Israelische Regierung spricht nun offen von Krieg
"... und im Krieg wird Infrastruktur manchmal zerstört." - Ein Kommentar und Pressestimmen
In dem seit 15 Monaten andauernden Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung starben nach amtlichen Zählungen 809 Palästinenser und 246 Israelis. Die Gewaltspirale war mehrmals für jeweils kurze Zeit unterbrochen worden, es fanden immer wieder Verhandlungsansätze statt und es fehlte nicht an Vermittlungsversuchen von Seiten Dritter. Die Vorschläge der Mitchell-Kommission oder des US-Vermittlers Anthony Zinni sind noch in bleibender Erinnerung, auch die Visiten des deutschen Außenministers Fischer oder des EU-Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik, Solana ("Mr. GASP"), täuschten vorübergehend vor, die Lage könne sich auf einem niedrigeren Gewaltniveau entspannen. Doch die Wirklichkeit sperrt sich gegen wohlmeinende Ratgeber, vor allem wenn diesen nichts Essentielles einfallen mag. Die Beschwörung beider Seiten, sie mögen doch auf Gewalt verzichten, an den Verhandlungstisch zurückkehren und zu Kompromissen bereit sein, verfehlt ihr Ziel, wenn nicht gleichzeitig gesagt wird, was unter "Kompromiss" verstanden werden soll und wo die Hauptursachen der Gewalt im Nahen Osten liegen.
Ein nüchterner Blick auf die Geschichte der Region, auf die geografische Lage Palästinas, auf die ökonomische und militärische Asymmetrie zwischen Israelis und Palästinensern und auf die Interessen der Anrainerstaaten zeigt uns, dass es keine weiteren "Kompromisse" geben kann. Vielmehr muss es darum gehen, die Grenzziehung entlang der "grünen Linie" (also von 1967 vor dem 6-Tage-Krieg) endgültig zu akzeptieren (wozu die palästinensische Seite schon längst bereit ist) und die Gründung eines selbstständigen, souveränen Staates der Palästinenser mit der Hauptstadt Ostjerusalem endlich zuzulassen (was auch nach dem Oslo-Abkommen und den verschiedenen Nachfolgevereinbarungen, z.B. dem Abkommen von Wye, schon hätte passieren müssen). Und wer nicht an die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik als der Hauptursache des langjährigen Konflikts herangeht, wird die Region nicht befrieden können.
Nicht um "Kompromisse" also geht es, sondern um die Herstellung eines Zustands, der von zahlreichen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und von noch viel mehr Resolutionen der UN-Generalversammlung seit Jahr und Tag gefordert wird. Hierzu muss Israel sich bewegen, die Palästinenser um Arafat haben sich bereits bewegt. Vor allem verzichteten sie auf rund die Hälfte des Territoriums, das ihnen gemäß UN-Teilungsplan von 1948 zustand. Wenn die israelische Regierung heute von den Palästinensern weitere "Kompromisse" verlangt, etwa weitere Gebiete an Israel abzutreten (aus "Sicherheitsgründen", wie es hierzu heißt), dann stellt das für die Autonomiebehörde eine gefährliche Zumutung dar. Mit jedem Zugeständnis Arafats verliert er an Macht und Ansehen in der palästinensischen Bevölkerung. Jede Demütigung Arafats bedeutet einen Zugewinn an Macht und Einfluss der radikalen Hamas oder des Dschihad. Und jeder bewaffnete Angriff gegen autonome Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen, jede Liquidierung mutmaßlicher palästinensischer Attentäter liefern Anlässe für Vergeltungsaktionen, die sich sowohl gegen israelisches Militär, zunehmend aber auch gegen israelische Zivilisten richten.
"Scharon ist eine Gefahr für sein eigenes Volk", heißt es in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom 19. Januar 2002. Unter seiner Ägide hat sich der Aufstand der Palästinenser zu einem regelrechten Krieg entwickelt. Und Krieg ist das Metier, das Scharon besser versteht als sein Vorgänger Barak (obwohl auch er ein gelernter Armeegeneral). Und auf Krieg wird inzwischen auch die israelische Gesellschaft eingestimmt. Die israelische Ministerin für Öffentlichkeitsarbeit, Tzipi Livni, das Sprachrohr der Regierung Scharon also, lässt an dieser Orientierung keinen Zweifel. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau sagt sie: "Wir haben seit mehr als einem Jahr Krieg, und im Krieg wird Infrastruktur machmal zerstört. Dies geschieht im Kampf gegen den Terror. Deshalb müssen wir auch die palästinensischen Gebiete absperren." (FR, 19.01.2002) Und die Beendigung der Gewalt kann sich die Ministerin nur so vorstellen, dass "von palästinensischer Seite Gewaltverzicht geübt werde". Sie plädiert für "vertrauensbildende Maßnahmen" und versteht darunter, dass "Terroristen festgenommen werden". Kein Gedanke daran, dass Gewalt auch von israelischer Seite angewandt wird, aktuell durch gezielte Hinrichtungen etwa oder durch die Zerstörung von Siedlungen und Plantagen, ganz zu schweigen von der andauernden Gewalt durch das Besatzungsregime. Die Forderung von Scharon, vor der Umsetzung des Vorschlags des Mitchell-Reports müsse es eine 7-tägige absolute Waffenruhe geben, als sieben Tage kein palästinensischer Anschlag (von israelischer Staatlicher Gewalt ist natürlich nicht die Rede), zielt darauf ab, einen Waffenstillstand und die Rückkehr zu Friedensgesprächen mit der palästinensischen Autonomiebehörde unmöglich zu machen.
Und hatte nicht Scharon vor wenigen Wochen seinen Gegenspieler Arafat für "irrelevant" erklärt? Wie kann man gleichzeitig von ihm verlangen, dass er so viel Einfluss auf alle palästinensischen Gruppierungen hat, um sie zu einem 7-tägigen absoluten Stillhalten zu bewegen, während z.B. gleichzeitig israelische Sicherheitskräfte in den besetzten Gebieten mutmaßliche Attentäter verhaften oder töten? Nachdem Arafat am 16. Dezember 2001 zu einem allgemeinen Stopp der bewaffneten Kämpfe aufgerufen hatte, wurde seinem Appell nach übereinstimmender Meinung aller Korrespondenten insofern entsprochen, als es über mehrere Wochen gar keine Selbstmordattentate gab und insgesamt die Gewalt erheblich eingedämmt wurde. (Ganz so "irrelevant" kann Arafat also doch nicht sein!) Die israelische Seite hat dies nicht honoriert. Lassen wir wieder Ministerin Tzipi Livni sprechen: "Jeden Tag gab es 20 bis 30 Vorfälle. Man kann sagen, dass das nichts ist im Vergleich zu Selbstmordanschlägen. Das ist weniger gewaltsam, doch das ist nicht gleichzusetzen mit dem Stoppen von Terror." Und die Reaktion Israels bleibt sich immer gleich: "In unserer Politik geht es nicht um Bestrafung und Vergeltung. Es geht darum, die nächsten Terrorattacken zu verhindern. Wenn von bestimmten Häusern aus geschossen wird, dann werden diese zerstört. Und da die Terroristen mitten unter der palästinensischen Zivilbevölkerung leben, müssen sie - leider - den Preis bezahlen." (ebd.) Unter dem Vorwand, die "nächsten" Terrorangriffe zu verhindern, kann fast alles gerechtfertigt werden: Jeder Angriff der israelischen Armee fällt so unter die Rubrik "Prävention". Mit der rauen Wirklichkeit im Nahen Osten hat das allerdings nicht viel zu tun. Denn jeder Präventivschlag bietet Anlass zu neuer Gewalt. Und was im israelisch-palästinensischen Konflikt Gewalt und Gegengewalt, Aktion und Reaktion, Tat und Vergeltung ist, kann nicht allein von der israelischen Regierungspropaganda definiert werden. Palästinenser sehen das ganz anders.
Die Empörung im Ausland auf das jüngste Attentat auf israelische Zivilisten in Hadera war groß und natürlich berechtigt. Niemand kann solche Morde rechtfertigen. Außenminister Fischer und sein US-amerikanischer Kollege Powell äußerten sich umgehend und verurteilten das Attentat "aufs Schärfste". Glaubwürdiger wäre eine solche moralische Intervention allerdings, wenn es von beiden Seiten ähnliche Verurteilungen israelischer Angriffe auf palästinensische Gebiete und Menschen geben würde. Die Nahostpolitik der Bundesregierung verläuft immer noch nach folgendem Muster: Allgemeine Friedensappelle werden an beide Seiten gerichtet, scharfe Verurteilungen werden dagegen nur bei palästinensischen Gewaltakten ausgesprochen. Das höchste der Gefühle, was an Kritik an der israelischen Regierung kam, war die Mahnung der Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeule vor wenigen Tagen, als sie Israel bat, bei ihren Militäraktionen gegen palästinensische Infrastruktur doch wenigstens die Einrichtungen zu schonen, die mit finanzieller Hilfe der EU bzw. der Bundesrepublik gebaut worden waren (siehe
unsere Nahost-Chronik, 10.-13. Januar). Darauf lässt sich keine langfristige Friedenspolitik für den Nahen Osten bauen. Gerade die Staaten, die aus historischen, politischen oder meinetwegen kulturellen Gründen mit Israel in besonderer Weise freundschaftlich verbunden sind - und das ist die Bundesrepublik Deutschland -, müssen erst recht ihren Einfluss auf den engen Freund geltend machen.
Arafat weiß das und appelliert nicht umsonst - bisher aber vergeblich - an die USA und an die EU, sich stärker in den Konflikt zu engagieren. Auch die Vereinten Nationen sind eine gute Adresse. Sie stehen in der Pflicht, ihren eigenen Resolutionen Nachdruck zu verleihen. Die Forderung aus der israelischen und palästinensischen Friedensbewegung, den Konflikt zu internationalisieren, UN-Beobachter in die Region zu holen, ist einer der letzten Versuche, sowohl das Augenmerk der Weltöffentlichkeit auf den Nahostkonflikt zu lenken, als auch Israel zu einer anderen politischen Haltung zu veranlassen. Wie das unter dem hartleibigen Ministerpräsidenten Scharon geschehen soll, weiß niemand. Dass es aber im Interesse der Menschen und des Weltfriedens geschehen muss, ist allen Beobachtern der Szene klar.
Peter Strutynski
(20. Januar 2002)
Pressestimmen
Im Folgenden lassen wir ein paar Korrespondenten und Kommentatoren zu Wort kommen, die aus ganz unterschiedlichen Richtungen am 19. Januar 2002 zur neuerlichen Eskalation des Nahostkonflikts Stellung genommen haben.
Anne Ponger aus Jerusalem schreibt in der taz u.a.:
Genau einen Monat hatte es einen Waffenstillstand gegeben.
Nach der Rede von Palästinenserführer Jassir Arafat am 16.
Dezember mit dem Aufruf zum Waffenstillstand, hatten die
Islamistenorganisationen Hamas und Dschihad von
Selbstmordanschlägen in Israel abgesehen, waren die
Feuerüberfälle auf Siedler und Soldaten fast ganz
zurückgegangen. Seit Mitte Dezember hatte die israelische und
die palästinensische Bevölkerung Druck auf ihre Führungen
ausgeübt, mit gemeinsamen Friedensinitiativen. Die Botschaft:
Genug des Blutvergießens, wir müssen und wollen miteinander
leben und fordern politische Verhandlungen über einen
friedlichen Prozess zur Beendung der Besatzung, eine vertraglich
ausgehandelte politische Abtrennung mit dem Ziel zweier Staaten
im Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan.
Arafat hatte begonnen, die palästinensischen Extremisten unter
Kontrolle zu bringen. Der Erfolg war überzeugend und setzte
Scharon sowie seine ideologisch zu keinen Kompromissen
bereite Rechts-Regierung politisch unter Druck. Um die
hoffnungsvolle Stimmung in Israel zu dämpfen und die USA und
die Welt in Zweifel zu stürzen, wurden Ausreden erdacht: ein
dubioses Waffenschiff "Karine A", unterirdische Tunnel im Süden
des Gaza-Streifens, die die Vertreibung von hunderten
Palästinensern durch Armeebulldozer im Süden des
Gaza-Streifens rechtfertigen sollten und eine erneute gezielte
Liquidierung des Palästinensers Al-Carmi.
...
Gestern wurden die israelischen Todesopfer des Anschlags in
Hadera zu Grabe getragen, während vier Angeschossene in
Lebensgefahr schweben. Die Palästinenser mussten nach einem
Bombeneinsatz von F-16-Kampfflugzeugen im Westjordanland
einen Polizisten beerdigen und sorgen sich um mindestens vierzig
verletzte Menschen.
Erstmals meldeten sich kritische Stimmen in den Medien. In
Radiointerviews erinnerten Verwandte der russischen Opfer des
letzten Anschlags an die provozierenden Maßnahmen der
israelischen Armee, die die zu erwartende Rache hervorriefen. In
populären Musikprogrammen äußerten bekannte Medienstars
wie Joram Gaon Zweifel an der agressiven Besatzungs- und
Zerstörungspolitik. Einhalt muss der Scharon-Regierung sowohl
von innen als auch von außen geboten werden. Während die
meisten Israelis leider noch durch Angst, Schrecken und
Propaganda in Zaum gehalten werden, sollte die internationale
Gemeinschaft nicht mehr schweigen.
(taz vom 19.01.2002)
Und aus der taz noch folgender Kommentar von Yassin Musharbash:
...
... Ob "Zirkel der Gewalt",
"Spirale der Eskalation", "Zuspitzung der Lage" oder "Kreislauf
von Terror und Vergeltung" - die altbekannten Phrasen
verschleiern mehr, als sie erklären. Und die tagtägliche Gewalt in
Israel und Palästina hat begonnen, die Aufmerksamkeitsgrenze
der Weltöffentlichkeit zu unterschreiten. Der Nahe Osten wird,
wenn es so weitergeht, auf unserer mentalen Weltkarte schon
bald irgendwo zwischen Kolumbien und Simbabwe rangieren:
Alles wird gewissenhaft gemeldet, nichts kommt voran. Keiner
glaubt noch, dass palästinensische Extremisten oder israelische
Militärs, geschweige denn die wenigen verbliebenen
Friedensaktivisten beider Seiten irgendeine Aussicht haben, ihre
Ziele zu erreichen.
...
Noch kann selbst im Nahen Osten außenpolitischer Druck eine
Menge bewirken. Die USA und die EU haben großen Einfluss
auf beide Seiten - gerade wenn es um finanzielle Hilfen geht.
Noch versuchen Israelis und Palästinenser immerhin, sich in
einem mit großer Eifersucht ausgetragenen
Beliebtheitswettbewerb die Untertützung der Großen zu sichern.
Hier lag schon immer die einzig realistische Chance auf Frieden
in Nahost versteckt.
Ironischerweise müssten Europäische Union und die USA
deshalb gerade jetzt einschreiten - jetzt, wo alle Welt so
desillusioniert ist, dass kein Druck besteht. Die Erwartungen an
mutige Initiativen sind zur Zeit denkbar gering, das kann hilfreich
sein. Zum Beispiel für die Entsendung Internationaler
Beobachter: Da sich beide Seiten derzeit vornehmlich als Opfer
des Konflikts präsentieren, können sie dagegen wirklich wenig
einwenden. Und wenn Joschka Fischer morgen nach Ramallah
flöge, ganz sicher könnte er erreichen, dass die Israelis Arafats
Hausarrest und die Belagerung seines Büros aufgäben.
Jetzt muss die nächste internationale Initiative her. An
überzogenen Erwartungen würde sie dieses Mal nicht
zerbrechen.
(taz vom 19.01.2002)
In der Süddeutschen Zeitung kommentierte Thorsten Schmitz (Auszüge):
Die Zeit zwischen dem 16. Dezember
und dem 8. Januar wird in Israel als "Flaute" bezeichnet: Ein
Israeli wurde in diesen drei Wochen von Palästinensern
umgebracht. Dass im selben Zeitraum 18 Palästinenser von
israelischen Soldaten getötet wurden und man dennoch von
einer Flaute sprach, zeigt, dass der Begriff der Waffenruhe
Ansichtssache ist – und dass in Israel palästinensische und
israelische Menschenleben sehr unterschiedlich gewichtet
werden.
...
Scharon braucht die Gewalt der Palästinenser zur eigenen
Machtsicherung – eine bittere Erkenntnis. Weshalb sonst
lässt er nach drei Wochen relativer Waffenruhe einen
Aktivisten von Arafats Fatah-Organisation liquidieren? Zur
Genüge ist inzwischen bekannt, dass die gezielte Tötung
palästinensischer Verdächtiger nur zu neuen
Terroranschlägen führt.
Die Annahme der israelischen Regierung, die Tötungen
würden Terroristen von der Planung und Ausführung ihrer
Attentate abhalten, weil sie damit beschäftigt seien, sich vor
den israelischen Raketen und Scharfschützen zu verstecken,
ist falsch. Die Palästinenser haben nichts zu verlieren.
Der Generalsekretär der Fatah im Westjordanland, Marwan
Barghuti, der selbst auf der israelischen Todesliste steht,
sagt: "Wenn wir Palästinenser gezwungen werden, während
der Besatzung mit Israel über ein Ende der Besatzung zu
verhandeln, muss Israel akzeptieren, dass wir uns während
der Verhandlungen gegen die Besatzung wehren."
Getrieben von seiner Verachtung für Arafat setzt Ariel
Scharon das israelische Volk einer großen Gefahr aus:
Anschläge wie der von Donnerstagnacht, bei dem sechs
Israelis getötet wurden, werden von den palästinensischen
Terroristen damit "gerechtfertigt", Israel habe einen der ihren
liquidiert.
Es habe damit seine Repressionspolitik fortgesetzt, auch
wenn es diese als Terrorismusbekämpfung zu verkaufen
suche. In diesem Fall war es Raed Karmi, der Fatah-Aktivist,
der nach der dreiwöchigen Waffenruhe von Israel liquidiert
worden war.
Scharon ist eine Gefahr für sein eigenes Volk: Er setzt es
Anschlägen aus, die durch seine Strategie provoziert worden
sind. Diese Strategie heizt absichtsvoll palästinensischen
Terrorismus an, damit Scharon keine politischen
Verhandlungen führen muss. Amerika und Europa müssten
nun mit derselben Vehemenz, mit der sie Arafat in die Ecke
drängten, Druck auf Scharon ausüben und politische
Konzessionen von ihm einfordern.
(Süddeutsche Zeitung vom 19.01.2002)
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellt sich in ihrem Kommentar (von K.F.) eindeutig auf die Seite der israelischen Regierung:
... Wenn man die Lage nüchtern beurteilt, wird man auf wenig stoßen,
das zu Optimismus Anlaß gibt, dafür um so mehr auf Befunde,
die in die Resignation treiben. Und wenn man ehrlich ist, wird
man sich eingestehen müssen, daß auch der soundsovielte
Appell an Arafat, "mit aller Entschiedenheit" gegen
palästinensische Terroristen vorzugehen, ohne Echo der Tat
verhallen wird. In Europa glauben viele noch immer, daß
Arafat, weil er "seinen Staat" wolle, zum Friedensschluß mit
Israel bereit sei, daß er aber nicht die Kraft habe, um dem
Terror ein Ende zu machen und die Prediger von Gewalt und
Haß wegzuschließen. Das ist eine rührend wohlmeinende,
verzerrende Einschätzung. Wahr ist: Die Fäden des
Terrormilieus reichen weit in Arafats Organisationen hinein.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.01.2002)
Der Berliner "Tagesspiegel" kommentiert weniger eindeutig (Autor: cvm):
Der Nahe Osten steht am Wendepunkt. ... Premier Scharon hat zur ultimativen Drohung gegriffen: den
Palästinensern alles zu nehmen, wenn die Anschläge nicht aufhören; die Institutionen
und Aushängeschilder der Autonomie - also am Ende die Autonomie selbst. Dieser
Logik gehorchen die jüngsten Vergeltungsaktionen, die Zerstörung der Polizeistationen,
des Flughafens von Gaza, der Behörden. Und ebenso das Bild, das sich gestern nackt
und brutal bot: Panzer, die ihre Rohre auf Arafats Hauptquartier richten. Man wagt es
kaum, sich die zwingend folgende Szene vorzustellen - falls eine weitere Gewalttat folgt.
Scharon sagt, er wolle der palästinensischen Führung "eine Lektion erteilen, die sie
nicht vergessen wird". Zeigt der Druck Wirkung - und den gewünschten? Der letzte
Anschlag wurde nicht im "besetzten" Siedlergebiet verübt, sondern in Israels Kernland;
nicht von extremen Gruppen wie Hisbollah oder Jihad, sondern von Arafats Fatah. Wenn
die Autonomie stirbt, verliert Arafat alles. Aber was gewinnt Scharon? Mehr Sicherheit für
Israel? Das wird er selbst nicht glauben.
(Der Tagesspiegel, 19.01.2002)
Zuguterletzt noch ein kurzer Kommentar (von Frank Wehner) aus dem "Neuen Deutschland":
... Israels Regierungschef hat
wenig Grund, darüber schockiert zu sein, dass die Ermordung eines Al-Aksa-Führers mit Zivilistenmord
geahndet wird. Gehandelt wurde streng nach Scharon-Logik, und die besagt: Wird ein Israeli angetastet,
werden Wohnhäuser Unbeteiligter gleich serienweise zerstört. Das war auch so zur Zeit der Waffenruhe.
Denn es war eine palästinensische, keine israelische. Die Israelis profitierten nur vom Rückgang der
Gewalt, mit Mäßigung dankten sie es nicht.
Mit Kampf gegen Terrorismus hat das nichts zu tun. Mag einst gegolten haben, dass Abschreckung
zwar zynisch ist, doch gegen Extremismus hilft, so geht diese Rechnung schon lange nicht mehr auf.
Im Gegenteil: "Lehren zu erteilen", wie das Scharon nennt, heizt nur die Lage an. Natürlich weiß er
das. Hinter seiner öffentlich bekundeten Irrlogik steckt durchaus Folgerichtiges, das höchst präzise
funktioniert: Mit tödlicher Sicherheit wird jede Hoffnung liquidiert, dass es zur Verständigung oder gar
zum Frieden kommt.
(ND vom 19.01.2002)
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