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Alternative für Nahost?

Interview mit dem Gouverneur von Bethlehem über die Erfolgschancen der "Genfer Initiative"

Suhair Manassre, Gouverneur von Bethlehem, ist Mitglied des Lenkungsausschusses der Genfer Initiative zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Zuvor war er Gouverneur von Dschenin.
Das Interview mit Suhair Manassre, das wir im Folgenden dokumentieren, erschien im "Neuen Deutschland".


ND: Wie kommt die Genfer Initiative bei der palästinensischen Bevölkerung bisher an? Am Anfang gab es wohl viel Skepsis?

Manassre: Die Skepsis ist immer noch da, doch mit abnehmender Tendenz. Zwar gibt es viele Palästinenser, die angesichts Scharons täglicher Attacken und Aggressionen den Glauben an die lokalen und internationalen politischen Führungen verloren haben: Drei Jahre Zerstörung der Menschen, der Städte und der Wirtschaft, kein Fortschritt – im Gegenteil, Verluste auf beiden Seiten und vor allem Verlust jeglicher Hoffnung, dass es eine Lösung gibt. Es gibt aber auch viele, die in der Genfer Initiative eine Alternative sehen. Das Abkommen kommt vor allem bei denen an, die die derzeitige Situation nicht mehr akzeptieren wollen und erkannt haben, dass die Genfer Initiative die einzige Alternative ist.

Gibt es konkrete Zahlen?

Die ersten Umfragen haben ergeben, dass ungefähr 40 Prozent für diese Initiative sind. Die anderen sind entweder dagegen oder wissen es noch nicht. Aber selbst dieses Ergebnis gibt die Einstellung der Leute nicht richtig wieder. Denn die erste Reaktion basiert auf einer falschen Interpretation des Abkommens. Zum Beispiel wurde von Kritikern behauptet, dass diese Initiative das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung aufgebe. Es wurde unterstellt, dass Jerusalem aufgegeben wurde usw. Diese Slogans sind nicht korrekt, haben aber Wirkung bei der Bevölkerung hinterlassen.

Glauben Sie, dass die Genfer Initiative eine Chance hat, solange Scharon und Arafat an der Macht sind, die offensichtlich nicht miteinander können?

Arafat hat positive Signale auf die Genfer Initiative gegeben. Er hat auch offiziell die Ergebnisse gut geheißen. Scharon hat sich sofort gegen die Initiative gestellt, hat sie auch abgelehnt. Und auch die tägliche Praxis von Scharons Regierung zeigt klar, dass Scharon eine einseitige politische Strategie fährt. Die besteht darin, sich einseitig von den Palästinensern loszulösen um damit angeblich die Sicherheit der israelischen Bevölkerung zu garantieren. Das schließt eine Annexion von mehr als 40 Prozent des palästinensischen Territoriums ein und die Zerstückelung des Rests. Ein lebensfähiger palästinensischer Staat wird damit unmöglich gemacht.

Mit Scharons Unterstützung dürften sie ohnehin kaum gerechnet haben, auf wen zählen sie denn?

Klar, wir haben von Anfang an erwartet, dass Scharon dagegen sein wird. Diese Initiative ist eine Alternative zu seiner Politik. Dennoch glauben wir, dass diese Initiative die Unterstützung der israelischen und der palästinensischen Bevölkerung sowie der internationalen Mächte erhält. Dann wird sich auch Scharon bewegen müssen, zumal er seine Versprechen Sicherheit, wirtschaftlicher Aufschwung und Frieden bisher nicht eingelöst hat.

In den USA läuft der Präsidentschaftswahlkampf an. Glauben Sie, dass die USA sich ernsthaft für die Genfer Initiative einsetzen?

Das ist in Wahlkampfzeiten in der Tat nicht zu erwarten. Beide Parteien in den USA stehen unter dem starken Einfluss der jüdischen Lobbyorganisationen. Ich glaube nicht, dass wir von den USA sehr viel zu erhoffen haben.
Dennoch ist es unsere Pflicht, darauf hinzuarbeiten, dass wir den Leuten Alternativen bieten, dass wir all unsere Kraft dafür einsetzen, unseren Leuten in Israel und Palästina zu sagen: Es gibt einen anderen Weg, wir müssen uns auf diesem Weg vereinigen und zusammen dafür kämpfen, dass politisch eine Lösung gefunden werden kann. Und diese Lösung sieht genau so aus, wie wir sie in der Genfer Initiative beschrieben haben.

Die Fragen stellte Martin Ling

Aus: Neues Deutschland, 17.01.2004


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