"Scharons Extremismus ist zum Scheitern verurteilt"
Menachem Klein, Politikwissenschaftler an der Universität Tel Aviv, über die Friedenschancen im Nahen Osten
Unter dem Titel "Höllenfahrt - Nahost ohne Auswege?" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 12. April 2002 in ihrem Feuilleton ein Interview mit dem israelischen Politikwissenschaftler und Professor an der Bar Ilan Universität Tel Aviv, Menachem Klein. Klein ist einer der führenden Nahost-Experten Israels und einer der schärfsten Kritiker der Politik der Scharon-Regierung. Er war Gast des
Arbeitskreises "Moderne und Islam" am Berliner Wissenschaftskolleg und
referierte dort über sein Konzept von Jerusalem als "Hauptstadt zweier Nationen". Das Gespräch führte für die FR Martina Meister.
Die ersten beiden Fragen an Menachem Klein bezogen sich auf die beiden Führungsfiguren des israelisch-palästinensischen Konflikts, Scharon und Arafat. Klein wollte gängigen Gleichsetzungen zwischen beiden nicht zustimmen. Er sagte u.a.:
"... Die
israelische Regierung ist gegen den Frieden. Die Mehrheit des palästinensischen
Establishments ist dafür. Die eine Seite will verhandeln, die andere nicht. Das
Hauptziel der israelischen Regierung in diesem Krieg ist es nämlich nicht, Waffen
einzusammeln und Terroristen zu verhaften, sondern die palästinensische
Regierung zu stürzen. Gleichzeitig muss ich davor warnen, die komplexe Situation
auf einen Konflikt zwischen zwei alten Erzfeinden zu reduzieren, wie das vor allem
die amerikanischen Medien tun."
Als gefährliche Strategie wird Scharons Plan eingeschätzt, Arafat zu stürzen. Klein:
"Die palästinensische Regierung zusammenbrechen zu lassen und auf eine neue
Leitfigur zu hoffen, die Israels Vorschläge blind akzeptierte, ist eine Illusion.
Scharons Extremismus ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Aber seine Strategie,
Arafat zu dämonisieren, war tatsächlich erfolgreich. Politisch ist er, wenn er jetzt
keine Hilfe von außen bekommt, am Ende. Nur würde Israel keinen besseren
Verhandlungspartner bekommen. Es würde nur eine Stärkung der
palästinensischen nationalen Befreiungsfront bedeuten, geführt diesmal nicht wie in
den vergangenen Jahrzehnten von außerhalb, sondern innerhalb Israels von einer
jungen Generation ohne politische Führung."
Klein plädiert für einen radikalen Schnitt bei künftigen Verhandlungen. Seiner Meinung nach gibt es kein Zurück mehr zu Oslo:
"Die Zeiten von Verhandlungen des Osloer Typs sind vorbei. Es gibt keine
Zwischenlösungen mehr. Beide Völker könnten jedoch eine Vereinbarung eines
endgültigen Status akzeptieren. Der israelischen Öffentlichkeit muss jetzt klar
gemacht werden, dass es eine Alternative zum Blutvergießen gibt, die auf den
Vorschlägen von Prinz Abdallah, dem Beiruter Gipfel und einer von Deutschland
geleiteten europäischen Initiative aufbaut. Auf palästinensischer Seite würde es der
politischen Elite zu neuer Legitimität verhelfen, die sie durch den Krieg verloren hat.
Israel muss dann aber gezwungen werden, die seit der zweiten Intifada besetzten
Gebiete zu räumen und die 34 neuen Siedlungen, die seit der Scharon-Regierung
entstanden sind, zu evakuieren.
Den Gedankenspielen Gerhard Schröders, deutsche Soldaten als "Friedenstruppe" in den Nahen Osten schicken zu wollen, erteilt Menachem Klein eine klare Absage:
"Es würde die Israelis schockieren, bewaffnete deutsche Soldaten als
Friedenstruppe auf ihrem Boden zu haben. Besser wäre es, Deutschland würde
zivile Inspektoren und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen. Ich bin nicht dafür,
Deutschland auszuschließen, aber die muss die israelische Empfindsamkeit
angesichts deutscher Uniformen berücksichtigen."
Die Frage, die sich angesichts der Unbeirrbarkeit, mit der Scharon seinen Krieg fortsetzt, vielen stellt, lautet: "Wer kann Israel 'zwingen'?". Klein dazu:
"Die europäischen Regierungen gemeinsam mit den USA und der israelischen
Friedensbewegung. Die veranstaltet derzeit jeden Samstagabend Demonstrationen.
Tausende gehen jede Woche auf die Straße und klagen das Ende des Krieges und
eine politische Lösung ein. Die Scharon-Regierung hat auch versucht, die
historische Bedeutung des arabischen Gipfels in Beirut herunterzuspielen: Zum
ersten Mal haben alle arabischen Staaten, Libyen und Irak eingeschlossen, Israel
ein formales Friedensangebot gemacht. Zum ersten Mal seit 1967 akzeptieren alle
die Formel: Land für Frieden."
Und schließlich die Frage, die hier zu Lande manchen Protest gegen die israelische Kriegspolitik so schwer macht: die Frage nach dem Verhältnis von Kritik und Antisemitismus. Kelin antwortete:
".. der größte Fehler ist, die Kritik an der israelischen Regierung
mit Antisemitismus zu verwechseln. Genauso ist es ein großer Irrtum der Juden in
Westeuropa, dass sie Israel auf jeden Fall hundertprozentig unterstützen müssten.
Scharon zu kritisieren, diesen Krieg zu verurteilen, bedeutet nicht, Israel das Recht
auf Existenz abzusprechen. Deswegen darf die internationale Gemeinschaft nicht
länger zuschauen, wie eine ganze Region zur Hölle fährt."
Zuversicht spricht aus Kleins Antwort auf die Frage nach der Zukunft eines Palästinenserstaates:
"Die Selbstmordattentate richten sich gegen den Aggressor. Wenn er verschwindet,
werden sie ausbleiben. Die palästinensische Gesellschaft selbst ist die
demokratischste in der arabischen Welt, die ich kenne - sie steht dem Westen am
offensten gegenüber, weil sie stark durch die demokratischen Normen Israels
beeinflusst ist."
Alle Originalzitate nach: Frankfurter Rundschau, 12. April 2002
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