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Nahost-Gipfelauftakt vorsichtig optimistisch

Netanjahu will "historischen Kompromiss" / Abbas verweist auf "Probleme" / Neuer Anschlag

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat Zugeständnisse in den Friedensgesprächen mit den Palästinensern angedeutet.

Seinen Verhandlungspartner, den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas, forderte Netanjahu am Donnerstag (2. Sept.) in Washington auf, den Israelis im Gegenzug ebenfalls entgegenzukommen. Echter Frieden werde nur mit schmerzhaften, einvernehmlichen Zugeständnissen erreicht. »Von meiner Seite und von Ihrer Seite«, sagte Netanjahu in Richtung Abbas, den er bei der Eröffnung der ersten direkten Gespräche seit fast zwei Jahren einen »Partner für den Frieden« nannte. Beide Seiten hätten trotz aller Unstimmigkeiten nun die Aufgabe, für die Völker »eine historische Zukunft« zu schaffen und den Konflikt zu beenden. Man müsse jeden der Streitpunkte einzeln abhaken.

US-Außenministerin Hillary Clinton eröffnete die erste Verhandlungsrunde mit Netanjahu und Abbas. Ziel ist es, innerhalb eines Jahres eine Zwei-Staaten-Lösung zu schaffen, damit Israelis und Palästinenser friedlich zusammenleben können.

Schon vor dem offiziellen Beginn der neuen Nahost-Friedensrunde überraschte Netanjahu mit hoffnungsvollen Tönen. Er sei nach Washington gekommen, »um einen historischen Kompromiss zu finden«, sagte der Regierungschef.

Bei einem Abendessen am Mittwoch (1. Sept.) mit US-Präsident Barack Obama zeigten sich alle Beteiligten im Weißen Haus überraschend optimistisch. »Präsident Abbas, Sie sind mein Friedenspartner. Es ist an uns, den quälenden Konflikt zwischen unseren Völkern zu beenden und mit Hilfe unserer Freunde einen Neuanfang zu erreichen«, so Netanjahu. Dieser historische Kompromiss müsse es beiden Völkern ermöglichen, »in Frieden, Sicherheit und Würde zu leben«. Abbas versprach, unermüdlich daran zu arbeiten, dass die Verhandlungen ihr Ziel erreichen. Allerdings verwies er auch auf die »Probleme, denen wir gegenüberstehen werden«. Ausdrücklich verurteilte er den jüngsten Anschlag auf Israelis im Westjordanland. »Wir wollen keineswegs, dass Blut vergossen wird.« Er bekräftigte auch seine Forderung nach einem israelischen Baustopp in den Palästinensergebieten. Es sei an der Zeit, dass die israelische Besetzung zu Ende gehe.

Obama warnte, die Gespräche seien eine Chance, »die vielleicht nicht so bald wiederkommt«. Er sei »vorsichtig optimistisch, aber optimistisch«. International wurde der Gesprächsauftakt ebenfalls mit vorsichtigen Erwartungen begleitet. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, er hoffe, dass sich Israel und die Palästinenser pragmatisch und flexibel zeigen würden.

An dem Abendessen mit Obama nahmen auch der jordanische König Abdullah II., der ägyptische Präsident Husni Mubarak und der Brite Tony Blair als Vertreter des Nahost-Quartetts aus USA, Russland, der EU und den Vereinten Nationen teil. Mubarak rief Israel dazu auf, bei den Verhandlungen Lösungen möglich zu machen. »Ich sage den Israelis: Ergreift diese Chance und lasst sie euch nicht aus der Hand gleiten. Ergreift die Hand, die die Araber euch in Frieden reichen«, zitierte die ägyptische Tageszeitung »Al-Ahram« Murabak am Donnerstag. Auch König Abdullah mahnte rasche Fortschritte auf dem Weg zu einer Friedenslösung an. »Die Zeit spielt gegen uns«, warnte er.

In der Nacht zu Donnerstag (2. Sept.) gab es im Westjordanland erneut einen Anschlag. Unbekannte beschossen bei Ramallah einen Wagen, in dem ein Mann und eine Frau unterwegs waren. Der Mann wurde schwer, die Frau leicht verletzt. Am Dienstagabend waren vier israelische Siedler in der Nähe von Hebron bei einem ähnlichen Angriff getötet worden. Der militärische Arm der Hamas bekannte sich zu den beiden Taten.

* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2010


Der Geist von Washington

Von Roland Etzel **

Sie alle beschworen ihn gestern - den guten Geist der Washingtoner Nahostverhandlungen: Spiritus rector Obama und Clinton, Ban Ki Moon und Westerwelle. Einer der Verhandlungspartner scheint der herbeigesehnten Erleuchtung schon teilhaftig geworden zu sein. »Präsident Abbas, Sie sind mein Friedenspartner!« Der dramenreife Ausruf Netanjahus vor versammelter Presse, nebst Händedruck und tiefem Blick in die Augen des Palästinensers, war das bisher schillerndste Gipfelereignis.

Das spiritistische Arsenal der Washingtoner Regie ist damit aber weitgehend ausgeschöpft. Irgendwann in den nächsten Tagen wird man die politischen Elysien verlassen und sich der schnöden Wirklichkeit stellen müssen. Und gerade nach seiner Charme-Offensive wird dem israelischen Ministerpräsidenten um so drängender die Frage gestellt werden, was er denn »seinem Friedenspartner« Abbas, das heißt den Palästinensern, (zurück)zugeben bereit ist.

Bisher hat Netanjahu immer nur gesagt, was er nicht und worüber er nicht mal verhandeln will: den Status Jerusalems, die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge, die Aufgabe der Siedlungen auf besetztem Gebiet. Dies sind keineswegs zufällig die palästinensischen Hauptforderungen. Abbas argwöhnt wohl zu recht, dass sich Netanjahus Vorstellung von Friedensregelung ziemlich dicht am Status quo orientiert. Dieser aber ist der Kern des Nahostproblems.

** Aus: Neues Deutschland, 3. September 2010


Unverhandelbares

Verhandlungsfarce in Washington

Von Werner Pirker ***


Es besteht nicht der geringste Grund, der Absichtserklärung von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, er suche nach einem »historischen Kompromiß«, Glauben zu schenken. Seit dem Abkommen von Oslo – und das ist 17 Jahre her – haben die Palästinenser ihre Bereitschaft bekundet, sich mit einem Bruchteil palästinensischen Territoriums zufriedenzugeben und den überwiegenden Rest den zionistischen Kolonisten zu überlassen. Doch Israel sieht in diesem von der angestammten Bevölkerung Palästinas eingegangenen Kompromiß eine palästinensische Maximalforderung, die es bis zur israelischen Vorstellung eines »historischen Kompromisses« runterzuverhandeln gelte.

Die Vorstellung Tel Avis von einer Zweistaatenlösung war seit jeher mit der jüdischen Besiedlung der besetzten Gebiete, das heißt mit der Negation eines unabhängigen, territorial zusammenhängenden palästinensischen Staates, verknüpft. Mit den Vereinbarungen von Oslo fand die Siedlerexpansion kein Ende, sondern nahm einen immensen Aufschwung. An diesem Widerspruch – Gründung eines Palästinenserstaates als Zielvorgabe bei gleichzeitiger Zerstörung aller Voraussetzungen für die Realisierung dieses Vorhabens – ist der Oslo-Prozeß gescheitert.

Die von den USA erzwungenen neuen Verhandlungen nahmen am Donnerstag ihren Anfang, obwohl der palästinensischen Forderung nach einem Stopp des Siedlungsbaus nicht entsprochen wurde. Wohl aber Netanjahus Vorbedingung nach Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Die israelische Seite hat es bisher sogar abgelehnt, ihr Moratorium über eine Einstellung des Baus von Siedlungen im Westjordanland über den 26. September hinaus zu verlängern. Es wäre Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zu wünschen, daß die Israelis bei ihrer Weigerung blieben. Denn dann müßte er wohl oder übel die Verhandlungen, bei dem es für ihn nur Verachtung von seiten des palästinensischen Volkes zu gewinnen gibt, abbrechen.

Allein in der Siedlerfrage sind die Positionen, wie sie von den israelischen Eliten, rechten wie »linken«, und den Palästinensern, auch den kollaborationswilligen um Abbas, vertreten werden, unversöhnlich. Die israelische Politik beweist hinlänglich, daß die Zionisten die Zweistaatenlösung nicht anstreben. Sie sehen in ihr freilich das kleinere Übel gegenüber der Einstaatenlösung. Denn ein gemeinsamer Staat aller auf dem Boden des historischen Palästina lebenden Bürger unabhängig von Religion und ethnischer Herkunft wäre das Ende der zionistischen Vorherrschaft, die auf der Doktrin von Israel als Staat des jüdischen Volkes beruht. Diese Doktrin negiert auch das Rückkehrrecht der 1948 Vertriebenen, wie es in der Resolution 194 der UN-Generalversammlung vom Dezember 1948 verbrieft ist. Ebenso UN-Beschlüssen zuwider läuft die Annexion Ostjerusalems durch Israel. Was somit in Washington zur Verhandlung ansteht, ist völkerrechtlich gar nicht verhandelbar.

*** Aus: junge Welt, 3. September 2010


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