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"Syrien, Hisbollah und Hamas müssen einbezogen werden"

Gespräch mit Mohamed Rabie. Über politische Konfliktlösung und geheime Diplomatie, den Gipfel in Annapolis und unabdingbare Voraussetzungen für eine Friedensregelung im Nahen Osten *

Der palästinensische Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Mohamed Rabie initiierte in den 1980er Jahren geheime Kontakte zwischen Vertretern der US-Regierung und der bis dahin von Washington als "Terrororganisation" gebrandmarkten PLO. Daraufhin kündigten die USA im Dezember 1988 an, in einen direkten Dialog mit der Palästinischen Befreiungsorganisation treten zu wollen. Literaturhinweis: Mohamed Rabie: U.S.–PLO Dialogue: Secret Diplomacy and Conflict Resolution, University Press of Florida, 1995.



Zusammen mit William B. Quandt, der in den späten siebziger Jahren Berater des US-Präsidenten James Carter und in jener Zeit einer der Architekten des israelisch-ägyptischen Friedensvertrages von 1979 war, initiierten Sie 1988 erste Kontakte zwischen Vertretern der US-Regierung und der PLO. Welche Entwicklungen gingen diesem Dialog voraus?

Bei einem meiner regulären Treffen mit führenden PLO-Mitgliedern in Tune­sien, bemerkte ich, daß sie sich unsicher waren, wie sie auf die Intifada, die im Dezember 1987 im Gazastreifen und in der Westbank losbrach, reagieren sollten. Während einige von ihnen davon ausgingen, daß der Aufstand innerhalb von sechs Monaten zur Gründung eines palästinensischen Staates führen würde, befürchteten andere, die Initiative könnte sang- und klanglos verhallen, noch bevor damit irgend etwas erreicht werden konnte. Letztendlich suchten sie nach Möglichkeiten, um das große Opfer, das die palästinensische Jugend erbrachte, in konkrete politische Vorteile umzuwandeln, bevor es zu spät dafür sein würde. Auch zeigten sich einige Mitglieder besorgt darüber, daß die neuen, jungen Anführer in den besetzten Gebieten die Autorität und den politischen Einfluß der traditionellen PLO-Führung in und außerhalb Palästinas unterlaufen könnten.

Da ich mich mit den politischen Strategien der Amerikaner und der Israelis gut auskannte, war ich davon überzeugt, daß die Israelis es ablehnten, aus einer Position der Schwäche heraus zu verhandeln. Daher, so dachte ich, sei es eher unwahrscheinlich, daß es zu einem palästinensischen Staat kommen würde. Im Juni desselben Jahres flog ich ein zweites Mal nach Tunesien. Ich hatte mich in der Zwischenzeit intensiv mit dem Thema befaßt und hielt es durchaus für möglich, daß sich durch die Intifada eine Gelegenheit zu Verhandlungen zwischen der US-Regierung und der PLO ergeben konnte. Ich wußte, daß die US-Beamten nicht einfach so mit mir sprechen würden, also rief ich William Quandt an, den ich seit Jahren als einen der führenden amerikanischen Intellektuellen schätzte und bewunderte. Wir verabredeten uns, und ich hatte Gelegenheit, ihm von meiner Idee zu erzählen.

Wie reagierte Quandt?

Er war sehr skeptisch. Auf meinen Vorschlag hin, daß er und ich gemeinsam versuchen sollten, die US-Regierung von der Notwendigkeit eines Dialogs mit der PLO zu überzeugen, wandte er ein, daß die Reagan-Administration der PLO nicht vertraute und daher keinen Grund für die Aufnahme von Verhandlungen sehen würde. Ich bat ihn, noch einmal darüber nachzudenken.

Etwa einen Tag vor dem zweiten Treffen mit Quandt verkündete König Hussein von Jordanien, daß er sich aus der Westbank zurückziehen und jedwede Verantwortlichkeit gegenüber den besetzten Gebieten und der palästinensischen Bevölkerung aufgeben werde. Die Ankündigung des jordanischen Königs hieß für Quandt, daß die PLO nun die einzige Partei war, die das palästinensische Volk repräsentierte. Sollte die US-Regierung über die Zukunft der besetzten Gebiete verhandeln wollen, blieb ihr also gar niemand anderer übrig. Mit einem Mal waren die Chancen, daß die US-Regierung die PLO als Verhandlungspartner anerkennen würde, gestiegen. Wir bereiteten ein Papier vor, in dem wir aus der Sicht der USA und aus der Sicht der PLO die Bedingungen formulierten, von denen wir annahmen, daß sie zu einem Dialog führen könnten. Quandt rief einen früheren Kollegen aus dem Auswärtigen Amt an und vereinbarte ein Treffen. Dort wurde die Idee eines Dialogs begeistert aufgenommen, der Zeitpunkt dafür schien genau richtig. In den nächsten Tagen wurde uns aus dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, daß George Shultz, der damals Außenminister war, sich mit unserem Vorschlag einverstanden erklärt habe und ein Gremium einberufen wolle, das aus vier seiner engsten Berater bestand.

So kam die Initiative in Gang. Ich erhielt den Auftrag nach Tunesien zu fliegen und die PLO-Führung dazu zu bewegen, das Dokument, das ich vorbereitet hatte und das mit Hilfe von Quandt dem Auswärtigen Amt präsentiert worden war, als Verhandlungsgrundlage zu akzeptieren.

Welche Rolle spielte der damalige PLO-Vorsitzende Yassir Arafat in diesem Prozeß? Unterstützte er die Idee eines Dialogs?

Er gab grünes Licht für die Initiative, aber vermied es, offiziell Verantwortung dafür zu übernehmen. In Tunis bat mich Arafat, zunächst niemanden ein Wort darüber zu sagen, bevor er nicht mit Abu Mazen [Mahmoud Abbas] gesprochen habe. Später am Abend saß ich dann der gesamten PLO-Führungsriege gegenüber und legte ihnen meinen Vorschlag dar und sagte auch, daß es nun an ihnen sei, diese Initiative fortzusetzen oder abzubrechen. Arafat hatte Khalid Al Hassan zu dem Treffen eingeladen, der für seine offene Haltung gegenüber den USA bekannt war. Da er jedoch zu diesem Zeitpunkt dem Exekutivkomitee nicht angehörte, war seine Anwesenheit ein deutliches Zeichen dafür, daß mein Vorschlag bei Arafat Gefallen gefunden hatte und er nun daran arbeitete, ihn zu seinen Gunsten auszurichten.

Arafat ernannte einen Unterausschuß, der Al Hassan und mich einschloß. Wir hatten die Aufgabe, das Dokument im Einzelnen zu prüfen und notwendige Ergänzungen zu machen. Arafat hatte nach Beendigung unserer Arbeit ein Treffen versprochen, aber er tat alles, um dem aus dem Weg zu gehen, er vermied jede Begegnung mit mir. Tatsächlich wollte er den Verdienst dieser Bemühungen, falls sie erfolgreich waren, für sich beanspruchen, und falls nicht, könnte er so jede Verantwortung für deren Mißlingen abstreiten. Es dauerte vier Tage, ehe ich begriff, was los war. Ich verließ Tunis am nächsten Morgen und ließ Arafat durch einen seiner Berater eine Nachricht zukommen, in der ich schrieb, daß ich sein Verhalten durchschaute und seine Gründe dafür verstehe. In der Annahme, daß er meine Arbeit unterstützte und das Dokument, das vom Unterausschuß erarbeitet worden war, akzeptierte, würde ich meine Bemühungen so lange fortsetzen, bis ich Gegenteiliges von ihm hörte.

Welche Schwierigkeiten gab es von US-Seite aus?

Im Juli 1988 begannen die Verhandlungen und Mitte September wurde eine erste Einigung erzielt. Geplant war, daß Shultz dies offiziell bekannt geben sollte, damit die PLO positiv darauf reagieren konnte. Aber Shultz zögerte. Immer wieder verlegte er den Termin der Bekanntgabe und sagte ihn in letzter Minute ab. Er begann ein »schmutziges Spiel«, das fast die gesamte Initiative zu Fall gebracht hätte. Nur durch die Intervention Schwedens konnte dies verhindert werden. Letztendlich erwies sich Shultz als wenig hilfreich für den Nahost-Friedensprozeß. Unter anderem verweigerte er Arafat im November 1988 ein Einreisevisum in die USA, als dieser von den Vereinten Nationen nach New York eingeladen worden war. Mit nahezu einstimmiger Mehrheit vertagte sich die UN-Vollversammlung daraufhin nach Genf, wo Arafat Gelegenheit gegeben wurde, die palästinensische Position der Weltöffentlichkeit darzulegen.

Gegen Jahresende hörte ich, daß Shultz völlig außer sich war, als ihm gesagt wurde, daß die Initiative ursprünglich von mir ausgegangen war und daß die PLO erst davon erfuhr, nachdem seine Berater im Auswärtigen Amt sie befürwortet hatten. Shultz war nicht in der Lage, dies zu würdigen. Später sollte er in seinen Memoiren schreiben, daß er mich zu Arafat gesandt hätte.

Nach 18 Monaten zog sich die US-Regierung plötzlich aus den Verhandlungen zurück. Was war der Grund?

Aus verschiedenen Gründen stagnierte der Prozeß. Der direkte Dialog kam dann im August 1989 völlig zum Erliegen. Im Mai 1990 sandte »Abu Abbas« [Gründer und Führer der Palästinensischen Befreiungsfront] einige seiner Männer für eine Militäroperation nach Israel. Unmittelbar nachdem ihr Boot an der israelischen Küste gelandet war, wurde die Gruppe gefangen genommen. Die israelische Regierung beschuldigte sie, einen Terroranschlag geplant zu haben. Daraufhin forderte die US-Regierung die PLO auf, den Vorfall offiziell zu verurteilen. Doch die PLO weigerte sich, und so gab Präsident Bush am 20. Juni 1990 die Einstellung des Dialogs bekannt.

Würden Sie die Initiative deshalb als Mißerfolg bezeichnen?

Nein, durch den amerikanisch-palästinensischen Dialog war viel erreicht worden. Die Anerkennung der PLO durch die US-Regierung ließ Israel keine andere Wahl als dies ebenfalls zu tun. Insofern machte der Dialog die Verhandlungen in Oslo erst möglich und öffnete Arafat die Türen des Weißen Hauses, in dem er in der Amtszeit von William Clinton häufig zu Gast war. Doch mangelndes gegenseitiges Vertrauen, der Druck Israels und das Fehlen einer Vision auf beiden Seiten haben die Beteiligten daran gehindert, Vorteile aus dieser Gelegenheit zu ziehen und die Sache des Friedens weiter voranzutreiben.

Westliche Regierungen sind häufig der Meinung, daß es falsch sei, mit sogenannten Terroristen – wie der PLO in den siebziger und achtziger Jahren oder der Hamas heute – zu verhandeln, da man fürchtet, daß sie dadurch Legitimität erhalten. Wie beurteilen Sie diesen Standpunkt vor dem Hintergrund Ihrer diplomatischen Erfahrungen auf diesem Gebiet?

Alle Gruppen, die in irgendeiner Weise von den Verhandlungsergebnissen betroffen sind, müssen an diesem Prozeß beteiligt werden. Keine Gruppe darf ausgeschlossen werden, ganz gleich aus welchen Gründen. Wenn vorab Behauptungen aufgestellt werden, daß gewisse Lager den Terrorismus unterstützten oder ein Hindernis für den Frieden darstellen und daher von den Verhandlungen ausgeschlossen werden müßten, sind das meist nur Ausreden, um die Antagonisten herabzusetzen. Indem man sie dämonisiert, will man bewirken, daß ihre Interessen und Anliegen von vornherein nicht berücksichtigt werden. Dabei wird jedoch vergessen, daß selbst wenn diese Parteien Teil des Problems sind, sie auch immer Teil der Lösung sind. Es kann keinen dauerhaften Frieden geben, genauso wenig wie es eine friedliche Koexistenz geben kann, wenn nicht die Anliegen aller beteiligten Parteien in einem befriedigenden Maße in den Verhandlungsprozeß einbezogen werden. Für den Nahen Osten bedeutet das: Einen nachhaltigen Frieden und ein friedliches Nebeneinander von Arabern und Juden kann es erst geben, wenn Syrien, die Hisbollah und die Hamas an den Gesprächen teilnehmen können, wenn ihre Positionen tatsächlich ernst genommen werden und ihre Anliegen ehrlich und fair behandelt werden.

Was erwarten Sie von der Nahost­konferenz in Annapolis in der kommenden Woche, zu der die US-Regierung einlädt?

Der amerikanische Ansatz mag für eine erfolgreiche Konferenz garantieren, was aber nicht heißt, daß es dabei auch zu konkreten und befriedigenden Ergebnissen kommen wird. Die Bush-Regierung scheint keinen wirklichen Friedensplan zu haben, geschweige denn konkrete Vorstellungen, die den Beteiligten helfen könnten, die Hindernisse, die schon in der Vergangenheit einer Einigung im Wege standen, zu überwinden. Die US-Regierung hat es bisher versäumt, ein Expertenteam aufzustellen, das die Kluft zwischen den divergierenden Standpunkten verringern hilft. Es gibt keinen genauen Zeitplan für die Verhandlungen und die Formulierung eines Abschlußpapiers. Statt dessen werden die israelische und die palästinensische Seite gedrängt, eine Grundsatzerklärung auszuhandeln, die, so hofft man, den Weg für nachhaltige Gespräche, auch über heikle Punkte, ebnen könnte. Und während Israel auf einer eher allgemeinen Erklärung besteht, fordern die Palästinenser ein klares Dokument, das einen Zeitplan für abschließende Verhandlungen über die zukünftigen Grenzen, die Mauer in der Westbank, die palästinensischen Gefangenen, die Flüchtlinge und Jerusalem festlegt.

In der arabischen Welt hat Präsident Bush derzeit nahezu jegliches Vertrauen verspielt. Viele Araber glauben, die Konferenz in Maryland sei nur ein weiterer Schachzug von Bush, um den Schaden, den er mit seiner Außenpolitik angerichtet hat, einzudämmen und Amerikas guten Ruf in der Welt wiederherzustellen. Auch meinen viele, mit der Konferenz wolle die US-Regierung die Aufmerksamkeit der arabischen Öffentlichkeit von der katastrophalen Lage im Irak weglenken.

Was sind die minimalen Voraussetzungen für einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern, die auf dem Nahost-Gipfel kommende Woche verhandelt werden müssen?

Es sind die Kernfragen des Konflikts: die Grenzen eines künftigen palästinensischen Staates, die Zukunft der jüdischen Siedlungen in der Westbank, die Jerusalem-Frage und das Rückkehrrecht der Palästinenser, das ihnen die Heimkehr in ihre Städte und Dörfer garantiert, aus denen sie vor 60 Jahren vertrieben wurden. Als 1947 gewalttätige Konflikte zwischen Juden und Arabern in Palästina ausbrachen, gehörte den Arabern mehr als 90 Prozent Palästinas. Der damalige Teilungsplan der Vereinten Nationen, der einen arabischen und einen jüdischen Staat schaffen wollte, wies 49 Prozent des Landes den Arabern zu und 51 Prozent den Juden. Als dann 1948 die gut ausgebildeten und militärisch ausgerüsteten Truppen der jüdischen Terrororganisationen und des neu gegründeten jüdischen Staates auf einen schwachen palästinensischen Widerstand stießen und auch die entkräfteten arabischen Streitmächte überwältigten, die den Palästinensern zur Hilfe geeilt waren, konnten israelische Truppen 78 Prozent des palästinensischen Landes erobern. Den Palästinensern blieben lediglich 22 Prozent des Landes – die Westbank und der Gazastreifen, das ist weniger als die Hälfte dessen, was ihnen im UN-Teilungsplan am 29. November 1947 zugesprochen worden war. Es wäre daher wenig angemessen und gerecht von Israel, den Palästinensern noch mehr Land abzuverlangen, insbesondere angesichts der Tatsache, daß nahezu vier Millionen Palästinenser in diesen Gebieten leben und über sechs Millionen Flüchtlinge von ihrem Rückkehrrecht Gebrauch machen könnten, sobald der palästinensische Staat gegründet ist. Dennoch haben die Palästinenser ihre prinzipielle Zustimmung zu einem Tauschgeschäft mit Israel bekundet, bei dem drei Prozent der Westbank an Israel übergehen, um die große Anhäufung jüdischer Siedlungen an der Grünen Linie, die Israel von den besetzten Gebieten trennt, angliedern zu können. Dieser Kompromiß der palästinensischen Führung soll dazu beitragen, sowohl die Grenzen des künftigen palästinensischen Staates als auch das Problem der jüdischen Siedlungen zu klären. Die übrigen Siedlungen sind entsprechend aufzulösen und das besetzte Land muß an die rechtmäßigen palästinensischen Besitzer zurückgegeben werden.

Was raten Sie den heute am Nahost-Friedensprozeß Beteiligten?

Jeder Plan, den Konflikt zu beenden, ist zum Scheitern verurteilt, solange er nicht auch Maßnahmen zur praktischen Durchführung beinhaltet. Meine Empfehlung ist daher, ein ansehnliches Kontingent von UN-Truppen in die Region zu senden. Sie sollen die palästinensische Autonomiebehörde bei der Bildung ihrer staatlichen Institutionen unterstützen, Gesetz und Ordnung gewährleisten und die Sicherheit der israelischen und palästinensischen Grenzen und die Auflösung der jüdischen Siedlungen in der Westbank beaufsichtigen. Darüber hinaus müßte ein internationales Schlichtungskomitee eingerichtet werden, um Streitigkeiten und Konflikte, die in der Durchführungsphase eventuell auftreten, beizulegen.

Interview: Andrea Bistrich

* Aus: junge Welt, 24. November 2007


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