche Westbank und den Gazastreifen. Damit hätte der palästinensische Staat lediglich über eine beschränkte Souveränität und Lebensfähigkeit verfügt.
  4. Barak wollte neun Prozent der palästinensischen Gebiete annektieren, wofür ein Ausgleich von einem Prozent des israelischen Territoriums (Hulot Halutza im nördlichen Negev) sowie - seit Tab - eine sichere Transitstrecke zwischen der Westbank und dem Gazastreifen angeboten wurden. Außerdem wollte Barak weitere zehn Prozent der Westbank - die Jordansenke - in Form eines langfristigen Pachtvertrages übernehmen.
  5. Was Jerusalem anging, wurden von der israelischen Delegation höchst detaillierte Skizzen vorgelegt, die auf eine territoriale und funktionale Teilung hinausliefen. Bill Clinton schlug zusätzlich vor, dass die arabischen Wohngebiete Teil des palästinensischen Staates und die jüdischen Wohngebiete Teil des Staates Israel sein sollten. Das Jüdische Viertel, die "Klagemauer" und der untere Teil des Tempelberges wären in israelischer Hand geblieben, während das Christliche Viertel, das Moslemische Viertel und der obere Teil des Tempelberges palästinensisch geworden wäre, letztere allerdings nur im Sinne einer "permanenten Treuhandschaft" . Die Erweiterung der Stadtgrenzen in nördlicher, östlicher und südlicher Richtung seit 1967 wäre damit nachträglich sanktioniert worden.
  6. Barak verlangte einen "demilitarisierten" palästinensischen Staat, während Arafat einen Staat mit begrenztem Waffenarsenal anbot .
  7. Arafat bestand zunächst auf der prinzipiellen Anerkennung der Grenzen von 1967, bevor er in einem späteren Gespräch mit Clinton bereit gewesen sein soll, zwischen acht und zehn Prozent der Westbank zur Annexion freizugeben.
  8. In der Flüchtlingsfrage habe Arafats Stellvertreter Abu Mazen, so wird berichtet, vor Camp David verlangt, dass nicht über die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge beraten, sondern nur über das Prinzip des Rückkehrrechtes verhandelt werde . Die Verhandlungen scheiterten daran, wie das Konzept des Rückkehrrechts praktisch zu realisieren sei, ohne den Ansatz einer Zweistaatenreglung außer Kraft zu setzen. Denn sie wäre im Falle des Zuzugs von mehr als drei Millionen Palästinensern nach Israel die Zweistaatenregelung ab absurdum geführt worden. In Aussicht genommen wurden fünf Optionen für die Eingliederung der Flüchtlinge: in den künftigen Staat Palästina, in das von Israel angebotene Austauschgebiet Hulot Halutza, in den arabischen Gastländern, in Drittländern und in Israel im Zuge von Härtefallregelungen und Familienzusammenführungen .
Der israelische Publizist Amos Elon vertrat zu den Ergebnissen von Camp die Auffassung: Barak bot "ein paar versprengte Enklaven" an, "die aber vom palästinensischen Staat abgetrennt und untereinander noch einmal durch israelische Wohnsiedlungen zerstückelt werden sollten. Barak bot den Palästinensern die Hoheitsrechte über ihre Moscheen auf dem Tempelberg an, aber nicht über den Boden, auf dem sie standen." Dass rechtskonservative Kreise in Israel die "unglaublichen Konzessionen" Baraks beklagten , versteht sich von selbst.

Auf palästinensischer Seite verband der Minister für internationale Zusammenarbeit, Nabil Shaath, nach mehr als einjähriger Verspätung die Erläuterung der Gründe für das Scheitern mit einer Warnung für die Zukunft: "Wir werden keinen Quislingsstaat akzeptieren. Wir werden keinen Semistaat akzeptieren. Wer werden keinen Staat ohne Hauptstadt, ohne Grenzen unter unserer Souveränität und ohne den Himmel unter unserer Souveränität akzeptieren und ohne eine tatsächliche Lösung jener Probleme, denen wir in den Jahren der Besatzung ausgesetzt waren ."

Schlussbemerkungen und einige Thesen

Mit dem Scheitern von Camp David war Arafats Autorität einmal mehr in Mitleidenschaft gezogen. In der palästinensischen Öffentlichkeit wurde ihm vorgehalten, dass er sich auf Friedensverhandlungen eingelassen habe, die von vornherein als Kapitulationsdiktat hätten erkannt werden müssen.

Aber auch Baraks politisches Schicksal war mit dem Scheitern Camp Davids besiegelt. Schon vor seiner Abreise hatte er seine religiösen Koalitionspartner verloren. Am 28. September glaubte er, durch die Erlaubnis, Sharon den Haram al-Sharif besuchen zu lassen, die innenpolitischen Widerstände mildern zu können. Als Clinton im Dezember 2000 neue Ideen nach Taba am Roten Meer mitbrachte, wonach der palästinensische Staat statt 91 nunmehr 94 bis 96 Prozent der besetzten Gebiete übernehmen sollte, war die zweite Intifada bereits im vollen Gange. Nunmehr verfolgte Barak angesichts beängstigender Meinungsumfragen einen Zickzackkurs, der seiner Glaubwürdigkeit weiter schadete und ihm am 8. Februar 2001 eine verheerende Niederlage gegen Ariel Sharon eintrug.

Der Staat Palästina und damit die Zweistaatenlösung sind nach Camp David in weite Ferne gerückt. Auch die zweite Intifada hat den Staat Palästina politisch nicht nähergebracht. Statt dessen werden in der internationalen Öffentlichkeit die palästinensischen Terrorakte und Selbstmordattentate mit der israelischen Besatzungspolitik parallelisiert, ohne das Verhältnis von Ursache und Wirkung hinreichend zu diskutieren.

Je länger das israelische Besatzungsregime anhält, desto stärker ist die Existenz des Staates Israel bedroht. Dem aus Verzweiflung und Hass geborenen palästinensischen Widerstand ist mit militärischen Mitteln nicht beizukommen. Es droht entweder ein zweites Libanon, oder die Regierungen im Nahen Osten besinnen sich auf ihre Verantwortung für politische Regelungen.

Camp David hat gezeigt, dass die Vermittlungsdienste einer außerregionalen Macht wie jene der USA als zeitwillige "Beruhigungspuffer" dienlich sein können, ohne jedoch friedenspolitisches Gewicht entwickeln zu können. Solange der Gedanke an den Frieden nicht im Nahen Osten selbst wächst, werden Terror und Gewalt fortdauern. Es ist zu befürchten, dass Israelis und Palästinenser für die Umkehr noch lange nicht die Schmerzgrenzen überschritten haben.

* In dem Beitrag wurde auf die Quellennachweise verzichtet.
** Der Autor hat zuletzt das Buch "Der verborgene Frieden. Politik und Religion im Nahen Osten" (Berlin 2000) vorgelegt. Anmerkungen sind erwünscht unter Reiner.Bernstein@web.de



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