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Obama macht es allen recht

Die Nahost-Reise des demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten lässt viele Fragen offen

Von Marija Appakowa *

US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama hat seine Nahost-Reise mit einem Afghanistan-Besuch abgerundet. **

Vier Monate davor hatte sein republikanischer Rivale John McCain dieses Land besucht.

Mit seinen Wahlversprechungen in Afghanistan erregte Obama jedoch mehr Aufsehen als McCain und sorgte unter den amerikanischen Journalisten für richtige Furore. Die afghanischen Politiker reagierten deutlich verhaltener: Zu viel hat ihnen Washington in den zurückliegenden Jahren versprochen. Ansonsten schienen alle mit dem Treffen mit dem potentiellen US-Präsidenten zufrieden zu sein.

Obamas Besuch erregte im Nahen Osten mehr Aufmerksamkeit als die März-Reise seines Rivalen: Obwohl Obama zu den akutesten internationalen Problemen gerne Stellung nimmt, ist er im Gegensatz zum Republikaner McCain immer noch eine große Unbekannte.

Seine Nahost-Tour war um so pikanter, dass der bekennende Christ Obama aus einer islamischen Familie stammt. Dieser Umstand erweckt Bedenken bei den Israelis aber auch bei den jüdischen Wählern in den USA, zumal Obama für einen direkten Dialog zwischen Washington und Teheran wirbt.

In islamischen Staaten und unter den Moslems in den USA hingegen kann Obamas Herkunft ihm mehr Stimmen bringen. Im Nahen Osten stand Obama deshalb vor der Aufgabe, nicht nur seine außen- und sicherheitspolitischen Kenntnisse auf den Prüfstand zu stellen, sondern eher sich bei der jüdischen Lobby zu profilieren, ohne dabei die Sympathien der Moslems zu verlieren. Es war eine recht schwierige Aufgabe, in der Frage der arabisch-israelischen Beziehungen und des iranischen Atomprogramms Balance zu halten.

Im Atomstreit mit Iran setzte sich Obama für ein Vorgehen mit Zuckerbrot und Peitsche ein. Wenn der Mullah-Staat auf sein Atomprogramm verzichte, müsse ihm eine Chance für eine Normalisierung der Beziehungen mit der Weltgemeinschaft gegeben werden. Bleibt Iran stur, müssten die Wirtschaftssanktionen verschärft werden.

Ohne den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad direkt zu erwähnen, erklärte sich Obama bereit, mit jedem beliebigen Staatschef zusammenzutreffen, wenn dies im US-Interesse liegen sollte. Zugleich versicherte Obama Israel, dass das iranische Atomprogramm ihn nicht weniger als den scheidenden Präsidenten George W. Bush beunruhige.

Tröstlich war es auch für die Israelis, dass Obama die von US-Politikern beliebte Redewendung nochmals wiederholte: Israel habe das Recht, sich vor denjenigen zu verteidigen, die seine Sicherheit gefährden. Gemeint sind nicht nur Iran, sondern auch die Palästinenserbewegung Hamas und andere regionale Extremistenorganisationen.

Dass Obama dies in der israelischen Stadt Sderot gesagt hat, hat den Effekt seiner Worte nur verstärkt: Sderot ist ein beliebtes Ziel der militanten Palästinenser im Gaza-Streifen, die benachbarte israelische Gebiete regelmäßig mit Raketen beschießen.

Den Palästinensern versprach Obama, im Falle seines Wahlsieges würde er sein Bestes tun, um ihnen zu einem dauerhaften Frieden mit Israel zu verhelfen und die wirtschaftliche und humanitäre Situation in den Palästinensergebieten zu verbessern.

Doch in der Region glauben jetzt nur noch wenige solchen Versprechungen, die bereits zum Standard außenpolitischer Erklärungen amerikanischer Politiker zählen. Die Friedensbemühungen der beiden letzten US-Präsidenten Bill Clinton und George Bush jun. im Nahen Osten sind bekanntlich gescheitert. Wenn aber die Wähler von einem Frieden im Nahen Osten hören wollen, gibt Obama ebenso wie jeder andere US-Politiker beliebige Versprechen von sich.

Nicht weniger populistisch, dafür aber einzigartiger waren Obamas Äußerungen zum Irak-Krieg. Nach den Besuchen in Kabul und Bagdad sagte er, der Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan sei für die USA wichtiger als im Irak. Wenn er als Präsident ins Weiße Haus einzieht, würden die US-Truppen binnen 16 Monaten Irak verlassen, die Anti-Terror-Front in Afghanistan würde hingegen verstärkt.

Den US-Wählern muss es im Grunde egal sein, wo die US-Soldaten sterben. Ein Truppenabzug aus dem Irak wäre für sie kein Trost, wenn dabei die Verluste in Afghanistan zunehmen würden. Aber darüber macht sich heute kaum jemand Gedanken, da die Redewendung „Truppenabzug aus dem Irak“ magisch auf die Wähler in den USA wirkt.

Bedenken gegen diese Pläne gibt es vorläufig nur bei Militärs und erfahrenen Diplomaten. Der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski mahnte in einem Interview mit der Zeitung „Financial Times“, Obama und andere US-Politiker müssten begreifen, dass der Terrorismus in Afghanistan sich durch die bloße Truppenaufstockung nicht bekämpfen lasse.

Obama gesteht selbst ein, dass er in der Frage des Truppenabzugs aus dem Irak mit den US-Militärs uneinig ist. Wer in diesem Streit die Oberhand haben wird, ist den Wählern überlassen.

Obamas Position scheint sowohl den US-Wählern als auch den Irakern zu gefallen. Die irakische Regierung rechnet damit, dass die amerikanischen Truppen spätestens 2010 aus dem Land abgezogen werden. Das bedeutet aber nicht, dass alle US-Soldaten Irak verlassen werden. Es handelt sich nur um den Rückzug der Kampfeinheiten.

Doch diese Einzelheiten interessieren weder die US-Wähler noch die Iraker. Jeder hörte von Obama das, was er hören wollte. Es allen recht zu machen, ist eine politische Kunst, die Obama meisterhaft beherrscht.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 25. Juli 2008; http://de.rian.ru


** Obama bereiste vom 21. bis 24. Juli die Länder Kuwait, Afghanistan, Irak, Jordanien, Israel und Palästina.


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