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Erekat lehnt Diktat Israels ab

Kritik an Netanjahus Grundsätzen für eine Friedensregelung in Nahost

Die Palästinenserführung lehnt die von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu genannten Grundsätze für eine künftige Friedensregelung ab.

Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat sagte am Montag vor Journalisten in Ramallah, die drei von Netanjahu formulierten Voraussetzungen seien »inakzeptabel«. Gleichzeitig erklärte er, man könne bei den anstehenden Friedensgesprächen binnen eines Jahres eine Einigung in den Kernfragen des Konflikts erzielen. »Es ist zu schaffen«, betonte er.

Netanjahu hatte am Sonntag (22. Aug.) während der wöchentlichen Kabinettssitzung in Jerusalem mitgeteilt, das Abkommen mit den Palästinensern werde auf folgenden Grundsätzen basieren: Zum einen müssten ernsthafte Sicherheitsregelungen vereinbart und Israel als jüdischer Staat anerkannt werden. Zudem müsse die Friedensregelung das Ende des Nahost-Konflikts bedeuten: Ein Abkommen zwischen Israel und einem entmilitarisierten Palästinenserstaat.

Erekat sagte dazu am Montag (23. Aug.): »Es gibt einen Unterschied zwischen Verhandlungen und einem Diktat. Offenbar will Netanjahu mit sich selbst und seiner Koalition verhandeln.« Der Chefunterhändler bekräftigte, man werde die direkten Friedensgespräche abbrechen, sollte Israel nach dem 26. September den Siedlungsausbau im Westjordanland wieder aufnehmen. An dem Tag endet ein auf zehn Monate befristeter Baustopp Israels. Es handele sich dabei nicht um eine leere Drohung, betonte Erekat. »Wir sagen nur, dass auf dem Land, auf dem die Siedlungen gebaut werden, Palästina errichtet werden soll.«

Washington und das Nahost-Quartett (USA, Russland, EU und UNO) haben Israel und die Palästinenser für den 2. September zur Aufnahme direkter Verhandlungen nach Washington eingeladen. Die Konfliktparteien hatten zuletzt Ende 2008 vor Beginn des Gaza-Krieges direkte Verhandlungen miteinander geführt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte in Berlin, es gebe jetzt »augenscheinlich eine wirkliche Chance für erfolgreiche Friedensgespräche«. Palästinenser und Israelis müssten ein Umfeld für die Verhandlungen schaffen, das den Aufbau von Vertrauen ermögliche, und alles vermeiden, was dieses Vertrauen zerstören könne. Im Nahost-Quartett habe Deutschland seinen Einfluss geltend gemacht, um die moderaten Kräfte bei den Konfliktparteien zu unterstützen. Diese seien es auch, die jetzt tatsächlich Friedensgespräche wünschten.

* Aus: Neues Deutschland, 24. August 2010


Pressestimmen

Viele Zeitungen kommentieren die angekündigten Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern.

Zuerst ein Blick in den französischen FIGARO:
"Könnte dieses Jahrzehnt den Frieden im Nahen Osten bringen? Mit der Einladung der USA und des Nahost-Quartetts an Israelis und Palästinenser zu Direktgesprächen nach Washington lebt diese Hoffnung wieder auf, doch die Möglichkeiten der Verwirklichung dieses Traums sind eng gesteckt. Auf beiden Seiten regieren Böswilligkeit und Unehrlichkeit, wobei jeder dem Gegner die Verantwortung für den Misserfolg zuschiebt. Schlimmer noch, keiner der beiden Gesprächspartner hat genug Charisma und die nötige Handlungsfreiheit, um eine Initiative zu ergreifen. So kann man kaum abschätzen, was für beide Seiten verhandelbar ist", gibt der Pariser FIGARO zu bedenken.


Die in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinenden GULF NEWS kritisieren die Ausgangslage der Gespräche:
"Letztlich hat sich Israels Premier Netanjahu mit seiner Forderung durchgesetzt, dass die Verhandlungen so lange dauern, wie er es für nötig hält. Dies verschafft ihm die Möglichkeit, seinen Plan zu vollenden, den Ostteil Jerusalems zu kontrollieren und dessen arabische Bewohner zu vertreiben. Das Nahost-Quartett hat die israelischen Bedingungen akzeptiert und gleichzeitig die legitimen Sorgen der Palästinenser ignoriert. Solange aber diese Verhandlungen unter israelischen Bedingungen stattfinden, können sie nicht funktionieren", urteilen die GULF NEWS aus Dubai.


Auch die portugiesische Zeitung DIARIO DE NOTICIAS sieht eine günstigere Ausgangslage für Israel:
"Netanjahu hat es geschafft, die diplomatische Isolation zu durchbrechen, ohne auf die Siedlungen zu verzichten. Abbas aber hat wie seinerzeit bereits Arafat keine Alternative: Er muss der Einladung folgen, obwohl er weiß, dass er kein Mandat hat, um in den schwierigen Fragen wie Grenzverlauf, Siedlungen, Flüchtlinge und Wasser Zugeständnisse machen zu können. Israels Premier hat damit einen Sieg errungen, und er zeigt sich optimistisch, dass es diesmal möglich sein könnte, ein Friedensabkommen zu erzielen. Die Zugeständnisse haben dabei freilich die anderen gemacht", bemerkt die in Lissabon erscheinende Zeitung DIARIO DE NOTICIAS.


Das israelische Blatt HAARETZ befürchtet, dass die Gespräche unter diesen Bedingungen wenig Aussicht auf Erfolg haben:
"Der Rahmen für diese Verhandlungen wird von Israel diktiert. In Jerusalem könnte man nun jubelnd in den Brunnen am Rabin-Platz springen und laut rufen: 'Wir haben die Palästinenser reingelegt!' Doch was ist ein politischer Prozess wert, der Palästinenserpräsident Abbas den Boden entzieht und nirgendwo hinführt? Was können wir erreichen, wenn wir unseren Verhandlungspartner vor Beginn der Gespräche erniedrigen? Was machen wir, wenn Abbas seinen Rücktritt erklärt, weil er genug hat von solchen vorbestimmten Verhandlungen? Werden wir uns über einen diplomatischen Sieg freuen und dann Hamas-Führer Meschal oder Irans Präsident Ahmadinedschad an den Verhandlungstisch bitten?", fragt HAARETZ aus Jerusalem.


"Ob die Gespräche erfolgreich sein werden, ist von vielen Faktoren abhängig", konstatiert SABAH aus Istanbul:
"Zum Beispiel davon, ob Israel den Stopp von Siedlungsbauten über den 26. September hinaus verlängert - was die Palästinenser fordern. Und dann ist da noch die Hamas. Aus dem Gazastreifen verlautet, dass direkte Gespräche von Abbas mit Netanjahu einem 'politischen Selbstmord' des Palästinenserpräsidenten gleichkämen."


In der US-Zeitung CHICAGO TRIBUNE ist zu lesen:
"Die Grundzüge eines Friedensabkommens liegen seit mehr als einem Jahrzehnt auf dem Tisch. Palästinenserpräsident Arafat hatte es damals in Camp David abgelehnt, sich für einen Frieden zu opfern: Er hatte zu viel Angst davor gehabt, den Palästinensern die Wahrheit zu sagen: dass die meisten von ihnen für einen Frieden bereit sein müssten, den Traum von einer Rückkehr nach Israel zu begraben. Wir werden bald erleben, was Abbas seinen Leuten bereit ist zuzumuten. Wir werden auch sehen, ob die Hamas-Terroristen im Gaza-Streifen versuchen, die Gespräche mit Raketen auf Israel zu torpedieren. Und wir werden bald erleben, ob Netanjahu bereit ist, die Hardliner in seinem Kabinett mit der Entscheidung zu konfrontieren, viele Siedlungen im Westjordanland und die Kontrolle über Teile Jerusalems aufzugeben", schreibt die CHICAGO TRIBUNE.

Quelle: Deutschlandfunk, 24. August 2010 (Presseschau); www.dradio.de


Dokumentiert

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag aus der israelischen Zeitung Haaretz zum selben Thema. Darin werden auf sehr direkte Art die offiziellen Positionen Israels vertreten. Es sind Positionen, die nicht zum Frieden führen werden.

Zeit, den Teppich zu lüften

Von Yoel Marcus **

Zufall oder kein Zufall – auch der Camp-David-Gipfel, der das Friedensabkommen zwischen uns und Ägypten hervorbrachte, fand in einem September statt (1978). Ziel war damals, über den Kern des Konflikts zwischen uns und Ägypten zu beraten und ein Rahmenabkommen für einen Friedensvertrag zu entwerfen. Menachem Begin erschien bewaffnet mit einem Papier, auf dem 13 Ausdrücke standen, die auf keinen Fall Eingang in das Friedensabkommen finden dürften. Sie bezogen sich sämtlich auf die Palästinenser und beinhalteten u.a. „die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes“, „das Problem in all seinen Aspekten“, „die Nicht-Akzeptierbarkeit gewaltsamer Landnahme“ usw.

Nach 13 Verhandlungstagen willigte Begin in die Aufnahme all der ‚verbotenen‘ Begriffe in den Vertrag ein. Die Mitarbeiter des Weißen Hauses unter der Führung Jimmy Carters präsentierten 23 verschiedenen Entwürfe für die Rahmenabkommen; in einem von ihnen waren all die ‚verbotenen‘ Begriffe verbal effektvoll verteilt. Sadat selbst zog seine Forderung nach der Errichtung eines palästinensischen Staates zurück, und das palästinensische Problem wurde unter den Teppich gekehrt.

Seitdem ist viel Wasser durch den Jordan geflossen und viel Blut vor und nach den Osloer Verträgen vergossen worden, die Arafat mit einem Cadillac-Konvoi voll von Waffen und Munition nach Gaza brachten. Der Traum vom Frieden zwischen beiden Völkern wurde zu einer Wirklichkeit von Blut, Hass, Tränen und Versäumnissen. Auch die Gesprächsversuche unter amerikanischer Vermittlung und direkt durch das israelische Friedenslager haben uns nicht aus der Wirklichkeit des Blutes und des Hasses herausgeführt.

Die Palästinenser haben die Gelegenheiten der Räumung von Gush Katif und von Sharons Abschied vom Traum von Großisrael verpasst. Sie haben die monatelangen direkten Gespräche mit Ehud Olmert und Tzipi Livni unter Schirmherrschaft der Bush-Administration nicht genutzt. Und vor allem haben sie den Besuch Obamas in Kairo und seine berühmte Ree über einen regionalen Frieden nicht genutzt und ebenso wenig die Bar-Ilan-Rede Netanyahus vom 14. Juni 2009, in der er erstmals zwei Staaten für zwei Völker als Ziel deklarierte.

Diese letztere Rede war von historischer Tragweite: Erstmals erkannte ein Führer der Rechten par excellence einen palästinensischen Staat an und zeigte sich implizit bereit, auf Gebiete und Siedlungen zu verzichten, um zu festen Grenzen zu gelangen. Doch die Palästinenser verhärteten ihre Haltung – ermutigt von der Tatsache, dass Präsident Obama den Mittelnamen Hussein trägt und ihre Forderungen unterstützt. Nach wie vor sind sie noch nicht einmal bereit, die Existenz Israels als jüdischer Staat anzuerkennen. Sie haben ihre Einstellung seit der UN-Resolution von 1947 schlicht und einfach nicht geändert.

Die enttäuschten Abgesandten Obamas und seine angedeuteten Drohungen gegenüber Israel haben die Palästinenser noch mehr verhärtet. Doch je näher die Kongresswahlen rücken, desto mehr versteht Obama, dass die Missachtung jüdisch-amerikanischer Macht ein Fehler war – sowohl da diese sein primärer Geldgeber bei den Wahlen war, als auch weil sie eine unterstützende Kraft für den Frieden sein könnten, wenn Obama in seiner Haltung Israel gegenüber ausgewogener wäre.

Die Tatsache, dass es Bibi gelungen ist, für zehn Monate ein Siedlungsbaumoratorium zu beschließen und dies pedantisch einzuhalten, beweist, dass er weiß, dass es für ihn kein drittes Comeback geben wird. Die Einladung nach Washington für den 2. September in Anwesenheit von Mubarak und Jordaniens König Abdallah wurde von George Mitchell als Neuanfang initiiert, welcher binnen eines Jahres zum Abschluss kommen soll, mit Verzichten auf beiden Seiten. Wie wurde Mitchell nach seinen enttäuschenden Besuchen in der Region zitiert? „In Irland hatten wir 700 traurige Verhandlungstage und nur einen Tag der Freude – den Tag der Unterzeichnung des Abkommens.“

Dieser Freudentag ist noch weit von uns entfernt. Aber es ist überaus wichtig, dass Bibi die Vertrauensbeziehungen mit der Administration stärkt. Erstens, muss er wie jemand erscheinen, der einen Erfolg des Gipfels wünscht und ggf. das Baumoratorium in den Gebieten verlängern würde; zweitens, muss er sich in einer Weise verhalten, die es der Administration unmöglich machen würde zu sagen, er hätte den Gipfel sabotiert. Es wäre weise, wenn er auch gegenüber einem Abkommen mit Syrien sich offen zeigen würde, was den Interessen der Administration entspräche. Die beiden Tage des Gipfels sind gut vorbereitet worden, und es ist bedauerlich, dass die Palästinenser gemäß ihrer Tradition bereits zu drohen angefangen haben. Sowohl Abu Mazen [Mahmoud Abbas] als auch Saeb Erekat drohen, dass die Fortsetzung des Moratoriums eine unabdingbare Bedingung sei. Warum drohen, wenn man miteinander reden kann?

Bibi deutet in geschlossener Runde an, dass er überraschen werde, dass er bereit sei, über die Kernfragen und die Teilung des Landes zu verhandeln. Die Zeit ist gekommen, sich mit den wirklichen Problemen zu befassen, die Sadat und Begin unter den Teppich kehrten.

(Haaretz, 24.08.10)

** Übersetzung und Quelle: Israelische Botschaft in Berlin, Newsletter vom 24. August 2010




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