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Die EU als Friedensmacher?

Von Mohssen Massarrat *

Die Vereinten Nationen haben sich auf eine Konferenz geeinigt, in der über eine Zone ohne Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten verhandelt werden soll.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat sich die UN vor einiger Zeit auf eine Konferenz verständigt, in der über den Mittleren und Nahen Osten als massenvernichtungsfreie Zone verhandelt werden soll. Sie wurde 2010 im Rahmen der NPT-Überprüfungskonferenz der Mitgliedstaaten des Atomwaffensperrvertrages beschlossen. Jaakko Laajava, Staatssekretär in Finnlands Außenministerium, wurde als Koordinator eingesetzt.

Obwohl noch von Ägyptens Präsident Mubarak getragen, scheint der neue Präsident Mursi jetzt eine treibende Kraft für die Umsetzung dieser Entscheidung zu sein. In seiner Rede in der UN-Generalversammlung im September kündigte er an, entschieden für die Aufnahme der Arbeit einzutreten. Die Dringlichkeit dieser Konferenz ist weniger darin begründet, dass irgendwann eine solche Zone in der Region eingerichtet sein wird. Vielmehr geht es darum, gerade jetzt dem Iran-Nuklearstreit seine Eskalationsdynamik zu nehmen. Es wäre auch absurd, den aktuellen Nuklearkonflikt nicht zum Dreh- und Angelpunkt der Verhandlungen zu machen. Der beinahe zehn Jahre andauernde Konflikt würde dort stattfinden, wo er hingehört, zumal die informellen 5+1 Verhandlungsrunden gescheitert sind. Endlich könnte das Katz- und Maus-Spiel der Konfliktparteien beendet und über die tatsächlichen Probleme des israelischen Atomwaffenpotenzials sowie des iranischen Atomprogramms gesprochen werden.

Warum aber wurde die UN-Konferenz bislang systematisch ignoriert? Weder Barack Obama noch Mahmud Ahmadinedschad und erst recht nicht Benjamin Netanjahu haben in ihren Reden vor der UN-Generalversammlung je ein Wort über die Konferenz verloren. Israels ideologisch geprägte Elite dürfte die entschiedenste Gegnerin einer solchen Zone sein. Tatsächlich würde Israel seine nukleare Vormachtstellung und Handlungsfreiheit für seine Besatzungspolitik verlieren. Der Glaube, Israels Sicherheit und Existenz hänge vom Besitz von Atomwaffen ab, lässt die Hoffnung schwinden, dass Israels Bevölkerung für den Verzicht auf Nuklearwaffen einen dauerhaften Frieden erhält. Israel etwa macht seine Teilnahme von der illusorischen Forderung einer vorherigen Lösung des Nahost-Konflikts abhängig.

Die Führung der Islamischen Republik Iran scheint indes davon überzeugt zu sein, dass der Besitz von Atomwaffen ihr die Gewähr dafür liefert, als regionale Führungsmacht akzeptiert zu werden. Auch die hegemonial ausgerichtete Elite der USA stuft einen nuklear bewaffneten Hauptverbündeten wie Israel für ihre Interessen im Mittleren und Nahen Osten offensichtlich höher ein als eine nuklearfreie Region. Daher beschränken sich sowohl die USA als auch der Iran auf Lippenbekenntnisse und machen keinerlei Anstrengungen, um die Konferenz voranzutreiben.

Wie es aussieht, ist die Völkergemeinschaft im Begriff, eine herausragende Gelegenheit zur Vermeidung eines folgenreichen Krieges gegen den Iran zu verpassen. Denn Ägypten mit seiner neuen und im Bezug auf internationale Konflikte insgesamt unerfahrenen Führung dürfte allein kaum in der Lage sein, die Hürden zu überwinden, die einem Konferenzbeginn noch im Wege stehen. Gibt es aber keinen anderen Akteur von Bedeutung, der in der Lage wäre, zusammen mit Ägypten und Finnland als Konferenzgastgeber in die Bresche zu springen? Ach ja, beinahe hätte ich die Europäische Union vergessen. Tatsächlich ist sie im Iran-Atomkonflikt als Akteur mit eigener Agenda bisher so gut wie nicht aufgefallen.

Es kann doch nicht sein, dass der EU bisher nichts weiter eingefallen ist, als sich hinter der Politik ihrer Verbündeten zu verstecken. Schließlich wäre der Schaden eines Krieges gegen den Iran für Europa erheblich größer als für die USA. Wäre aber eine EU-Initiative für die Konferenz nicht gerade die historische Chance zu beweisen, eigenständig handeln zu können? Mehr noch: Sie könnte nicht nur den drohenden Iran-Krieg verhindern, sondern darüber hinaus auch die Voraussetzungen für einen Frieden in Nahost entscheidend verbessern. Was läge also für die EU näher, hier als Friedensmacher aufzutreten.

Dazu müsste sie aber umgehend und mutig alle Staaten der Region, einschließlich Iran und Israel, auffordern, sich ohne Vorbedingungen an der UN-Konferenz zu beteiligen und die Konferenz auch stattfinden zu lassen, wenn einige Staaten die Teilnahme verweigern. Denn ein Erfolg wäre nur gewährleistet, wenn den Blockierern rechtzeitig alle Blockadeinstrumente aus der Hand genommen würden. Keine auch noch so ideologisch festgefahrene Regierung im Mittleren und Nahen Osten kann es sich langfristig leisten, sich dem Frieden fördernden Sog der UN-Konferenz zu entziehen, ohne vollends ihre Legitimation gegenüber der eigenen Bevölkerung zu verlieren. Die geplante UN-Konferenz nimmt, allein dadurch, dass sie beginnt, dem Iran-Atomkonflikt die gefährliche Brisanz.

* Dieser Beitrag erschien als Gastkommentar in der Frankfurter Rundschau vom 25. Oktober 2012; die Überschrift "Die EU als Friedensmacher" hatte allerdings kein Fragezeichen. Wir haben es mit dem Einverständnis des Autors wieder gesetzt.


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