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Forderungen an beide Seiten

Nahost-Quartett in Moskau: Siedlungsstopp nicht an Verhandlungen gekoppelt

Von Karin Leukefeld *

Angesichts zunehmender Spannungen hat das »Nahost-Quartett« Israelis und Palästinenser zur »Rückkehr an den Verhandlungstisch« aufgefordert. Die Chefdiplomaten der USA, Rußlands, der EU und der UN verlangten am Freitag in Moskau von Israel zwar, den Siedlungsbau »einzufrieren«. Zudem sollten später als im März 2001 errichtete israelische Außenposten im Westjordanland abgerissen werden. Allerdings machten sie dies nicht ausdrücklich zur Voraussetzung für eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Tel Aviv und Ramallah.

»Einseitige Aktivitäten» der Konfliktparteien könnten das Ergebnis künftiger Verhandlungen nicht vorwegnehmen, hieß es in der von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verlesenen Erklärung. In ihr bekräftigt das Nahost-Quartett die Forderung an beide Seiten, zunächst »indirekte Verhandlungen« aufzunehmen. Ziel bleibe die Schaffung eines palästinensischen Staates innerhalb von zwei Jahren. Neben Ban nahmen US-Außenministerin Hillary Clinton, der russische Außenminister Sergej Lawrow, die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und der Sondergesandte des Quartetts, der frühere britische Premierminister Anthony Blair, an dem Moskauer Treffen teil.

In der Nacht zuvor hatte die israelische Armee erneut Luftschläge gegen den Gazastreifen ausgeführt. Begründet wurden die Angriffe mit einem Raketeneinschlag am Donnerstag nahe der Stadt Aschkalon. Dabei war ein Mann aus Thailand getötet worden. Das Geschoß palästinensischer Milizen war in einer Gärtnerei explodiert, in der ausländische Erntehelfer arbeiteten. Wenige Stunden später dann zerstörten zehn israelische Raketen Tunnelanlagen in Raffah, im Grenzgebiet des Gazastreifens zu Ägypten, sowie verschiedene Fabriken und Gebäude. Zwei Personen wurden verletzt. Die Hamas hatte mit einem Gegenschlag gerechnet und die Bevölkerung angewiesen, Tunnel, Fabriken und Polizeistationen zu meiden.

Unmittelbar nach dem Raketeneinschlag bei Aschkalon hatte der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Matan Vilnai die Hamas verantwortlich gemacht. Silvan Shalom, der israelische Vizeministerpräsident sagte, mit dem Angriff sei »eine rote Linie überschritten worden, was Israel nicht akzeptieren« werde, die Antwort werde »angemessen und stark« ausfallen. Hamas-Sprecher Fawzi Barhoum wies die Anschuldigungen zurück und sagte, »die Regierung des zionistischen Feindes« trage die Verantwortung für jegliche Eskalation, weil sie »einen Krieg gegen die Palästinenser und gegen heilige Stätten und die Al-Aksa-Moschee begonnen« habe. Seit zwei Wochen reglementiert die israelische Besatzungsarmee den Zugang zur Al-Aksa-Moschee ebenso wie die ohnehin eingeschränkte Bewegungsfreiheit im besetzten Westjordanland.

Mit Ansar Al-Sunna und den Al-Aksa-Brigaden übernahmen zwei Gruppen die Verantwortung für den Raketenangriff, die nicht der Hamas zuzuordnen sind.

* Aus: junge Welt, 20. März 2010


Forderung aus Moskau zum Dialog in Nahost

USA, Russland, EU und UNO verlangen von Israel Stopp des Siedlungsbaus / Raketenangriff auf Gaza / Netanjahu-Koalition bei Israelis unbeliebt **

Das Nahostquartett verlangt von Israel einen vollständigen Stopp des Siedlungsbaus in den Palästinensergebieten. Ferner fordern die USA, Russland, die EU und die UNO Israel und die Palästinenser auf, die Friedensgespräche wieder aufzunehmen und binnen zwei Jahren zu einer Einigung zu kommen.

Bei einem Treffen in Moskau hat das Nahostquartett am Freitag die israelischen Siedlungspläne scharf kritisiert. Zugleich appellierte die Vermittlergruppe an die Palästinenser, alle Provokationen in der Konfliktregion einzustellen. Das Quartett begrüße jedoch die grundsätzliche Bereitschaft beider Parteien zu Gesprächen, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bei einer vom russischen Fernsehen live übertragenen Pressekonferenz. Das Nahostquartett aus Russland, den USA, den Vereinten Nationen und der Europäischen Union strebe innerhalb von zwei Jahren eine Einigung zwischen Israel und den Palästinensern an. Alle Staaten der Region sollten einen Dialog unterstützen.

Das Quartett rufe Israel weiter auf, alle seit März 2001 errichteten Siedlungen wie im Friedensplan (Road Map) vorgesehen wieder abzureißen, sagte Ban. Der UN-Generalsekretär kündigte eine baldige Reise in den Gazastreifen an. Er sei »tief beunruhigt« über die humanitäre Situation in dem abgeriegelten Palästinensergebiet. Ban rief die internationale Gemeinschaft nachdrücklich auf, mehr zur Bildung eines »unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen« Palästinenserstaats zu unternehmen. Allerdings müssten die Palästinenser ihre »aufwieglerische Rhetorik« zügeln. »Ein Dialog ist ein wichtiger Schritt zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen.«

US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnete die jüngsten Pläne Israels zum Bau von 1600 Wohnungen im arabischen Ostteil Jerusalems als »einseitige Schritte, die nicht bei der Lösung der Situation« helfen. »Wir hoffen sehr, dass beide Parteien schon bald zumindest indirekte Verhandlungen beginnen«, sagte Clinton.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach von »sehr deutlichen Schlussfolgerungen« des Quartetts, die er im Nahostkonflikt als »Schritt vorwärts« betrachte. »Ich gehe davon aus, dass Israel diese Erklärung hören und richtig verstehen wird«, betonte Lawrow. An dem Treffen in Moskau nahmen auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sowie der Nahostbeauftragte Tony Blair teil.

Wenige Stunden nach einem tödlichen Raketenangriff von Palästinensern haben israelische Kampfflugzeuge in der Nacht zum Freitag (19. März) Ziele im Gazastreifen beschossen. Wie die israelische Zeitung »Haaretz« unter Berufung auf das Armeeradio behauptete, seien Waffenwerkstätten und Schmugglertunnel im Süden des Gebiets getroffen worden. Angaben über Schäden oder Opfer gab es nicht.

Im Anschluss an das Freitagsgebet haben Palästinenser in Ost-Jerusalem und mehreren Orten im Westjordanland erneut gegen die israelische Siedlungspolitik demonstriert. Dabei kam es nach Angaben von Augenzeugen wiederholt zu Zusammenstößen zwischen jungen Palästinensern und dem israelischem Militär.

Ein Jahr nach dem Amtsantritt von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wünschen sich zwei Drittel der Israelis einer Umfrage der Zeitung »Jediot Achronot« zufolge eine andere Regierung ohne die ultranationalistischen Parteien.

** Aus: Neues Deutschland, 20. März 2010


Moskauer Fehlstellen

Von Roland Etzel ***

Die Moskauer Botschaft des Nahostquartetts an die Konfliktparteien könnte kaum eindeutiger sein: Aufnahme von Verhandlungen umgehend, Abschluss spätestens 2012; und speziell an Israel gerichtet: keine neuen Siedlungen im besetzten Gebiet und Abriss der seit März 2001 dort illegal errichteten. Bewegt sich damit ein Dauerkonflikt auf sein Ende zu, da ja die Mächtigen dieser Welt es so wollen? Wohl kaum, denn sie haben nicht gesagt, was passieren soll, wenn der Appell ignoriert wird.

Und das wird er wohl. Das tief gefächerte Arsenal von Maßnahmen, Sanktiönchen bis Pressionen, über das die UNO verfügt, wenn sie auf von ihr als solche festgestellte Verletzer ihrer Charta einzuwirken gedenkt, wird nicht einmal erwähnt, geschweige denn angedroht. Und Netanjahu hat bereits erklärt, dass er in Sachen Siedlungsstopp allenfalls ein bisschen Kosmetik akzeptieren wolle. Die Reaktion der USA darauf dürfte ihn sehr beruhigt haben. »Nicht hilfreich«, hieß es von Hillary Clinton, was man wohl deuten kann als: »Da kann man halt nichts machen.«

Und die hohen Damen und Herren in Moskau sind bei allem Respekt für ihre Botschaft noch Antworten auf weitere Fragen schuldig geblieben: Worüber sollen Abbas und Netanjahu eigentlich verhandeln, wenn nicht über Modalitäten des Abzugs der Israelis? Warum haben sie rein gar nichts gegen die Abriegelung von Gaza gesagt? Und wann wird sich der »Nahostbeauftragte« Blair dort das erste Mal sehen lassen?

*** Aus: Neues Deutschland, 20. März 2010 (Kommentar)


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