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"Eine faire Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes ist nicht in Sicht"

Fritz Edlinger, Generalsekretär der "Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen" über die Hindernisse auf dem Weg zum Frieden


Editorische Vorbemerkung:
Der folgende Artikel sollte ursprünglich in der Wochenendbeilage der Wiener Zeitung erscheinen, wurde aber - wie der Autor mitteilen ließ - "aufgrund eines Einspruches des Chefredakteurs des Blattes" nicht veröffentlicht. Die "Wiener Zeitung" ist ein von der österreichischen Regierung herausgegebenes Blatt. Wir wollen keine Mutmaßungen über diese einer Zensur nahe kommende Entscheidung anstellen, sondern stattdessen den Artikel unseren Leserinnen und Lesern zur Lektüre anbieten.


Juden und Araber: Ein einziges Missverständnis

Von Fritz Edlinger *

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist auch 20 Jahre nach dem Osloer Vertrag weiter denn je von einer friedlichen Lösung entfernt. Eine der Hauptursachen liegt im neo-kolonialistischen Selbstverständnis des „jüdischen Staates“.

In den vergangenen Wochen wurde sehr viel über das Scheitern des in Oslo im September 1993 begonnenen israelisch-palästinensischen „Friedensprozesses“ geschrieben. Je nach Blickwinkel wurde die eine oder andere Seite dafür verantwortlich gemacht. Die Israelis und ihre Anhänger (siehe dazu auch den Aufsatz von Stephan Grigat im panorama der Wiener Zeitung vom 21./22.9.) versuchten anhand von zumeist viele Jahre zurückliegenden Zitaten den Nachweis zu erbringen, dass die Palästinenser gar keinen Frieden wollen, während die Palästinenser und jene, die sich – wie der Autor dieses Beitrages – für deren berechtigte Anliegen einsetzen, vor allem darauf verwiesen, dass sich die konkrete Lebenssituation der in Israel/Palästina lebenden PalästinenserInnen trotz dieses angeblichen Friedensprozesses ständig verschlechtert hat. Da angesichts einer neuerlichen US-amerikanischen Initiative seit kurzem wiederum völlig illusorische Hoffnungen in einen neuerlichen „Friedensprozess“ erweckt worden sind, möchte ich ein fundamentales Missverständnis beschreiben, welches seit einigen Jahrzehnten zwischen den (zionistischen) Juden und den Arabern im Allgemeinen und den Palästinensern im Besonderen herrscht. Dieses hat viel mit der Geschichte des Konfliktes, vor allem mit dem primären Motiv des Zionismus zu tun. Dieser stellt die Reaktion der Juden auf den im Laufe des 19. Jahrhunderts immer massiver und brutaler werdenden Antisemitismus in Europa, besonders in Osteuropa, dar. Die Zionisten, welche zunächst eine kleine Minderheit der europäischen Juden waren, kamen zum Schluss, dass die Zukunft des jüdischen Volkes in der Schaffung eines eigenen jüdischen Staates liege. Bekanntlich war es der Wiener Journalist Theodor Herzl, der mit seinem 1896 erschienenen Buch „Der Judenstaat“ die Richtung vorgab. Einer der Schlüsselsätze daraus lautet: „Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorbotendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen. Wir würden als neutraler Staat im Zusammenhang bleiben mit ganz Europa, das unsere Existenz garantieren müsste.“[1]

Israel ein kolonialistisches Projekt

Dieses und ähnliche Zitate haben dann auch dazu geführt, dass Israel von vielen Historikern letztlich als ein kolonialistisches Projekt betrachtet wird. Es ist also durchaus legitim, den Zionismus als jüdischen Nationalismus zu definieren, wenngleich dieser natürlich auch über eine extrem starke religiöse (irrationale) Komponente verfügt. Ich kann leider auf die vielfältigen historischen Entwicklungen, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ereignet haben, nicht eingehen. Diese haben letztlich nach dem Holocaust dazu geführt, dass die Internationale Staatengemeinschaft die Gründung eines eigenen jüdischen Staates auf einem Teil des ehemaligen britischen Völkerbundmandates Palästina beschlossen hat.[2] Vor allem die religiöse Dimension des Zionismus und dessen Verweis auf die jahrtausendelange Präsenz des Judentums im „Heiligen Land“ bei weitgehender Ausklammerung anderer zumindest ebenso bedeutsamer ethnischer wie religiöser Verbindungen zum historischen Palästina hat bei einem immer einflussreicher werdenden Teil der Zionisten dazu geführt, die von der UNO verfügte Teilung des Landes zwar anzuerkennen, aber nur als ersten Schritt auf dem Weg zu „Eretz Israel“.

Diese kolonialistische, mitunter auch rassistische, Ideologie stellt eine der Grundsäulen der israelischen Gesellschaft dar, auch jener des 21. Jahrhunderts. Es ist daher auch weiter nicht überraschend, dass ein Staat, der auf solchen Ideen aufgebaut ist, weder willens noch in der Lage ist, mit „Barbaren“ auf gleicher Ebene zu verhandeln. Diese Arroganz prägt das Verhältnis Israels gegenüber seinen arabischen Nachbarn, vor allem aber gegenüber seinen palästinensischen „Friedens“partnern seit jeher. Es war daher auch weiter nicht verwunderlich, dass die Araber den zionistischen Einwanderungswellen in den 20er und 30er Jahren skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden und dann auch 1947 den UN-Teilungsplan ablehnten. Die in den Jahren 1948/49 stattgefundene Vertreibung von knapp 800.000 PalästinenserInnen (ca. 60% der gesamten arabischen Bevölkerung im Mandatsgebiet) aus ihrer Heimat (die Palästinenser bezeichnen diese Vorgänge als „Nakba“ (die Katastrophe)) und die anschließende Verhinderung deren Rückkehr verursachte ein bis zum heutigen Tag spürbares Trauma, welches von Israel völlig ignoriert wird. Dieses und weitere militärische Aktionen Israels führten auch dazu, dass seitens der Palästinenser gewaltsame Methoden zur Revidierung ihrer Niederlage angewendet worden sind. Wenngleich auch die israelischen Militäraktionen gegen Palästinenser aber auch gegen arabische Nachbarstaaten ein Vielfaches an Opfer gefordert haben, war der palästinensische Terror die falsche und letztlich auch erfolglose Antwort auf Vertreibung und Landraub. Letztlich erkannte die palästinensische Führung diese Fehler und fasste bereits 1988 den Beschluss, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und damit auch die von der UNO vorgeschlagene Zweistaatenlösung. Israel nahm dieses Friedensangebot lange Zeit nicht zur Kenntnis, hat sich aber dann doch zu diplomatischen Kontakten bereit erklärt. Diese Kontakte und dann auch folgende formelle Verhandlungen wurden aber nie fair und gleichberechtigt geführt. Ich erinnere mich noch heute an den Ausspruch des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Yitzchak Shamir zu Beginn der Madrider Gespräche Anfang der 90er Jahre, als er meinte, er werde dafür sorgen, dass diese Verhandlungen unendlich fortgeführt werden. Selbst der so viel bejubelte Abschluss der Osloer Vereinbarung hat diese grundsätzliche negative Einstellung kaum geändert. Man hat immer beklagt, keine Gesprächspartner auf palästinensischer Seite zu haben, andererseits aber die Vertreibungs- und Landraubpolitik brutal fortgesetzt, obwohl dies in der Vereinbarung sogar ausdrücklich ausgeschlossen worden war. Die Strategie Israels war und ist es bis heute, Zeit zu gewinnen und gleichzeitig weitere Fakten vor Ort zu schaffen. Fakten, die inzwischen eine Zweistaatenlösung kaum mehr realistisch erscheinen lassen.[3]

Netanjahu als Vollstrecker der Visionen von zionistischen Terroristen

Die kompromisslose Haltung des amtierenden Ministerpräsidenten Netanjahu, der zweifellos der radikalsten israelischen Regierung seit Gründung des Staates Israel vorsteht, ist weiter kein Zufall. „Bibi“ steht in einer klaren politischen Tradition, jener der zionistischen Revisionisten, welche bereits zu Beginn der zionistischen Einwanderung in Palästina an ihrem Ziel, den „Staat der Juden“ durch Vertreibung der indigenen palästinensischen Bevölkerung verwirklichen zu wollen, keinen Zweifel gelassen haben. So hat der politische Vater dieser Bewegung, Zeev Jabotinsky, bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von Vertreibung und der Errichtung eines „Eisernen Walles“ gesprochen. Die heute regierende Likudpartei Netanjahus ist die unmittelbare Nachfolgerin dieser Gruppierung. Dass aus dieser Bewegung berüchtigte jüdische Terroristen, wie der erwähnte Shamir, stammten, soll nicht ganz unter den Tisch fallen. Dass Israel mit dem Bau des „Sicherheitswalles“ das Programm des „eisernen Walles“ 80 Jahre danach in brutale Realität umgesetzt hat, ist wohl mehr als ein historischer Zufall. Dies dokumentiert unmissverständlich, welche politische Tendenz des Zionismus sich letztlich in Israel durchgesetzt hat. Daran ändert auch nichts, dass mit dem Friedensnobelpreisträger Shimon Peres ein ehemaliger und abgesprungener Sozialdemokrat an der Spitze des Staates steht. Die zionistische Linke in Israel besteht kaum mehr und eine wirkliche Friedensbewegung ist nicht mehr vorhanden. Israel ist de facto der Staat der Siedler, welche sich rücksichtslos über die völkerrechtlich legitimen Rechte der Palästinenser hinwegsetzen. So ist es weiter nicht verwunderlich, dass trotz des Beginns der von John Kerry mit viel pr-Aufwand inszenierten direkten Gespräche Planung und Bau von Siedlungen unvermindert fortgesetzt werden.

Keine fairer und völkerrechtskonformer Friede in Sicht

Es ist daher weiter nicht verwunderlich, dass nicht nur internationale Nahostexperten und Beobachter äußerst skeptisch sind sondern auch viele nach wie vor unter israelischer Besatzung lebende PalästinenserInnen. Die mangelnde Bereitschaft zu einer politischen, sprich friedlichen und diplomatischen, Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes wird aber auch durch die mehr oder minder bedingungslose Unterstützung Israels durch die USA ermöglicht. Durch unzählige Vetos im UN-Sicherheitsrat und durch -zig Milliarden an militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung schufen die USA eine Situation, welche faire und auf Augenhöhe geführte Verhandlungen einfach nicht zuließen. Insoferne ist es eine absolute Fehleinschätzung der realen Situation, wenn man von den USA die Rolle eines „honest brokers“ erwartet. Dies war weder in den vergangenen Jahrzehnten der Fall noch ist es jetzt unter der eher schwachen Administration Obama 2 zu erwarten. In kritischen Situationen haben die USA letztlich immer davor zurückgeschreckt, Israel wirklich unter Druck zu setzen, um ein politisch vernünftiges Verhalten zu zeigen. Die tatsächliche Machtverteilung hat sich bereits ganz zu Beginn der ersten Amtsperiode von Barack Obama gezeigt, als er seine Forderung nach einem absoluten Stopp des Baues der (völkerrechtswidrigen) Siedlungen in den palästinensischen Gebieten durch Israel angesichts der sturen Verweigerung seitens Netanjahus sang- und klanglos fallen ließ. Daran hat sich auch heute, am Beginn der neuen von John Kerry erzwungenen „Friedensverhandlungen“ nichts geändert. Insoferne kann man die Ankündigung des US-Präsidenten, wonach er eine endgültige Lösung innerhalb von 9 (!) Monaten erwarte, nur als Ergebnis einer völlig gestörten Wahrnehmung bezeichnen. Eine faire und völkerrechtlich korrekte Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes wird vor allem von zwei Faktoren behindert: Der israelischen Arroganz gegenüber den Arabern und der absoluten Unterstützung Israels durch die USA.

Fußnoten
  1. Theodor Herzl: Der Judenstaat. Zitiert aus der Elften Auflage. Berlin 1936, Seite 33.
  2. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Bücher empfehlen: Simcha Flapan – Die Geburt Israels. Mythos und Wirklichkeit, erschienen 1987 sowie Tamar Amar-Dahl – Das zionistische Israel. Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahostkonfliktes, erschienen 2012.
  3. Seit 1993 hat sich z.B. die Zahl der Siedler in den palästinensischen Gebieten verdoppelt.
* Fritz Edlinger, geb. 1948, ist Generalsekretär der „Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen“, Herausgeber der Zeitschrift INTERNATIONAL und Buchautor (zuletzt: Syrien. Hintergründe, Analysen, Berichte. Herausgegeben gem. mit Tyma Kraitt, Promedia 2013).


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