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Wasser, Wasser, überall

Von Amira Hass

Inzwischen wissen Clemens Messerschmids Freunde in Ramallah und Jerusalem schon Bescheid, warum er sie mit Blicken durchbohrt, wenn sie das Geschirr unter fließendem Wasser spülen. Sogar wenn er nicht dabei ist, drehen sie den Wasserhahn zu, soviel hat der 43jährige Hydrogeologe schon erreicht.

Messerschmid bestätigt das gut gelaunt. Diese Gegend, so sagt er, ist weit davon entfernt, ein trockenes Land mit dürftigen Wasserreserven zu sein, wie man gemeinhin annimmt. In Berlin und Paris, so bemerkt er, erreicht die jährliche Niederschlagsmenge nicht die von Jerusalem bzw. Ramallah: 550 mm in Berlin im Vergleich zu 564 mm in Jerusalem, basierend auf einem Mittelwert aus 150 Jahren. (Der israelische meterologische Dienst nennt 554 mm.) Paris erreicht einen Durchschnitt von 630 mm, während der Jahresdurchschnitt in Ramallah, aus den Jahren 1975-2004, bei 689,6 mm liegt.

Wenn Palästinenser sagen, es gäbe nicht genügend Wasser im Land, sieht Messerschmid dies als eines von vier Missverständnissen, die er in diesem Zusammenhang auflistet. Wenn Israelis dasselbe sagen, ist es ein zweckgebundener Mythos, einer von fünf israelischen "Wasser-Mythen" auf einer anderen Liste. Er soll die den Palästinensern gegenüber ungerechte Verteilung der Wasserressourcen aufrecht erhalten.

Als er vor elf Jahren nach Israel kam, nahm auch Messerschmid diverse Mythen und Missverständnisse für bare Münze, Untersuchungen und Feldarbeit aber erweiterten sein Verständnis. Vier Jahre lang bohrte er als Mitarbeiter der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit), die sowohl mit der Gemeindeverwaltung Nablus als auch mit der Wasserverwaltung Ramallah zusammen arbeitet, Brunnen. Danach verbrachte er vier Jahre mit angewandter Forschung im Rahmen des britisch-palästinensischen Gemeinschaftsprojekts "Nachhaltiges Management von Grundwasserreservoiren". Jetzt ist er neben der Arbeit an seiner Dissertation mit dem Titel "Die Grundwasserneubildung im westlichen Bergaquifer" als Berater für europäische und palästinensische Entwicklungsorganisationen beschäftigt. Letzte Woche zum Beispiel ging er zum geplanten zentralen Müllabladeplatz für den Kreis Ramallah um dort eine hydro-geologische Einschätzung zur Vermeidung von Grundwasserbelastung vorzubereiten.

"Niemand behauptet, Israel/Palästina wäre eine wasserreiche Region. Aber es ist keine Wüste, wie etwa Jordanien" erklärt Messerschmid. "Wenn es im Nahen und Mittleren Osten Regionen gibt, die genügend Wasser haben, sind es der Libanon, Galiläa, die Westbank und Teile des Jemen. Die meisten bevölkerten Gegenden in Israel haben sub-humides Klima, das schließt den gesamten Norden, den zentralen Küstenstreifen und besonders die Hügellandschaft der Westbank ein. Die trockneren Gegenden im Süden sind von jeher dünner besiedelt."

Wie viel ist "genügend Wasser"?

"Es genügt nicht, die Niederschlagsmenge zu bedenken. Man muss auch wissen, wie und wo die Wasserbestände gespeichert werden. In Israel liegt ausgezeichnetes Wasser unter unseren Füßen, dank dreier Elemente, die zur schnellen Füllung der Aquifere in den Bergen beitragen: Regen beschränkt sich auf die Wintermonate, in denen weniger Wasser verdunstet, die oberflächennahen Gesteine sind verkarstet, und die Bodenvorkommen sind geringmächtig, also dünn. Karstgestein ist wasserlösliches, hochdurchlässiges Gestein, das ein schnelles Durchsickern des Wassers in tiefere Schichten ermöglicht, so dass es sich nicht in Senken ansammelt, sondern in Felsspalten, Rissen und Höhlen, jenseits der Wurzelgrenze von Bäumen und Pflanzen. Im Sommer, wenn man in der Westbank und in Galiläa die kargen steinigen Hänge sieht, gewinnt man leicht den Eindruck, es handle sich hier um ein Dürregebiet. In Wirklichkeit ist dies ein Hinweis auf das genaue Gegenteil. Dem Auge verborgen, sind hier große Mengen Wasser gespeichert."

Wasser aufs Spiel setzen

Der Mythos vom Land ohne viel Wasser führte zum zweiten israelischen Mythos, sagt Messerschmid: dem von häufigen Trockenperioden und regelmäßigen und unumgänglichen Wasserkrisen. Es gibt zwar Schwankungen in der Niederschlagsmenge, es gibt trockene Winter und regenreiche Winter, aber "die regelmäßig alle fünf oder zehn Jahre wiederkehrende Wasserkrise hier ist virtuell, von Menschen selbst gemacht. Israel erlaubt sich eine weitreichende Verschwendung von Wasser und Wasser-Ressourcen, besonders in der Landwirtschaft. Bekanntlich verwendet Israel 60% seines Wassers für die Landwirtschaft, die jedoch lediglich rund zwei Prozent zum Bruttoinlandprodukt beiträgt, was etwa den Kosten von drei Tagen Streik in der Gesamtwirtschaft entspricht. Landwirtschaft in Israel ist vor allem bedeutsam, um den Nationalethos aufrecht zu erhalten. Sie rechnet sich nicht im Hinblick auf die tatsächliche Lage in der Wasserwirtschaft."

Auch die privaten Haushalte in Israel gehen verschwenderisch mit Wasser um, sagt Messerschmid. "Laut WHO benötigt jeder Mensch sicheren Zugang zu täglich 100 Litern sauberem Wasser. In Israel beläuft sich der Durchschnittsverbrauch in Privathaushalten und Institutionen im städtischen Bereich auf 240 bis 280 Liter pro Person, (das sind im Jahr rund 100 m3 pro Person). Diese Zahlen basieren auf einem Übergangs-Master-Plan der Wasserkommission für die Jahre 2002 bis 2010. In deutschen Städten zum Beispiel werden pro Person täglich 136 Liter verbraucht. Vor zwanzig Jahren waren es 145 Liter. Das heißt, in Deutschland hat man gelernt, Wasser zu sparen, aus Rücksicht auf kommende Generationen. Das ist in Israel nicht der Fall. Hier wird nur immer von höherer Quantität, von steigenden Mengen gesprochen; man beklagt die Dürre und sprengt zugleich die städtischen Rasenflächen."

Messerschmid akzeptierte viele Jahre lang den israelischen Mythos, genau wie seine Kollegen den "Wasser-Kreisen" im Ausland, wie er sie nennt. Er änderte seine Meinung, als er bemerkte, wie nach jedem trockenen Winter mehr Grundwasser gepumpt wurde, nur um den verschwenderischen Wasserverbrauch in der Landwirtschaft auf dem selben Niveau zu halten. "Israel betreibt sein Wassermanagement als Glücksspiel. Man geht davon aus, dass im nächsten Winter mehr Regen fällt."

Außerdem wendet Israel nicht die besten Methoden an, um Wasser einzusparen. Bis heute findet man in den Golanhöhen und im Jordangraben Sprinkleranlagen, die mittags an Sommertagen Wasser sprengen, wenn 90% davon verdunsten; in der Küstenebene wird Abwasser verwendet, aber immer noch mit Sprinklern; der niedrige Preis für Wasser zum landwirtschaftlichen Verbrauch verführt zur Verschwendung; große Mengen von städtischen und industriellen Abwässern werden immer noch ins Meer geleitet, was Israel zu einem der größten Verschmutzer im Mittelmeerraum macht. Israel ist stolz auf seine Kläranlagen, liegt aber immer noch weit hinter den meisten westlichen Ländern zurück. In West-Jerusalem wurde die erste Kläranlage erst im März 2001 in Betrieb genommen. Für Ost-Jerusalem ist noch nicht einmal eine in Planung.

Messerschmid steht nicht alleine: Er fand ähnliche Einschätzungen zum Wasserressourcen-Management des Landes in einem Bericht des parlamentarischen Wasser-Komitees unter der Leitung des ehemaligen Abgeordneten David Magen, der der Knesset im Juni 2002 übergeben wurde, und den er fast auswendig kann: "Die Vielzahl der mit dem Thema Wasser beauftragten Ämter, ohne klare Einteilung der Rollen, Kompetenzen und Aufgaben... mit häufigen beträchtlichen Meinungsverschiedenheiten untereinander... führt zu Interessenkonflikten; obwohl diverse Berichte der jeweiligen Beauftragten für die Beurteilung der Staatsgeschäfte [State Comptroller, unabhängiger Richter, der einmal im Jahr einen Bericht zur Beurteilung der administrativen Lage herausgibt] vor Kurzsichtigkeit und Fehlverhalten in der Wasserwirtschaft warnten, blieb dies ohne Konsequenzen... Das hieraus resultierende Versagen ist in erster Linie von Menschen selbst gemacht."

Einerseits, meint Messerschmid, bestätigt der detaillierte Bericht die Darstellung Israels als lebendige Demokratie, in der offen und mutig interne Kritik geleistet wird. Allerdings nur bis man an die Vormachtstellung zionistischer Werte rührt. Man sieht es daran, dass das selbe Komitee im gleichen Atemzug den Vorwurf, die Landwirtschaft "verschwende" Wasser, weit von sich weist.

"Nach Ansicht des Komitees kommt der Landwirtschaft ein politisch-strategisch-zionistischer Wert zu, der über ihren ökonomischen Beitrag hinaus geht", steht im Bericht zu lesen. Und so, beklagt Messerschmid, verwirft es die unmittelbarste und wesentlichste Maßnahme zur Lösung des Problems in Bausch und Bogen. Dabei stellt sich heraus, dass Israel, wo man unentwegt Beschwerden über Wasserkrisen hört, nicht nur Landwirtschaftsprodukte übers Meer exportiert, sondern auch Wasser. Mit seinen Schnittblumen führt es Wasser aus nach Holland und in die Schweiz aus.

Wo ist die Wüste?

Von hier aus ist es nicht weit bis zum nächsten Mythos, in dem "die Wüste zum blühen gebracht wurde". Messerschmid räumt ein, dass dieser Mythos nicht mehr so im Vordergrund steht wie zu früheren Zeiten. "Israel beteiligt sich am weltweiten Wasser-Diskurs, der sich nach all der Aufregung um die 'blaue' hydrologische Revolution, der Erschließung von Ressourcen und Zugang zum Grundwasser, und der Unabhängigkeit von Niederschlägen, weiter entwickelt hat zu einer Diskussion um das Überpumpen und die Verschmutzung der Ressourcen." Der Mythos wird aber immer noch aufrecht erhalten und aus ideologischen Gründen weiter genützt. Messerschmid meint, in internationalen Wasser-Kreisen gäbe es noch immer Leute, die ihm anhingen.

Und die Fakten? "Der größte Teil der momentan landwirtschaftlich genutzten Flächen in Israel wurde lange vor 1948 von den Palästinensern kultiviert. Weniger intensiv zwar, und Brunnen wurden nur dort gebohrt, wo die Briten Genehmigungen erteilten. Aber die Palästinenser bestellten jedes Stück Land, das sich ihnen bot, und sie bewahrten dabei die antike, umweltfreundliche Methode, der Hangterrassierung – ein wichtiger Faktor für die Grundwasserabreicherung und zur Abflussverhütung. Die Flächen, auf die Israel seine Landwirtschaft ausweitete, die vor 1948 nicht genutzt worden waren, sind verschwindend klein: Sie umfassen die Gegend zwischen Kiryat Gat und Beer Sheva, also das Gebiet mit einem durchschnittlichen Niederschlag von 250 mm bis 450 mm pro Jahr.

"Generationen von Studenten und Professoren kommen nach Israel und werden nach Sde Boker geführt, um ihnen das Paradebeispiel für fortschrittlich moderne Anbaumethoden zu präsentieren. Und sie sind dann immer davon beeindruckt, wie Israel, angepasst an lokale Bedingungen und mit einem begrenzten Wasserangebot, dem Boden Kaktusfrüchte und Getreide abringt. Dies ist jedoch die Ausnahme. Israels übliche Anbauweise ist nicht fortschrittlich und schonend, sondern verschwenderisch und ohne Rücksicht auf die Umwelt. Später fährt man die Touristen zum Kibbuz Yodvatah mit seinen üppigen Grünflächen, wo sie staunen dürfen, wie die Wüste zum Blühen gebracht wurde. Dieser Kibbuz ist ein typisches Beispiel für Wasserverschwendung; wenn man aber die geographische Lage in Betracht zieht, sieht man, dass es sich um eine Ausnahme handelt, die die Regel bestätigt: Der größte Teil der Wüste Negev ist einfach so geblieben, wie er war."

Der abgedroschene koloniale Mythos von der "Wüste, die zum Blühen gebracht wurde", der das Land als nutzlos und unfruchtbar für seine ursprüngliche Bevölkerung darstellt, bis der Weiße Mann kommt und es "erlöst", ärgert Messerschmid besonders. Er führt auf geradem Wege zum nächsten Mythos auf seiner Liste: Was die Wasserwirtschaft betrifft, "existieren die Palästinenser nicht", sagt er. "All die großen Errungenschaften Israels im Wassersektor und in der landwirtschaftlichen Entwicklung lassen im Rahmen des israelischen Diskurses eine schlichte Tatsache vollkommen außer Acht: Sie basieren auf Wasser und Land, das den Palästinensern 1948 genommen wurde, und das diese Palästinenser nutzten. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Damit Israel all das Wasser verbrauchen kann, das es verbraucht, muss es dies von seinen Nachbarn und den Menschen unter seiner Besatzung fernhalten. – dies ist auf den Golanhöhen, im Libanon, in Jordanien und den besetzten Gebieten deutlich sichtbar. Israel nutzt Wasser aus den Golanhöhen, Jordanien ist der Verlierer in den Abkommen über die Nutzung des Yarmouk-Wassers und dem Libanon wurde nicht gestattet, einen angemessenen Teil seines Wassers aus dem Hatsbani zu nutzen."

Auch in Deutschland kommen nur 60% der Wasservorkommen aus Niederschlägen innerhalb des Landes, der Rest kommt aus dem Ausland. Was ist der Unterschied?

"Wo immer Israel Unterlieger in einem Flusssystem ist, stellt es mit Hilfe seiner Militärmacht sicher, dass das meiste Wasser im Fluss bis nach Israel fließt. Es nimmt die Golanhöhen ein, droht mit Krieg, und in der Westbank verbietet es per Militärdekret Brunnenbohrungen. Was hier stattfindet, ist keine Wasser-Kooperation, sondern das Diktat einer ungleichen Verteilung. Stellen Sie sich vor, Holland verböte Deutschland, Wasser aus dem Rhein zu nutzen."

Und während der allgemeine israelische Diskurs die vergangene Existenz palästinensischer Landwirtschaft in Israel ignoriert, verhält sich Israel beim Wasser in der Westbank, als gäbe es "keine Palästinenser", behauptet Messerschmid. "Die gewaltigste Tatsache in dieser Hinsicht ist die Anzahl der seit 1967 unter palästinensischer Kontrolle neugebohrten Brunnen im westlichen Aquifer – sie beläuft sich auf Null." Israel brachte den Prozess zur Grundwassererschließung und Brunnenbohrung, den Jordanien vor 1967 begonnen hatte, zum Stillstand. In der Folge paukte es das Mantra vom "Erhalt des Status Quo im Verbrauch" durch, wodurch die ungerechte Aufteilung der Wasser-Ressourcen zwischen Israelis und Palästinensern zementiert wurde, und welche die Oslo-Abkommen fast unberührt ließen.

Anders als Israel haben Palästinenser in der Westbank keine anderen Vorkommen, aus denen sie schöpfen können "Der Jordan ist ein Fluss der Vergangenheit, er ist nur noch der Mythos eines Flusses." Es bleibt nichts mehr von ihm übrig, seitdem Israel ihn im See Genezareth so umfassend abpumpt. Die Oslo-Abkommen erkannten einen zusätzlichen palästinensischen Wasserbedarf (zwischen 70 und 80 Millionen m3 pro Jahr) an, einen Teil davon würde Israel ihnen verkaufen, der Rest sollte durch palästinensische Erschließung von Wasservorkommen im beidseitigen Einvernehmen gesichert werden. Damit ist der östliche Aquifer gemeint. Heute, im Jahre 13 nach Oslo II, liefert die zusätzliche Brunnenförderung in diesem Aquifer, welcher weniger ergiebig ist als ursprünglich angenommen, die unzureichende Menge von 12,3 Millionen Kubikmetern jährlich. Und noch immer ist es den Palästinensern verwehrt, Brunnen zu bohren, mit denen sie das Wasser aus dem westlichen Berg-Aquifer fördern könnten.

Die andere Seite des Zauns

Die fünf israelischen Mythen und die vier palästinensischen Missverständnisse sind durch eine einfache Tatsache verbunden: Während Israelis durchschnittlich 240-280 Liter Wasser täglich verbrauchen, sind es bei Palästinensern in der Westbank 60 Liter, und dies schließt Wasser für den industriellen Gebrauch sowie Leitungsverluste mit ein. Es gibt Orte, an denen mehr Wasser verbraucht wird, wie Ramallah, wo man auf 92 Liter pro Person kommt. Aber in der Gegend von Hebron reicht die Versorgung (im Sommer) nur für durchschnittlich täglich 15 Liter pro Person. "In Dahariya", erzählt Messerschmid, "haben alle, die ich im November 2006 dazu befragte, sich an den 16.Juli als den Tag erinnert, an dem zum letzten Mal Wasser aus den Wasserhähnen kam." Deshalb ist Messerschmid nicht überrascht, wenn Palästinenser dem israelischen Mythos vom Land mit zu wenig Wasser Glauben schenken.

Dieser Fehlglaube erklärt auch das zweite palästinensische Missverständnis: Viele, darunter Aktivisten gegen die Mauer und Leute aus professionellen Wasser-Kreisen, glauben, dass der Verlauf der Mauer (bzw. des Zauns) von Israel so geplant wurde, dass es sich palästinensische Brunnen anzueignen oder stehlen könne. Das ist nicht der Fall, sagt Messerschmid. "Die palästinensischen Brunnen westlich der Trennmauer und auf einem Sicherheitsstreifen östlich davon produzieren 12 Millionen Kubikmeter jährlich, laut Oslo-Abkommen mehr als die Hälfte der für die Palästinenser zugelassenen Pump-Menge an Wasser aus dem westlichen Aquifer (21,9 Millionen m3sind es insgesamt). Diese Brunnen wurden vor 1967 gebohrt. Manche wurden im Laufe der Bauarbeiten zur Mauer zerstört, andere sind nicht mehr zugänglich. Es gibt Dörfer, die gegenwärtig noch Zugang zu ihren Brunnen und ihrem Wasser haben, da aber Willkür herrscht und niemand weiß, was morgen kommt, kann sich die Situation schnell ändern. Zur Zeit führen aber die meisten Brunnen noch Wasser. "

Vom westlichen Aquifer, dem wasserreichsten der drei gemeinsamen israelisch – palästinensischen Grundwasserbecken, erlaubt das Oslo-Abkommen den Israelis, jährlich 340 Millionen m3 zu pumpen. Tatsächlich nutzt aber Israel 388 Millionen m3. Im Jahr 2000 pumpte Israel 580 Millionen m3,, also 240 Millionen m3 mehr als ihm im Oslo-Abkommen zugestanden wird. Der gesamte israelische Wasserverbrauch, aus allen ihm zur Verfügung stehenden Vorkommen, beläuft sich auf jährlich 2100 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Den Palästinensern stehen jährlich 190 Millionen Kubikmeter zur Verfügung; davon werden 42-50 Millionen m3 von der staatlichen israelischen Wasserfirma zugekauft.

Was bedeuten also jene 12 Millionen Kubikmeter verlorenen Wassers? Für die Palästinenser eine ganze Menge, so gut wie nichts für die Israelis. "Wozu braucht Israel diese armseligen Brunnen?", fragt Messerschmid rhetorisch. "Die Brunnen, die Israel westlich der Grünen Linie gebohrt hat, um das Grundwasser des westlichen Berg-Aquifers zu erreichen, sind viel leichter zu bepumpen, Und sie sind produktiver, billiger und effizienter als die palästinensischen Brunnen im selben Aquifer. Das Wasser steht dort in Israel unter hohem Druck und kommt von selbst fast an die Oberfläche. Deshalb hat Israel nur drei Brunnen für israelischen Verbrauch innerhalb der Westbank gebohrt."

Trotzdem steckt in all den Missverständnissen ein Körnchen Wahrheit: Israel handelt so, um die Palästinenser ihrer Wasservorräte zu berauben. Das Gebiet zwischen der Trennmauer und der Grünen Linie ist das einzige, in dem ein Potential für produktive Bohrungen im westlichen Aquifer innerhalb der Westbank besteht. Seit 1967 wurde eine Realisierung dieses Potentials durch Militärdekrete und Präsenz der israelischen Armee unmöglich gemacht. Der Zaun bzw. die Mauer, der de facto das Gebiet unter israelische Annektion stellt, und dessen Verlauf immer mehr als zukünftige Grenze angesehen wird, untergräbt von Anfang an jede Möglichkeit für die Palästinenser, dieses Schlüsselpotiential für einen unabhängigen Zugang zu Wasser zu nutzen, und so das Wasser im gemeinsamen Becken gerechter zu teilen.

Also ist es eher eine ungenaue Formulierung als ein Missverständnis seitens der Palästinenser?

"Es ist mehr als nur ungenau formuliert. Es besteht ein Unterschied, ob ich sage, sie haben das Haus abgerissen, oder sie haben das Land genommen, damit das Haus nicht gebaut werden kann. Israel hat kein Interesse, in diesem Gebiet zu bohren. Wenn es Verhandlungen gibt, wenn das jemals passiert, wird es wichtig sein, den Unterschied zu kennen zwischen der Behauptung: Sie stehlen jetzt Wasser, und der Schlussfolgerung, dass Israel die palästinensische Entwicklung zur Nutzung einer gemeinsamen Ressource unterbindet – einer Ressource, die für die Palästinenser das primäre Vorkommen darstellt, für die Israelis aber eine von vielen ist. Für die Palästinenser ist es eine Ironie, dass , obwohl dieses Reservoir sich in der Westbank wiederauffüllt, sein Hauptabschluss und seine Entnahmen auf israelisches Territorium zu fallen kommen. Israels politische und militärische Vorherrschaft befähigt es, den Löwenanteil dieses Aquifers zu nutzen."

Wasser für die Siedlungen

Das nächste Missverständnis hat mit dem Wasserverbrauch der Siedlungen zu tun. Allgemein wird von Palästinensern behauptet, "Die Siedler stehlen uns das ganze Wasser". Das ist nicht korrekt, sagt Messerschmid. Als er sich so vor einem palästinensischen Publikum äußerte, wurde Unmut laut, aber er bestand darauf, dass seine Zuhörer sich an die Fakten halten. "Die Bevölkerung in den Siedlungen, auch wenn sie seit Oslo beträchtlich gewachsen ist, macht bezüglich ihres Wasserverbrauchs noch immer relativ wenig aus. Und die meisten Siedlungen beziehen ihr Wasser nicht aus den Brunnen innerhalb der Westbank. "

Messerschmid nimmt auch an, die Zahlen vom exzessiven Wasserverbrauch in den Siedlungen (inklusive Swimmingpools) seien übertrieben. Möglicherweise wird in manchen Siedlungen für den häuslichen Gebrauch bestimmtes Wasser in der Landwirtschaft benutzt, besonders im Jordangraben, meint er. Aber in vielen anderen Siedlungen haben die Bewohner keinen besonders hohen Lebensstandard, und in den eher städtischen Siedlungen hält sich der Verbrauch in den üblichen Grenzen.

Das Gebiet, wo sich die Behauptung, "die Siedlungen stehlen unser Wasser", als richtig erweist, ist der Jordangraben. Der östliche Aquifer füllt sich fast ausschließlich mit Regen, der innerhalb der Westbank fällt. Nur ein kleiner Teil dieses Wassers fließt in die Gebiete auf der israelischen Seite der Grünen Linie, bei Ein Gedi und im nördlichen Jordangraben. Aber hier im Jordangraben hat Israel über die Jahre Brunnen für den israelischen Gebrauch gebohrt – unter Verletzung internationalen Rechts. Israel pumpt jährlich 44,1 m3 Wasser aus der Westbank, 33,9 m3 davon im Jordantal, dem ergiebigsten Teil des östlichen Aquifers, zu dem Israel den Palästinensern aber den Zugang verwehrt.

Ein weiteres palästinensisches Missverständnis hat mit dem Wasser zu tun, das Israel über die Wassergesellschaft Mekorot verkauft. Ein weit verbreiteter Irrtum besagt, Israel profitiere vom Wasserverkauf an die Palästinenser. Israel verkauft den Palästinensern zwar Wasser, aber zum selben Rohwasserpreis, den es israelischen Gemeinden abverlangt: 2,294 NIS pro Kubikmeter (ein Kubikmeter umfasst 1000 Liter). Natürlich stimmt es, dass die Palästinenser wegen der ungerechten Verteilung der Wasser-Ressourcen und weil etwa 40 % der Dörfer in der Westbank (in denen ein Fünftel der palästinensischen Bevölkerung lebt) nicht an die Wasserversorgung angeschlossen sind, die fehlende Wassermenge von Tankwagen kaufen muss. Das ist erstens teurer, und wird zweitens noch teurer, weil viele Checkpoints und Blockaden für Palästinenser auf den Hauptstraßen überwunden werden müssen. (Im Gazastreifen, dessen Situation in diesem Artikel nicht genügend gewürdigt werden kann, muss sehr teures, gereinigtes Wasser gekauft werden, da das Grundwasser chronisch verschmutzt und überpumpt wird.)

"Und somit haben wir hier die selbe Situation wie in vielen anderen Ländern", sagt Messerschmid, "Die Armen zahlen einen sehr viel höheren Preis für Wasser, aber diese Summen gehen auch an die Fahrer, Benzin und verschwendete Zeit dabei, nicht nur an Israel."

Gibt es eine Lösung ?

"Sicher: Eine gerechte Verteilung des Wassers und eine Änderung der Verhaltensmuster im israelischen Wasserverbrauch. In Israel wird oft die Meerwasserentsalzung als einzig wirksame Lösung angepriesen, aber das ist nur ein Weg, die Diskussion über Diskriminierung und anhaltende Verschwendung zu meiden. Entsalztes Meerwasser ist sehr teuer, und wie wir jetzt schon sehen, stärkt es die Tendenz zur Wasserverschwendung in der Landwirtschaft. Als Hydrogeologe sehe ich die Meerwasserentsalzung hier und anderswo in der Welt als Absurdität an. Es ist verrückt, fossile Ressourcen, die sich über Millionen von Jahren gebildet haben zu verschwenden, nur um das mobilste Element der Welt bereitzustellen – das Wasser.

"Aus ökologischer Sicht ist es widersinnig, teure nicht erneuerbare Ressourcen wie Öl, Kohle oder Gas, die für hunderte Millionen Jahre tief in der Erde verborgen waren, aufzuwenden, nur um eine Ressource zu gewinnen, die sich in andauernder Bewegung befindet: Regen, Sickerwasser, Grundwasser, Brunnen, Verdunstung, und so weiter und so fort – eine Ressource, die sich ununterbrochen bewegt, die Erneuerung an sich."

Übersetzt von: Messerschmid & Weichenhan-Mer

07.03.2008 — Ha'aretz



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