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Nach dem Gipfel in Beirut

"Der saudische Friedensplan liegt unter Trümmern und Leichen begraben"

Von Margret Johannsen*

Es hat nicht sollen sein. Was so vielversprechend Mitte Februar begann, als der saudische Kronprinz Abdullah seinen "Friedensplan" in der New York Times publik machen ließ, liegt Anfang April unter Trümmern und Leichen begraben. Der Regent Saudi-Arabiens - Schwergewicht in der arabischen und islamischen Welt - hatte mit seiner Initiative in Erinnerung gerufen, was der Kern des Nahostkonflikts und damit auch seiner Lösung ist: Land für Frieden. Und esgelang der Arabischen Liga auf ihrem Beirutr Gipfel, trotz gewisser Interessenunterschiede, was die Regelung der Flüchtlingsfrage und was die Qualität der Beziehungen zu Israel nach einem Friedensschluss angeht, am Ende mit einer Stimme zu sprechen: Die arabischen Staaten akzeptieren Israel als Teil der nahöstlichen Region, wenn Israel sich aus allen 1967 besetzten Gebieten zurückzieht, einen palästinensischen Staat mit Ost-Jerusalem als Haupststadt anerkennt und einer gerechten Lösung der Flüchtlingsfrage zustimmt. Israel sollte wissen: Mit weniger ist Frieden nicht zu haben.

Auch in einem zweiten Punkt demonstrierten die Gipfelteilnehmer Einigkeit: Ein Waffengang der USA gegen den Irak stößt auf einhelligen Widerspruch. Statt dessen setzt die Arabische Liga auch hier auf Normalisierung, darauf, den Pariastatus des Irak zu beenden und ihn schrittweise in die internationale Gemeinschaft zu reintegrieren. Dass das Regime Saddam Husseins unangetastet bliebe, scheint den arabischen Staaten das geringere Übel in Vergleich mit dem Präzedenzfall eines von außen erzwungenen Regimewechsels und dem Empörungssturm ihrer Bevölkerungen, der sich auch gegen sie und ihre Partnerschaft mit den USA richten könnte. Mehr konnten die arabischen Staaten nicht tun. Sie können die amerikanische Administration warnen, aber sie können den USA nicht in den Arm fallen.

Im israelisch-palästinensischen Konflikt sind die Möglichkeiten der arabischen Staaten gleichfalls begrenzt. Sie können Israel ein Angebot machen, aber sie können die israelischen Streitkräfte und die jüdischen Siedler nicht mit Gewalt aus den besetzten Gebieten vertreiben. Die Besatzung kann nur im Einvernehmen zwischen den Konfliktparteien beendet werden. Hierfür bietet der saudische Friedensplan zwar eine Perspektive, aber mehr auch nicht. Er ist kein Plan im Sinne einer Abfolge von Schritten hin zu einem Endzustand, versehen mit einem Zeitrahmen, ausgestattet mit Kontrollmechanismen und Garantien. Dies zustande zu bringen ist nach wie vor Sache der Konfliktparteien. Sie benötigen die Hilfe von Vermittlern, aber wollen müssen sie selber.

Wollen sie? Die Frage klingt leichter als es die Antwort ist. Nein, sie wollen nicht, ist man versucht zu sagen angesichts des verheerenden Terrorattentat in der israelischen Küstenstadt Netanja, der erneuten Belagerung des Palästinenserpräsidenten, der nunmehr offiziell als "Feind" gilt, in den Trümmern seines Domizils in Ramallah, und der dritten und bisher größten Offensive der israelischen Streitkräfte gegen die palästinenischen Autonomiegebiete.

Ein genauerer Blick vermittelt indes ein komplexeres Bild. Die Hintermänner des Bombenanschlags in Netanja, die Islamische Widerstandbewegung Hamas, will keine Verhandlungen. Ob sie sich, entgegen ihrem offiziellen Program, mit einem Staat Palästina neben einem Staat Israel abfinden kann, ist nicht sicher. Wenn es aber einst dazu kommen sollte, wird Hamas Teilhabe an der Macht beanspruchen, und sie wird dies mit ihren "Erfolgen" im bewaffneten Kampf begründen. Eine Verhandlungslösung würde diese Ansprüche untergraben. Was Hamas dann bliebe, wäre er bewaffnete "Bruderkampf". Nichts aber deutet darauf hin, dass Hamas dies beabsichtigt. Den Israelis so viel Opfer wie möglich abzuverlangen und sie auf diese Weise dazu zwingen, die Besatzung zu beenden, das ist die Strategie von Hamas.

Auch die Regierung Ariel Sharons hätte Probleme, wenn sie in ernsthafte politische Verhandlungen einträte. Sehr bald stünde dann die israelische elegation vor der Notwendigkeit, über die Aufgabe der Siedlungen zu verhandeln, damit auf dem Territorium der Westbank und des Gazastreifens ein lebensfähiges Palästina entstehen kann - statt der von israelischem Militär umzingelten palästinensischen Enklaven ohne territorialen Zusammenhang, wie sich der israelische Premier einen palästinenischen Staat vorzustellen scheint. Über solche Verhandlungen dürfte die Regierung Sharons zerbrechen, und Neuwahlen sind gerade in Israel mit seinem fragmentierten Parteiensystem immer gut für Überraschungen. Der einzige, der eindeutig ein Interesse an politischen Verhandlungen vorweisen kann, ist Yassir Arafat. Er und die von ihm geführte Palästinensische Autorität stehen für die Entscheidung vom September 1993, eine Konfliktlösung auf dem Verhandlungsweg zu suchen. Das bedeutet nicht, dass Arafat einen Gewaltverzicht erzwingen kann. Ohne die bewaffneten Brigaden der Fatah, Arafats Partei, wäre die säkulare Nationalbewegung der Palästinenser jeder militärischen Option beraubt und würde das Feld der bewaffneten Kampfes den islamischen Nationalreligiösen überlassen. Als die israelische Armee sein Hauptquartier in Ramallah besetzte, leisteten auch palästinensische Sicherheitskräfte - die Präsidentengarde - bewaffneten Widerstand. Aber in einem Einsatz als reguläre Armee hätten sie nicht den Hauch einer Chance gegen das israelische Militär.

So bleiben den Palästinensern auf dem Weg zu ihrem Staat nur zwei Wege, ein Guerillakrieg und Verhandlungen. Wer am Ende eines Guerillakrieges bei den Palästinensern die Ernte im Form von politischer Führung einfährt, ist völlig ungewiss. Wer hingegen die Legitimation hätte, schmerzhafte Kompromisse bei den Palästinensern durchzusetzen, ist ziemlich sicher. Yassir Arafat mag mit der jungen Garde der säkularen Nationalbewegung paktieren, vom Martyrium sprechen, sich mit dem Titel des General schmücken - Arafat hat sein politisches Schicksal an die Verhandlungsoption geknüpft. Darum müssen die USA und die EU alles tun, um den PLO-Vorsitzenden und gewählten Präsidenten der Palästinenser am Leben zu erhalten und ihm seine Handungsfähigkeit zurückzugeben.

* Dr. Margret Johannsen arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)


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