Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Direktverhandlungen in Sicht

Palästinenser sehen derzeit noch zu große Differenzen mit Israel / EU drängt zu Gesprächen

Im Streit um direkte Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zeichnet sich weiterhin keine rasche Lösung ab.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der US-Nahost-Vermittler George Mitchell bemühten sich in Kairo vergeblich um die Unterstützung Ägyptens und der Arabischen Liga. Nach den Worten des ägyptischen Außenministers Ahmed Abul Gheit ist vor direkten Friedensgesprächen noch mehr Arbeit notwendig, um die Differenzen zwischen Israel und den Palästinensern zu überbrücken.

Dagegen forderte Israels Außenminister Avigdor Lieberman die Palästinenser erneut auf, direkte Gespräche ohne Vorbedingungen zu beginnen. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton plädierte während einer Pressekonferenz in Jerusalem für den Beginn »umfassender Gespräche« noch im August. »Es ist Zeit, das so schnell wie möglich zu erreichen.«

Die EU-Chefdiplomatin verwies dabei auf bevorstehende Ereignisse im September. Dann läuft eine vier Monate lange Frist aus, die sich die Palästinenser und die Arabische Liga für indirekte Verhandlungen mit Hilfe des US-Vermittlers gesetzt haben. Außerdem endet am 26. September ein befristeter Baustopp Israels im Westjordanland. Israels Ministerpräsident Netanjahu ist aber nur zu weiteren Gesten des guten Willens bereit, wenn die Palästinenser in direkte Verhandlungen einwilligen.

In Kairo sprach Präsident Husni Mubarak mit den drei Hauptbeteiligten am Friedensprozess: dem israelischen Regierungschef Netanjahu, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und US-Vermittler Mitchell. Netanjahu wollte nach israelischen Medienberichten Mubarak dazu bewegen, Druck auf die Palästinenserführung auszuüben, damit sie direkten Friedensverhandlungen zustimmt.

Mehrere arabische Politiker und Abbas, der Mubarak ebenfalls traf, hatten sich zuvor bereits gegen »leere direkte Verhandlungen« ausgesprochen. Sie behaupten, die israelische Regierung wolle nur verhandeln, um Zeit für den Bau neuer Siedlungen und Sperranlagen zu gewinnen. Abbas hatte nach einem Gespräch mit Mitchell die Aufnahme direkter Friedensgespräche mit Israel abgelehnt.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, sagte nach seinem Gespräch mit dem US-Nahostbeauftragten, die Araber seien im Gegensatz zur US-Regierung nicht der Meinung, dass alle Probleme in direkten Verhandlungen zu lösen seien. »Es gibt keinen Automatismus für den Übergang von indirekten zu direkten Verhandlungen, wenn es in den Bereichen Sicherheit und Grenzen keine Fortschritte gibt.«

Die Bemühungen um Fortschritte in Nahost wurden durch einen Vorschlag des israelischen Außenministers Lieberman zur Zukunft des Gaza-Streifens beeinträchtigt. Lieberman will Israels Grenze zu dem Palästinensergebiet hermetisch abriegeln. Die Verantwortung für den übervölkerten Landstrich könnten dann die im Gaza-Streifen herrschende Hamas-Organisation, das Nachbarland Ägypten sowie die internationale Gemeinschaft übernehmen. Mubarak und Abbas reagierten verärgert. Sowohl die Hamas als auch die moderate Palästinenserführung lehnten den Vorschlag umgehend ab. Ashton wies die Idee ebenfalls zurück. Die EU halte an einer Zwei-Staaten-Lösung fest und der Gaza-Streifen sollte ein Teil davon sein, sagte sie.

Die EU-Chefdiplomatin will nach eigenen Worten das Leben der 1,5 Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen verbessern. Es reiche nicht, nur den Transport von Hilfsgütern in das Palästinensergebiet zuzulassen, sagte sie. »Wir wollen, dass die Menschen die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen und dass Waren nicht nur nach Gaza hereinkommen, sondern Exporte auch aus Gaza herausgehen«, sagte sie.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2010


Leerverhandlungen

Von Roland Etzel **

Auf einmal wird aufs Tempo gedrückt im Nahen Osten. Wiewohl das Thema seinen Stammplatz weit oben auf der Weltagenda der ungelösten Probleme nie verloren hatte - diplomatische Aktivitäten dazu waren in diesem Jahr fast gänzlich verkümmert. Zu sicher schien der Misserfolg: angesichts einer israelischen Regierung, die glaubt, auf Grund ihrer erdrückenden militärischen Überlegenheit keinerlei Zugeständnisse mehr nötig zu haben; einer palästinensischen Bewegung, die innerlich tief gespalten und so handlungsschwach ist wie nie in ihrer 40-jährigen Existenz; eines US-Präsidenten, dessen nahöstliche Friedensvisionen bei der Kollision mit den realen Kräfteverhältnissen - einschließlich derer in seiner eigenen Partei - wie Seifenblasen zerplatzten; einem sogenannten Nahostquartett, in dem Russland nur als Fehlfarbe besetzt ist; eines Quartettsonderbeauftragten Blair, der nie in Gaza war ...

Doch plötzlich wird wieder eifrig konferiert. Netanjahu in Kairo, Ashton in Gaza, Mitchell in Ramallah. Die Voraussetzungen sind zwar unverändert, doch wird jetzt von Zeitdruck geredet. Die EU-Außenbeauftragte Ashton drängt die Palästinenser zum Beispiel deshalb zur Eile, weil Ende September Netanjahus selbsterklärtes Siedlungsbau-Moratorium ausläuft. Warum gilt der Druck nicht Israel, den Baustopp wenigstens zu verlängern? Mit der Akzeptanz dieses Datums verleiht Ashton den israelischen Landbesetzungen im Nachhinein sogar noch Legitimität.

Noch weigert sich Abbas - wie er sagt -, »leere Verhandlungen« mit Netanjahu zu führen. Doch wie lange? Den Palästinensern fehlt es an nennenswerter Rückendeckung aus dem Ausland. Die gibt es, anders als in der Vergangenheit, entgegen allen wortreichen Bekundungen weder aus Kairo noch aus Riad und schon gar nicht aus Moskau.

** Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2010 (Kommentar)


Zurück zur Seite "Naher Osten"

Zurück zur Homepage