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Frieden nicht in Sicht

UN-Sicherheitsrat erörtert Lage im Nahen Osten. Konsequenzen aus Gaza-Krieg und Besatzung muß Israel nicht fürchten / Israelische Siedlungspolitik in der Kritik

Von Karin Leukefeld *

Im UN-Sicherheitsrat in New York stehen der Nahe und Mittlere Osten heute (14. Okt.) wieder auf der Agenda. Nach der Entscheidung des amtierenden palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, eine Debatte des sogenannten Goldstone-Berichts über den Gaza-Krieg (2008/2009) auf kommendes Frühjahr zu verschieben, war es in der arabischen Öffentlichkeit zu wütenden Reaktionen gekommen. Daraufhin hatte Libyen, das derzeit als einziger arabischer Staat einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat innehat, eine Sondersitzung des Gremiums beantragt, um sich mit dem Report des UN-Beauftragen Richard Goldstone zu befassen. Der Antrag war zwar abgelehnt worden, doch immerhin wurde das Thema Mittlerer Osten im Weltsicherheitsrat um eine Woche vorgezogen.

Probleme gibt es reichlich zu besprechen. Neben dem stagnierenden Friedensprozeß zwischen Israel und Palästina dürften die ausstehende Regierungsbildung im Libanon und Provokationen der israelischen Luftwaffe gegen das benachbarte Zedernland bei der freien Aussprache in New York auf der Tagesordnung stehen. Außerdem der Streit zwischen Irak und Syrien über die angebliche syrische Unterstützung der verbotenen irakischen Baath-Partei.

Hoffnung für Libanon

In Sachen Libanon gibt es eine positive Entwicklung zu vermelden, denn die beiden arabischen Schwergewichte Syrien und Saudi-Arabien haben sich beim Besuch des saudischen Königs Abdullah in Damaskus in der vergangenen Woche deutlich aufeinander zubewegt. Es war der erste Besuch des Monarchen in Syrien seit seinem Amtsantritt 2005. Beide Staaten vertreten unterschiedliche Positionen. Während Syrien sich dem vom Westen und den USA verfolgen Konzept eines »Neuen Mittleren Ostens« mit deutlicher Stärkung Israels widersetzt, stand Saudi-Arabien bisher mit Ägypten eher auf der anderen Seite. Syrien lehnte die US-Invasion gegen Irak 2003 ab, Saudi-Arabien unterstützte die Aggression. Möglicherweise haben der Kurswechsel in der US-Administration und die Hardliner-Regierung von Benjamin Netanjahu in Israel die Annäherung beider Staaten beschleunigt. Im Libanon übten beide Staaten durch befreundete Parteien bisher konträren Einfluß auf das Land aus, was von den Libanesen für politische Konflikte und Stillstand verantwortlich gemacht wurde. Während die Saudis die Mehrheitsfraktion von Saad Hariri, dem Sohn des 2005 ermordeten libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, unterstützen – der Hariri Clan hält die saudische Staatsangehörigkeit – hält Syrien es mehr mit den Oppositionskräften um die Hisbollah. Iran als strategischer Partner Syriens in der Region unterstützt ebenfalls die Hisbollah. Libanesische Zeitungskommentare äußerten sich vorsichtig optimistisch. Immerhin seien mit dem syrisch-saudischen Gipfel in Damaskus die Interessen beider Staaten im Libanon anerkannt worden, hieß es in der Tageszeitung Al Akhbar, die der Opposition nahe steht. Beide Staaten hätten sich eingestehen müssen, daß keiner den anderen besiegen kann, und so hätten Assad und Abdullah sich gemeinsam für die zügige Bildung einer Regierung der nationalen Einheit im Libanon ausgesprochen. In der Tageszeitung As Safir hieß es, Libanon bleibe »der zentrale Zankapfel zwischen Syrien und Saudi-Arabien«, der Gipfel habe aber »den Libanesen ein neues Kapitel geöffnet«. Das müßten diese jetzt genau lesen, »um nicht wieder bei einer Übergangslösung zu landen wie schon so oft«.

Das schwierigste Thema für die Vereinten Nationen bleibt weiterhin der Stillstand zwischen Israel und den Palästinensern, wobei der Goldstone-Bericht zwar einen herausragenden, aber nur einen von vielen Vorwürfen gegen Israel darstellt. US-Sonderbotschafter George Mitchell verließ Israel am Sonntag nach seiner sechsten Mission ohne Ergebnisse. Außenminister Avigdor Lieberman hatte kurz vor dem Treffen mit Mitchell im israelischen Radio erklärt, ein Friedensabkommen zwischen seinem Land und den Palästinensern sei unmöglich. Wer anderer Meinung sei, habe »die Wirklichkeit nicht verstanden«. Es gebe eine Menge ungelöster Konflikte auf der Welt, und die Menschen »haben gelernt damit zu leben«. Als Beispiel nannte Lieberman die Mittelmeerinsel Zypern, deren Norden seit 35 Jahren von der Türkei besetzt gehalten wird, Nagorny-Karabach und die Falklandlinseln. Analysten wie Eytan Gilboa, Experte für US-Israel-Beziehungen an der Bar Ilan Universität, sehen die Position von US-Präsident Barack Obama deutlich geschwächt, was sich direkt auf seinen Nahost-Sonderbotschafter auswirkt. Mitchell habe vor drei Monaten weitaus mehr Macht gehabt, sagte Gilboa dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira. »Wir (Israelis) wissen jetzt, daß wir ein ›Nein‹ zu einem US-Präsidenten überleben können.«

Siedlungsstopp gefordert

Die Palästinenser fordern als Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Gesprächen mit Israel einen Stopp des illegalen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten und Ostjerusalem. Anstatt sich UN-Resolutionen und dem Völkerrecht zu beugen, demonstriert die israelische Regierung allerdings täglich aufs neue ihre Position jenseits internationalen Rechts. Eine Bestrafung, wie die Einstellung von Militär- und Finanzhilfen und anderen Sanktionen oder die Einrichtung eines Tribunals wegen des Gaza-Krieges mit 1400 getöteten Palästinensern sind – anders als bei anderen Staaten, denen Völkerrechtsverletzungen vorgeworfen werden – vom UN-Sicherheitsrat nicht zu erwarten. Das US-Veto dagegen ist Israel weiterhin sicher.

* Aus: junge Welt, 14. Oktober 2009


My home is my castle – weit gefehlt!

Israelische Siedlungspolitik ignoriert Rechte und Bedürfnisse der Palästinenser

Von Nadine Kaufmann, Ramallah **

»Steht auf, steht auf, wehrt euch, steht auf!« Die Stimme überschlägt sich, manchmal bricht sie ab. Dann weiter: »Steht auf, steht auf, unterstützt uns!« Schließlich bricht sie ganz ab. Das Mädchen weint, kann nicht mehr weiter sprechen und wird von seiner Mutter in die Arme genommen.

Der Veranstaltungssaal des Dorfes Al-Sawya im Westjordanland, etwa 35 Kilometer nördlich von Ramallah, ist mit bunten »Stoppt die ethnische Säuberung«- und »Laßt uns unsere Häuser«-Plakaten dekoriert. Die meisten Anwesenden sind Palästinenser, erwachsene Männer. Voller Bitterkeit schauen sie das Mädchen an, als wollten sie sagen: »Kinder in diesem Alter sollten nicht Dinge erleben, die sie so reden lassen«. Der Handvoll offensichtlich nichtpalästinensischer Anwesender, Menschenrechtler, Journalisten und Mitarbeiter internationaler Organisationen, geht es nicht anders.

Es geht um ein Urteil des höchsten israelischen Gerichtshofs vom 9.September. Es fordert die Regierung auf, 42 ohne israelische Genehmigung gebaute palästinensische Häuser in Al-Sawya unverzüglich zu zerstören. Das Urteil folgte dem Antrag einer israelischen Siedlerorganisation. Dies scheint paradox, insbesondere vor dem Hintergrund, daß deren Siedlungen nach internationalem Recht illegal sind.

Das Dorf Al-Sawya befindet sich in einem Teil des palästinensischen Gebiets, der im Rahmen des Oslo-II-Abkommens über die Autonomie des Westjordanlandes von 1995 als Zone C ausgewiesen ist. Das heißt, es steht offiziell unter israelischer Verwaltung. In dieser Zone, die etwa 60 Prozent der Westbank ausmacht, muß jedes Haus, das von den dort lebenden palästinensischen Familien neu gebaut werden soll, von den israelischen Behörden genehmigt werden. Von den in den letzten Jahren in Al-Sawya eingereichten 42 Anträgen auf Baugenehmigung kam kein einziger durch. Da aufgrund der restriktiven Bauregelung die Bevölkerungsdichte innerhalb des »legalen« Dorfkerns schon fast unerträglich hoch ist, sehen die Familien vielfach keinen anderen Ausweg, als die Häuser ohne Genehmigung zu bauen, obwohl sie dabei Gefahr laufen, daß diese jederzeit wieder zerstört werden können.

Al-Sawya ist nur eine von etwa 150 Ortschaften, die in den als Zone C ausgewiesenen Gebieten liegen und mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben. Offiziell ist Israel dazu verpflichtet, für diese Gemeinden eine angemessene Planungspolitik zu betreiben. »Was tatsächlich passiert, ist, daß das natürliche Wachstum und die Bedürfnisse der palästinensischen Bevölkerung völlig ignoriert werden. Immer mehr Land wird unter Staatseigentum gestellt – heute ca. ein Drittel der Westbank – und dann in erster Linie an israelische Siedler vergeben«, schätzt ein lokaler Beobachter die Situation ein.

Zusammen mit professionellen Planungs- und Rechtsberatungsorganisationen sind die Bewohner von Al-Sawya gerade dabei, einen alternativen, den sozio-demographischen Entwicklungen entsprechenden, Bebauungsplan für ihr Dorf zu erarbeiten. Ob dieser jedoch jemals von israelischer Seite genehmigt werden wird, steht in den Sternen.

** Aus: junge Welt, 14. Oktober 2009


Israel, Palestinians must refrain from increasing tensions – top UN official

14 October 2009 – Worrying developments on the ground have increased tensions in the Israeli-Palestinian conflict over the past month and it is vital that both sides refrain from provocative actions, the top United Nations political official said today.

“While the immediate crisis may have passed, we remain concerned about the broader situation in East Jerusalem and the potential for renewed tensions,” Under-Secretary-General for Political Affairs B. Lynn Pascoe told the Security Council, referring to incidents around the Haram al Sharif/Temple Mount site, sacred to both Jews and Muslims.

“Even with the full determination and support of the international community to achieve a two-State solution, the essential ingredient is political will from the parties to meet their obligations and negotiate an end to the conflict,” he said in the regular monthly report on the conflict to the 15-member body.

Mr. Pascoe cited clashes in Jerusalem between Israeli police and Muslim worshippers at al-Aqsa mosque and subsequent confrontations, with the Islamic Movement of northern Israel claiming radical Jewish groups intended to alter the status quo of the holy site. “The Israeli authorities strongly deny these rumours,” he said. “Bitter accusations from both sides, however, underline the gulf of mistrust that exists.”

He stressed that the issue of the Old City of Jerusalem will only be fully resolved in final-status negotiations as part of the Roadmap peace plan championed by the so-called Quartet – the UN, European Union, Russia and the United States – that calls for two States, Israel and Palestine, living side by side in peace and security.

“Until then, the repeated call of the Quartet on Israel to refrain from provocative actions in East Jerusalem and on the Palestinian Authority to refrain from incitement remains more relevant than ever,” he stressed, also citing continuing Israeli “illegal” settlement activity in Palestinian areas.

Referring to a recent report of a UN mission that found evidence that both sides in the three-week war between Israel and Hamas in Gaza in December and January committed serious war crimes and breaches of humanitarian law, Mr. Pascoe reiterated Secretary-General Ban Ki-moon’s call that all parties carry out a credible investigation into the conduct of the conflict without delay.

“The Secretary-General believes that international humanitarian law needs to be fully respected and civilians must be protected in all situations and circumstances,” he said, also noting a “worrying increase in violence” in the area, with 12 missiles fired from Gaza into Israel during the last month, and nine Israel incursions and 12 air strikes. “It is essential that calm not only be restored, but solidified,” he warned.

Despite extensive discussions, Israel has not yet approved the UN’s Gaza recovery proposals for schools, clinics and housing destroyed or damaged in the fighting, and is still blocking exports out of the area, while food and hygiene items continue to make up the bulk of the imports it allows in.

“The pattern of events over the last month in the Middle East is a powerful reminder that without a credible political horizon – including commitments made, monitored and kept on the ground, and a calling to account when obligations are breached – forces of violence, tension and extremism on both sides will fill the vacuum,” he concluded.

“Now, more than ever, it is vital that politics is made credible, and those who try to undermine politics by changing facts on the ground or resorting to violence are not allowed to set the agenda.”

More than 40 countries are scheduled to speak in the Council’s ensuing open session.

In his latest report to the Council and General Assembly on the peaceful settlement of the question of Palestine, which was released yesterday, Mr. Ban called on the parties to honour all existing agreements and pursue an irreversible effort towards the two-State solution.

*** UN News Centre, 14 october 2009; www.un.org


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