Wohin steuert Israel?
Interview mit Harri Grünberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion Die Linke
FriedensJournal: In Eurem Buch wird ausführlich
auf die Entwicklung der zionistischen
Bewegung eingegangen und als Resümee
darauf verwiesen, dass der
Zionismus ein Auslaufmodell darstellt.
Wie unterschiedlich sind denn die Positionen
dazu innerhalb Israels?
Grünberg: Wir weisen in unserem Buch auf die
schwindende Bindungskraft des Zionismus
hin. Die junge Generation Israels
würde sich heute in ihrer Mehrheit
niemals als Antizionistisch bezeichnen,
betrachtet aber den Zionismus
als etwas Folkloristisches aus der Vergangenheit.
Wir sehen im Postzionismus
ein sich ausbreitendes ideologisches
Vakuum. Eine postzionistische
Phase kann von Links aber auch von
Rechts besetzt werden. Die linke Perspektive
wäre die Zweistaatenregelung
sowie das Ende der Diskriminierung
gegenüber den Palästinensern,
die seit 1948 im israelischen Kernland
leben und die israelische Staatsbürgerschaft
besitzen. Dafür muss sich
Israel in eine Art Republik all seiner
Bürger wandeln. Die Antwort von
rechts wäre die Hegemonie der Siedlerbewegung,
die sich auf den Zionismus
beruft. Aber anders als der traditionelle
Zionismus ist diese Bewegung
und ihr Diskurs höchst irrational. Das
Rationale des Zionismus war die
Schaffung eines jüdischen Staates.
Die Siedlerbewegung und das in Israel
regierende Rechtsextremistische
Lager hingegen sieht einen göttlichen
Auftrag in der fortgesetzten Kolonisierung
arabischen Landes.
FJ: Heißt das in der Konsequenz, dass
der Zionismus - so oder so - seine
staatstragende Wirkung verliert und
kritische jüdischen Stimmen gegen
die "Staatsräson" verstoßen?
Zionistische Staatsräson heißt, einen
jüdischen Staat zu schaffen, der allen
Juden der Welt offen steht. Dieses
Konzept nutzt sich ab. Solange aber
keine Vertrauensgrundlage zwischen
Arabern und Juden im Nahen Osten
besteht, gibt es zu der Existenz eines
jüdischen Staates im Sinne des
Selbstbestimmungsrechtes des jüdischen
Volkes ebenso wenig eine Alternative
wie zu den Recht der Palästinenser
auf einen eigenen Staat. Die
historische Entwicklung muss beide
Völker dermaßen annähern, dass am
Schluss des Prozesses möglichst ein
bi-nationaler Staat in einer nahöstlichen
Staatenföderation entsteht. Davon
sind wir aber weit entfernt. Heute
verstoßen jene jüdischen Stimmen gegen
die Staatsräson, die genau dieses
fordern oder auch nur den realen Veränderungsprozess
Israels und des
Zionismus vor Augen haben.
FJ: Ihr verweist in Eurem Buch darauf,
dass Israel auch bedeutende wirtschaftliche
Ressourcen hat. Ist denn
die in die Isolierung führende Politik
Israels noch damit vereinbar?
Die Hightech-Industrie Israels will Teil
der globalisierten Welt sein, mit offenen
Märkten in den arabischen Staaten
und der Konsequenz, dafür Land
für Frieden und Anerkennung durch
die arabischen Staaten herzugeben,
allerdings mit so wenig wie möglich an
Palästinensischer Selbstbestimmung.
Dafür standen die früheren Ministerpräsidenten
Rabin und Peres. Der andere
Teil der israelischen Elite glaubt
weiterhin an eine Zukunft in der Isolation
Israels, darin bestehend, den Arabern
einen Diktatfrieden aufzuzwingen
und zusätzliches arabisches Land zu
erobern. Mit US-Präsident Bush fühlten
sie sich darin bestätigt, was mit
Obamas Präsidentschaft nun ins Wanken
geraten ist.
FJ: Kann man das so verstehen,
dass der von Bush proklamierte
"Krieg gegen den Terrorismus" sich
auch wirtschaftlich für Israel ausgezahlt
hat?
Vor allem kann man hier mit den Worten
der Buchautorin Naomi Klein von
einer "Ökonomie des Terrors" sprechen.
Israels Wirtschaft wuchs hierdurch,
obwohl sich die arabischen
Märkte kaum für Israel geöffnet haben.
Israels Industrie ist hauptsächlich im
militärischen und im Sicherheitssektor
engagiert und profitierte bisher enorm
am Krieg gegen den Terrorismus. Aber
auch hier zeichnet sich ein Wandel ab.
Israels Ökonomie wird in den nächsten
Jahren ernsthaft in die Krise geraten,
wenn es ihr nicht gelingt, von der
Ökonomie des Terrors auf andere
Zweige umzuschalten. Diejenigen Teile
der Elite Israels, die den modernen
Wirtschaftssektor vertreten, streben
deshalb auch nach einem EU-Beitritt.
Dafür steht unter anderem die frühere
Außenministerin Livni und ihre Kadima
Partei.
FJ: Die neue rechtsgerichtete Regierung
Israels betont verstärkt den
Charakter Israels als jüdischen Staat.
Würde damit Israel nicht zu einem
Apartheid-Staat, was von einigen kritischen
Stimmen in aller Welt bereits
jetzt behauptet wird?
Die Frage ist hierbei, was man mit
einer solchen Forderung verbindet,
denn per Definition ist Israel bereits
jetzt ein jüdischer Staat, in dem der
arabischen Minderheit zwar formal
gleiche Rechte gewährt, diese aber
durch etwa 2.000 Verordnungen stark
einschränkt werden. Allerdings gehört
die Diskriminierung nationaler Minderheiten
schließlich auch zur Realität
vor allem in den allermeisten osteuropäischen
Staaten und auch in Westeuropa
ist die Diskriminierungen von
ethnischen oder nationalen Minderheiten
noch nicht gänzlich gelöst. Weder
dort noch in Israel mit seinem
17%-Anteil palästinensischer Staatsbürger würde ich von Apartheid sprechen.
FJ: Würde aber die Umsetzung der
Vorstellungen Liebermans nicht dahin
führen?
Hört man sich einige der Minister der
neuen rechtsextremen Regierung Israels
an, so erhält die Forderung nach einem
jüdischen Staat eine ganz andere
Dimension. Lieberman fordert offen
den Transfer der Israel-Araber d.h. die
Angliederung der palästinensischen
Siedlungsgebiete an die Autonomiegebiete,
die sich hauptsächlich entlang
der israelischen Grenze bis 1967
zwischen Israel und der Westbank befinden.
Das hieße, sie verlieren ihre Israelische
Staatsbürgerschaft und die
erworbenen Rechte. Israel wäre damit
ein fast rein jüdischer Staat. Im Gegenzug
würde Israel die jüdischen
Siedlungen innerhalb der Westbank
an Israel angliedern. Hört man andere
rechtsextreme Minister der Regierung
Netanjahus, so fordern diese die Annexion
der Westbank. Das hieße, dass
es in weniger als 10 Jahre in diesem
"gemeinsamen" Staat mehr Palästinenser
als Juden gäbe. Entweder verliert
mit der Palästinensischen Mehrheit
der Staat seinen jüdischen
Charakter, oder man verwandelt den
Staat in einem Apartheidstaat.
FJ: Wie realistisch ist denn die Etablierung
eines Palästinenserstaates? Vor
einigen Monaten sagte der bedeutende
israelische Historiker Moshe Zuckerman
in einem Interview, dass eine
Rückgabe der besiedelten Gebiete im
Westjordanland an die Palästinenser
zu "bürgerkriegsähnlichen Szenen"
führen würden. Ist ein Friedensprozess
im Nahen Osten bei dieser Einschätzung
nicht vorneweg zum Scheitern
verurteilt?
Entweder kommt es zu einem Palästinenserstaat
oder die Region endet im
Chaos. Zur Zeit wachsen die Mengen
an Waffen, die in die Region hineinströmen.
Zuckerman hat recht mit seiner
Aussage, dass die Räumung der
Siedlungen bürgerkriegsähnliche Zustände
hervorrufen könnten. Die Lösung
des Problems wird deshalb nur
auf der internationalen Arena möglich
sein. Mit Sicherheit wird es keine vollständige
Räumung der Siedlungen
geben. Die größeren Siedlungsblöcke,
die etwa 90% der jüdischen Bevölkerung
innerhalb der besetzten Gebiete
ausmachen, werden an Israel angegliedert
werden. Die kleineren Siedlunge
werden wohl geräumt werden
müssen. Dabei wird zumindest ein
harter Kern von Fanatikern - sagen wir
etwa 5.000 - wohl einen erbitterten
und womöglich blutigen Widerstand
üben.
FJ: Doch wie würde sich das - nicht
ganz unrealistische - Szenario eines
Scheitern der Zwei-Staaten-Regelung
darstellen?
Das führt ins Nichts. Gelegentlich hört
man zwar von Palästinensern, dass
sie bei einem endgültigen Scheitern
dieser Verhandlungen die Autonomiebehörde
auflösen würden und Israel
als Besatzer dann die Pflicht hätte, für
das Wohl der Zivilbevölkerung zu sorgen
- womit die Palästinenser dann
auch die israelische Staatsbürgerschaft
einfordern würden. Die Situation
der Palästinenser könnte sich unter
diesen Bedingungen aber nur verschlimmern.
Denn unter einem Apartheid-
Regime gäbe es überhaupt keine
Perspektive mehr.
FJ: Kommen wir nun zum Umgang der
deutschen Linken mit Israel. In der
Partei Die Linke gibt es unterschiedliche
Meinungen über die Positionierung
zum Nahostkonflikt, in der
Bandbreite einer Beschwörung der
Staatsräson zu Israel bis hin zu betont
antiimperialistischen Positionen. Wie
weit gehen denn die Gemeinsamkeiten
in dieser Frage?
In der Partei gibt sehr wohl einen Fundus
an Gemeinsamkeit. Alle bedeutsamen
Kräfte gehen von einer Zwei-
Staaten-Regelung aus. Bis auf die
skurrile Gruppierung BAK Shalom, die
ein Ableger der Antideutschen innerhalb
der Partei Die Linke darstellt, sind
alle Kräfte der Meinung, dass man Israel
wegen seiner anhaltenden Besatzungspolitik
kritisieren soll.
Der politische Gegner ist daran interessiert,
diese Debatte innerhalb unserer
Partei anzuheizen. Leider gibt es
aber auch Kräfte, die in einer weniger
kritischen Haltung zu der Politik Israels
das Eintrittsticket für eine Regierungsbeteiligung
auf Bundesebene sehen.
Dieses tendieren deshalb dazu, die
Kritik an Israel dermaßen in Watte einzupacken,
dass es niemanden mehr
weh tut.
FJ: Muss man sich in diesem Diskurs
zwangsläufig auch gegenüber Hamas
positionieren?
Im Falle von Hamas sollte man zwei
Dinge nicht miteinander vermischen.
Hamas ist eine Widerstandsbewegung,
aber keine Befreiungsbewegung.
Dem gegenüber war Fatah
als säkulare und sozial-reformerische
Bewegung innerhalb der palästinensischen
Gesellschaft revolutionär. Hamas
hingegen will die alten gesellschaftlichen
Strukturen erhalten. Trotz
ihres Antiimperialismus bleibt Hamas
nach innen eine reaktionäre Kraft gespeist
durch die Ideologie der Moslembruderschaft.
Heute existiert innerhalb
von Hamas ein Konglomerat
von Ansichten und Ideologien, Dieses
beinhaltet sicherlich zwar auch ein Potential
für linke Politik, jedoch ist Hamas
eindeutig kein ideologischer Partner
der Linken. Dennoch: Wer Frieden
haben will, muss auch mit Hamas reden.
FJ: Abschließend die Frage: Wie sollte
die deutsche Friedensbewegung
Israel vor falschen Freunden schützen?
Die Friedensbewegung sollte mehr
Kontakte zur Friedensbewegung in Israel
knüpfen. Konferenzen organisieren
und junge Menschen aus Israel
einladen. Dort gibt es eine junge Generation
mit NGO-Erfahrungen, deren
Kritik an der Politik Israels hierzulande
auch gehört werden muss. Es sind israelische
Stimmen, die sich nicht
scheuen, uns in Europa zu Druck auf
ihre Regierung aufzufordern. Wer Israel
helfen will, seine Existenz in der Region
zu sichern, der muss dazu beitragen,
Israel in eine Friedensperspektive
einzubetten und von den bösen Geistern
der Träume an ein Groß-Israel zu
befreien. Israel muss ein Teil der Region
werden in dem es lebt. Dazu kann
die deutsche Friedensbewegung einen
Beitrag leisten.
Interview: Karl-Heinz Peil
* Harri Grünberg ist zusammen mit Wolfgang Gehrcke und
Jutta von Freyberg Autor des Buches "Die deutsche Linke, der Zionismus
und der Nahost-Konflikt", kürzlich erschienen im PappyRossa Verlag.
Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 4, Juli 2009; S. 8-9
Das FriedensJournal wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegeben und erscheint sechs Mal im Jahr. Redaktionsadresse (auch für Bestellungen und Abos):
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