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"Wir glauben nicht mehr an Worte"

Siedlungsbau, Mauer und israelische Besatzung machen "Friedensverhandlungen" für Palästinenser zur Farce. Gespräch mit Raif Hussein *


Der in Hannover lebende Raif Hussein ist Vorsitzender der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft.

US-Präsident Barack Obama hat sich erst kürzlich für die Schaffung eines Palästinenserstaates ausgesprochen. Außerdem plädiert er für einen zweimonatigen Stopp des Siedlungsbaus, um die Nahostgespräche zwischen Israel und Palästina nicht zu gefährden. Wie seriös sind derartige Forderungen?

Ich halte zwar eine Menge von Obama, aber angesichts der vielen leeren Versprechungen, die wir Palästinenser in den letzten Jahren gehört haben, glauben wir nicht mehr an Worte. Wir wollen Taten sehen!

Was denken Sie denn über die Friedensverhandlungen zwischen Palästinenserpräsident Mahmut Abbas und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die vor kurzem in Washington begonnen haben?

Palästina leidet unter dem Siedlungsbau, der Mauer und der Besatzung - und da reden wir über Friedensverhandlungen? Die beginnen doch normalerweise, wenn eine Besatzung zu Ende ist ...

Ich kann auch nicht glauben, daß die beiden Seiten ernsthaft über das Ende des Siedlungsbaues verhandeln. Der ist erstens nach internationalem Recht ohnehin illegal; zweitens kommt hinzu, daß wir Palästinenser dadurch jeden Tag ein Stück des Bodens verlieren, auf dem wir unseren Staat bauen wollen. Wenn der Siedlungsbau nicht umgehend gestoppt wird, sollte die palästinensische Führung die Verhandlungen abbrechen. Das Sicherheitskabinett Israels will eventuell am Mittwoch über Obamas Forderung nach einem zweimonatigen Stopp des Siedlungsbaus beraten - ich bin skeptisch, was dabei herauskommt.

An Siedlungsbau, Mauer und Besatzung läßt sich wohl nichts ändern, wenn Israel nicht unter Druck gesetzt wird. Welche Mittel hätte Palästina?

Wir sind in einer noch nie dagewesenen schwachen Lage. Zum einen, weil wir keine Waffen haben - Israel ist also militärisch nicht zu besiegen. Zum anderen wegen unserer internen Zersplitterung.

Unsere wichtigste Waffe war immer das Volk. Israel hat seit Jahrzehnten versucht, es zu demoralisieren - hat es aber nicht geschafft. Doch diese Karte, die Macht des Volkes, spielt Abbas nicht aus. Er glaubt weder an unser Volk noch ist er fähig, von seinem Gegenspieler Netanjahu zu lernen: Der weiß nämlich genau, daß die israelische Gesellschaft so radikal ist wie nie zuvor und daß ein Abkommen mit den Palästinsern schwer durchsetzbar wäre. Sollte tatsächlich eines Tages ein Friedensvertrag geschlossen werden, würde Netanjahu mit Sicherheit zu einem Referendum greifen. Ich frage mich: Warum kommt Abbas ihm nicht zuvor?

Sie bezeichnen sich selber als Oppositionellen zu den beiden herrschenden Gruppierungen in Ramallah und Gaza Stadt - der Al Fatah und der Hamas. Sitzen Sie da nicht zwischen zwei Stühlen?

Meine Maxime ist, daß ein palästinensischer Oppositioneller alle Schritte zur Bildung eines eigenen Staates von Anfang an kritisch begleiten muß. Es darf sich nicht wiederholen, was wir im Iran erlebt haben, wo die Mudschaheddin und andere Oppositionelle Ajatollah Khomeini aus dem Pariser Exil nach Teheran zurückholten - offenbar nach dem Motto: »Egal, wer danach kommt, Hauptsache, s der Schah wird gestürzt. Und wenn der weg ist, können wir darüber reden, was dann passiert.« Wir haben ja leider erleben müssen, was dann passierte - wir sollten daraus lernen, daß wir die kritische Begleitung auch unserer eigenen Politik nicht aufgeben dürfen.

Wie steht es denn um die Legitimität von Abbas als Verhandlungsführer? Seine Amtszeit ist abgelaufen, neue Wahlen hätten schon im Juli stattfinden müssen.

Ja, das stimmt. Die Regierung in Ramallah hat ihre Legitimität mit der Entscheidung verloren, die Wahlen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Dahinter stecken letztlich die USA, die die gerade laufenden Verhandlungen zwischen Israel und Palästina nicht in Frage gestellt sehen wollen. Deshalb gibt es auch keinen internationalen Protest gegen diese Willkürpolitik - auch nicht aus der EU, die sich ansonsten gerne einschaltet, wenn irgendwo Wahlen verschoben, abgesagt oder manipuliert werden.

Interview: Martin Leujeune

* Aus: junge Welt, 5. Oktober 2010

Gerüchteküche in Israel

Das israelische Sicherheitskabinett will einem Bericht zufolge am 6. Oktober über eine mögliche Teilverlängerung des Baustopps für jüdische Siedlungen im Westjordanland beraten. Wie die israelische Zeitung Haaretz am 4. Oktober berichtete, soll dabei ein Vorschlag von US-Präsident Barack Obama erörtert werden. Obama habe Israel um eine Verlängerung des Ende September ausgelaufenen Moratoriums um zwei Monate gebeten und dafür umfangreiche Zugeständnisse und Zusicherungen gemacht, schrieb das Blatt unter Berufung auf mehrere israelische Minister und Abgeordnete der rechtsgerichteten Likud-Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu. Das Weiße Haus erklärte indessen, es gebe einen solchen Brief nicht. Und Netanjahus Sprecher Mark Regev sagte der Nachrichtenagentur AFP zu dem Haaretz-Artikel, er wisse nichts davon, daß das Siedlungsmoratorium auf der Tagesordnung des Kabinetts stehe.

Agenturen, 5. Oktober 2010




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