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Friedensverhandlungen ohne Euphorie

Israel und Palästinenser reden nach langer Unterbrechung wieder direkt miteinander


Zunächst die Meldung einer Nachrichtenagentur

Nach sieben Jahren des Stillstands haben Israelis und Palästinenser Verhandlungen für einen Frieden im Nahen Osten aufgenommen. Die israelische Delegation, angeführt von Außenministerin Zipi Livni, und die palästinensische Delegation unter der Führung von Ahmed Kureia trafen sich in einem Hotel in Ost-Jerusalem, wie Vertreter beider Seiten mitteilten. Streitpunkte sind insbesondere der Grenzverlauf eines künftigen Palästinenserstaates, das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge sowie der Status von Jerusalem.

Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert und Palästinenserpräsident Abbas hatten am 27. November auf der internationalen Friedenskonferenz in Annapolis in den USA neue Friedensverhandlungen beschlossen. Beide Seiten wollen demnach bis Ende 2008 einen Friedensvertrag abschließen und die Gründung eines eigenständigen Palästinenserstaates einleiten.

Überschattet wurde der Verhandlungsbeginn von Israels Ankündigung, den Bau von mehr als 300 neuen Wohnungen in der Siedlung Har Homa auszuschreiben. Nach Ansicht von Abbas widerspricht der Wohnungsbau im Westjordanland der so genannten Roadmap, dem Nahost-Fahrplan, an den sich Israel und Palästinenser bei ihren Verhandlungen halten wollen. Israel hatte den arabischen Ostteil Jerusalems 1967 erobert, annektierte ihn und erklärte Jerusalem zu seiner "unteilbaren" Hauptstadt. Die Palästinenser verlangen den Ostteil als Hauptstadt für ihren eigenen Staat.
AFP, 12.12.2007



Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Nach rund siebenjähriger Unterbrechung wollen Israel und die Palästinenser an diesem Mittwoch in Jerusalem ihre Friedensverhandlungen wieder aufnehmen.

Die kurze Euphorie nach dem Nahost-Gipfel in Annapolis ist längst verflogen. Dort hatten Olmert und Abbas in ihrer Erklärung angekündigt, bis Ende 2008 ein Abkommen zu erreichen. Doch seitdem erklärte Israels Bauministerium, man habe dem Bau von 307 neuen Wohnungen in der Siedlung Har Homa zugestimmt, die die Regierung als Stadtteil Jerusalems betrachtet. Und der Palästinensische National-Kongress erklärte jedes Zugeständnis in der Jerusalem-Frage für illegal, und jeden, der es mache, zum Verräter.

So sind die Vorzeichen schlecht für die Gespräche zwischen den Verhandlungsteams von Israelis und Palästinensern. Zunächst einmal wird es nur um technische Dinge gehen; die echten Gespräche sollen mit dem Nahost-Besuch von US-Präsident George Bush im Januar beginnen.

»Die Differenzen sind heute größer als vor Annapolis«, heißt es aus dem Umfeld der palästinensischen Delegation, und die israelische fügt hinzu: »Wir haben auf politische Befindlichkeiten zu achten; jeder Schritt nach vorne ist deshalb mit einem zurück verbunden. »Farbe bekennen«, ist darum eine Forderung, die nicht nur ausländische Diplomaten aus den Vereinigten Staaten und Europa von den Verhandlungsparteien fordern, sondern auch die Beteiligten selber – allerdings ohne selbst auf das Gegenüber zugehen zu wollen: »Jeder hat Angst, zu stolpern und zu fallen«, beschrieb am Dienstagmorgen ein Kommentator des israelischen Armeerundfunks die Situation – »man befürchtet, dass ein falscher Schritt ans Ende der eigenen politischen Karriere führen könnte.«

Flüchtlinge und Grenzen sind dabei Themen, die mittlerweile als klärbar gelten. Problematisch hingegen ist die Jerusalem-Frage. Zwar werden israelische Regierungspolitiker nicht müde, zu betonen, dass Israel Teile des Jerusalemer Ostens werde aufgeben müssen, aber eben nicht alles, das die Palästinenser gerne hätten. Denn auf beiden Seiten ist die Stadt ein Symbol, und Zugeständnisse würden die Opposition auf den Plan rufen und zu einem möglichen Fall der derzeitigen Regierungen führen.

In Israel würde dies entweder zu Neuwahlen führen, oder bedeuten, dass Olmert ein mögliches Abkommen unter Beteiligung der Linken und der arabischen Parteien durchs Parlament bringen müsste, was in der Öffentlichkeit wiederum zu heftigem Widerstand führen würde, denn dort herrscht nach wie vor die Ansicht, dass territoriale Entscheidungen mit einer »jüdischen Mehrheit« getroffen werden müssen. In den Palästinensischen Autonomiegebieten derweil würde ein Kippen der öffentlichen Meinung die Bemühungen torpedieren, den von der Hamas regierten Gaza-Streifen zurück unter die Fittiche der Autonomiebehörde zu bringen.

Denn in dieser Frage hat zur Zeit die von Abbas' Fatah-Fraktion dominierte Einheitsregierung die Oberhand: Anfang Dezember hatte Israel die Treibstofflieferungen nach Gaza um an die 20 Prozent reduziert, woraufhin sich die Hamas unter lauten Durchhalteparolen weigerte, überhaupt Lieferungen anzunehmen – mit dem Ergebnis, dass den Radikalislamisten nun kräftig der Wind ins Gesicht weht. Die Menschen im Gaza-Streifen fordern Realismus von der Hamas, die als Ergebnis Anfang der Woche ihre Bereitschaft zu Neuwahlen signalisierte.

Im Moment würde, Umfragen zufolge, die Fatah gestärkt aus Wahlen hervorgehen – weshalb man dort bemüht ist, alles zu vermeiden, was dies ändern könnte, zumal den Autonomiegebieten schmerzhafte Sparmaßnahmen bevorstehen. Denn in der kommenden Woche möchte Ministerpräsident Salam Fajad bei einer Geber-Konferenz rund fünf Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre fordern. Im Gegenzug wird er einen Plan vorlegen, in dem neben Schritten zur Wirtschaftsentwicklung auch rigorose Einschnitte bei den 165 000 öffentlichen Bediensteten vorgesehen sind.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Dezember 2007

Großangriff Israels auf Gaza

Mindestens fünf Palästinenser getötet. Militär verschleppte 60 Einwohner

Von Rainer Rupp **


Als »Routineoperation gegen die Infrastruktur des Terrors« bezeichnete die israelische Armee ihren seit Juni dieses Jahres größten militärischen Überfall auf den Gazastreifen am Dienstag morgen (11. Dezember). Unterstützt von Kampfliegern und Artillerie gingen die Aggressoren mit 30 Panzern und Bulldozern gegen palästinensische Wohngebiete vor. Bei brutalen Durchsuchungen von Haus zu Haus nahmen Spezialtruppen 60 Bewohner fest und verschleppten sie völkerrechtswidrig nach Israel. Trotz heftigen Widerstands gelang es den palästinensischen Kämpfern nicht, die militärisch weit überlegenen Angreifer aufzuhalten, die bereits am Morgen auf einer Breite von vier Kilometern 1,5 Kilometer tief nach Gaza eindringen konnten. Berichten zufolge sind mindestens fünf Palästinenser bei dem Überfall getötet worden, alles »Terroristen«, wie westliche Medien unter Berufung auf israelische Quellen berichten.

Noch ist unklar, ob es sich bei dem Einmarsch um eine begrenzte Operation oder um den Beginn eines Feldzuges zur Vertreibung der Hamas aus Gaza handelt, über dessen »Notwendigkeit« seit Wochen in israelischen Medien spekuliert wird. Denn damit der mit den USA und mit Israel kollaborierende Palästina-Präsident Mahmud Abbas wieder für ganz Palästina sprechen kann, müßte zuvor dessen korrupte Fatah-Bewegung in Gaza wieder an die Macht gebracht werden. Zuerst hatte Hamas durch ihren Wahlsieg vor einem Jahr die Fatah von der politischen Macht und dann im Sommer dieses Jahres aus ihren beherrschenden Positionen in Polizei und Sicherheitsdienst im Gazastreifen vertrieben.

Der Überfall auf Gaza kam einen Tag, nachdem der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert feierlich erklärt hatte, »einen historischen Weg zu gehen«, um mit Präsident Abbas ein endgültiges Abkommen zu erreichen. Am Mittwoch soll die erste formale Runde der Friedensgespräche zwischen Olmert und Abbas beginnen. Olmert hat jedoch erklärt, daß Israel kein Friedensabkommen umsetzen wird, solange Abbas nicht die Kontrolle über Gaza wieder gewonnen hat. Derweil hat Olmerts Stellvertreter Haim Ramon weiteren Landraub angekündigt. Im Armeeradio sagte er am Sonntag (9. Dez.) , daß Israel alle illegal besiedelten Stadtteile im palästinensischen Ost-Jerusalem behalten wolle.

** Aus: junge Welt, 12. Dezember 2007




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