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Arabische Eingreiftruppe - Instrument auch gegen Oppositionskräfte im Innern?

Ein Beitrag von Dirk Eckert in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderator):
Syrien, Irak und Jemen. Konflikte gibt es im Nahen Osten genug. Und es werden immer mehr. Lösungen sind allerdings nicht in Sicht. Unter Präsident Obama haben die USA ihr Engagement in der Region weitgehend zurückgefahren. Die arabischen Regierungen setzen daher auf eigene Initiativen. Hierzu gehört auch die Ankündigung, eine arabische Eingreiftruppe aufzustellen. Ob das mehr als nur Rhetorik ist, das weiß Dirk Eckert:


Manuskript Dirk Eckert

Mehr als fünf Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings hat sich im Nahen Osten Ernüchterung breitgemacht: In Ägypten ist das Militär wieder an die Macht zurückgekehrt, Libyen gleitet allmählich ab ins Chaos. Und in großen Teilen von Syrien hat die Terrororganisation Islamischer Staat die Macht ergriffen. Von dort aus haben die Dschihadisten ihren Gottesstaat bis weit in den Irak hinein ausgedehnt. Statt Freiheit und Demokratie herrschen jetzt vielerorts im Nahen Osten Fundamentalismus und Krieg.

Angesichts dieser Lage hat die Arabische Liga Ende März auf ihrem Gipfel im ägyptischen Sharm-el-Sheikh beschlossen, eine Eingreiftruppe aufzustellen. Dieses neue Instrument soll Militärinterventionen – wie es heißt - „zum Schutz der nationalen Sicherheit der Mitgliedsstaaten“ ermöglichen. Geplant ist, dass die Eingreiftruppe über Kampfflugzeuge verfügt, außerdem über 3.000 bis 5.000 Marinesoldaten und 35.000 Mann starke Landstreitkräfte. Die Soldaten sollen aus Ägypten, Marokko, Saudi-Arabien, Sudan und Jordanien kommen. Finanziert werden soll die Truppe von den ölreichen Golfstaaten.

Hochrangige Militärs der Arabischen Liga einigten sich am 22. April darauf, dass ein Komitee alle nötigen Details erarbeiten soll. Denn es gibt viele offene Fragen. Wer hat den Oberbefehl über die Truppe? Müssen gemeinsame Einsatzgrundsätze ausgearbeitet werden? Zu klären sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Einsatz. Wann und unter welchen Bedingungen soll der Verband eingesetzt werden? Ist ein UN-Mandat notwendig?

Mit dem angekündigten Eingreifverband zieht die Arabische Liga mit dem Golfkooperationsrat gleich. Die 1981 gegründete Organisation arbeitet schon seit Jahren auf militärischem Gebiet zusammen. Mit den sogenannten Peninsula Shield Forces gibt es auch eine eigene Truppe. Ursprünglich mit 10.000 Soldaten geplant, haben die Peninsula Shield Forces mittlerweile 40.000 Soldaten und einen permanenten Stützpunkt in Hafar al-Batin in Saudi Arabien. Allerdings sind im Golfkooperationsrat nur sechs Staaten der arabischen Halbinsel Mitglied, nämlich neben Saudi-Arabien Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate. Der Arabischen Liga gehören deutlich mehr Staaten an, vor allem ist mit Ägypten das bevölkerungsreichste Land der Region dabei. Damit habe die Arabische Liga ganz andere Möglichkeiten, meint Christian Koch, Direktor der Gulf Research Center Foundation in Genf:

O-Ton Koch
„Der Golfkooperationsrat selbst hat ja gar nicht die Fähigkeiten, eine breitere militärische Institution, eine größere arabische Armee aufzustellen. Saudi-Arabien und die kleineren Golfstaaten haben natürlich die finanziellen Mittel, aber ganz bestimmt nicht das Personal. Da ist man dann schon auf Länder wie Ägypten, Marokko, Jordanien usw. angewiesen, um dann auch der ganzen Armee eine bestimmte Substanz zu verleihen.“

Doch die Arabische Liga ist sich längst nicht so einig, wie es nach dem Treffen in Sharm-el-Sheikh den Anschein hatte. Politische Einigkeit ist aber die Voraussetzung für den Einsatz einer gemeinsamen Eingreiftruppe. Beispiel Libyen: Das benachbarte Ägypten fordert eine arabische Militärintervention, seit im Februar Dschihadisten dort koptische Christen aus Ägypten hingerichtet haben. Doch Katar lehnt ein Eingreifen in Libyen ab. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind generell schwierig, denn Katar hatte die ägyptischen Muslimbrüder unterstützt, die im Arabischen Frühling an die Macht gekommen waren.

Der amtierende ägyptische Präsident Al-Sisi wiederum hatte die Muslimbruderschaft gestürzt, der damalige Präsident Mohammed Mursi wurde verhaftet und ist kürzlich zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. In einem anderen Verfahren wurde jetzt sogar ein Todesurteil gesprochen. Von einer „Streitmacht für Streithähne“ sprach deshalb die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit Blick auf die geplante Eingreiftruppe. Unterschiedliche Interessen gibt es auch beim Umgang mit der Krise im Jemen. Dort intervenierte das sunnitische Saudi-Arabien gegen die schiitischen Houthi-Rebellen, die vom ebenfalls schiitischen Iran unterstützt werden. Vorbehalte dagegen gibt es im Irak und im Libanon, denn beide haben starke Verbindungen zum Iran, der nicht Mitglied der Liga ist. Saudi-Arabien geht es mit der geplanten Eingreiftruppe vor allem darum, eine Allianz gegen den Iran zu schmieden, meint der Nahostexperte Jochen Hippler:

O-Ton Hippler
„Aus der saudischen Perspektive geht es um die Hegemonie, die Vorherrschaft in der Region. Und der Hauptgegner ist der Iran. Und da hat Saudi-Arabien das Gefühl, in die Defensive gebracht zu werden. Der Iran ist im Irak sehr stark aufgrund des US-Krieges. Der Iran ist im Libanon durch die Hisbollah stark. Und jetzt hat man eben Sorge, dass im Jemen an der Südflanke Saudi-Arabiens durch die schiitischen Houthi-Rebellen der Iran nochmal eine starke Position hat. Und dem möchte man vor allem entgegentreten. Alles andere scheint mir für die saudische Regierung in zweiter Linie wichtig zu sein.“

Generell vermuten Experten, dass die geplante Interventionstruppe der Arabischen Liga nur dann zum Einsatz kommen kann, wenn Länder wie Ägypten oder Saudi-Arabien als Führungsnationen auftreten. Einen Einsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat in Syrien und im Irak hält der Nahostexperte Christian Koch für möglich. Zugleich warnt er aber vor zu hohen Erwartungen:

O-Ton Koch
„Viele arabische Staaten sind jetzt schon Teil der Strategie der Koalition gegen den IS. Da zu sagen, jetzt sind es nicht nur einzelne arabische Staaten, sondern es ist eine arabische Eingreiftruppe, das ist dann vielleicht im Endeffekt nur eine Wortspielerei, um zu zeigen, dass man ein bisschen mehr aktiv ist.“

Christian Koch hält es für denkbar, dass eine arabische Eingreiftruppe nicht nur gegen Terrorgruppen und äußere Bedrohungen eingesetzt werden könnte. Denn für viele Nahost-Regierungen stellen auch freiheitliche und demokratische Gruppierungen, wie sie zu Beginn des Arabischen Frühlings entstanden waren, eine Bedrohung dar. Denn die meisten Mitglieder der Arabischen Liga im Nahen Osten sind keine Demokratien. Wofür eine Eingreiftruppe genutzt werden kann, zeigt das Beispiel Bahrain. 2011 schickte der Golfkooperationsrat mehrere tausend Soldaten aus Saudi-Arabien dorthin, weil die schiitische Opposition gegen den König aufbegehrte. Die Soldaten schlugen die Proteste gewaltsam nieder. Ein langjähriger Beobachter nannte den geplanten Eingreifverband daher eine „Truppe zum Schutz von Despoten“. Doch Bahrain ist ein kleines Land, ein ähnliches Vorgehen dürfte andernorts scheitern, sagt der Nahostexperte Hippler:

O-Ton Hippler
„Da würde ich eben sagen, dass der saudische Versuch, den arabischen Frühling in Bahrain niederzuwerfen, der ja geklappt hat, dass man den nicht überall wiederholen kann. Das ist in Syrien nicht denkbar, das ist im Irak nicht denkbar, das ist im Jemen nicht denkbar. Da wird man sich sehr stark überheben.“

Doch angesichts des IS-Terrors finden die arabischen Planungen zumindest in den USA Zustimmung. Die US-Regierung hat jedenfalls die Gründung der Eingreiftruppe begrüßt, indem sie umgehend das Waffenembargo gegen Ägypten aufgehoben hat.

* Aus: Aus: NDR Info "Streitkräfte und Strategien", 15. Mai 2015


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