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Die SWAPO hat ihre Ideale aufgegeben

Anton von Wietersheim zu den deutsch-namibischen Beziehungen und zur Lage in dem afrikanischen Land *


Anton von Wietersheim ist Abgeordneter der oppositionellen namibischen Bewegung für Demokratie und Fortschritt (RDP) im Parlament Namibias. Rolf-Henning Hintze sprach mit ihm über die Nachwirkungen des deutschen Völkermordes an den Herero und Nama sowie über aktuelle Probleme in seiner Heimat.


nd: Namibias Nationalversammlung nahm 2006 eine Erklärung an, in der sie eine Entschuldigung der Bundesregierung für den Völkermord an den Herero und Nama während der deutschen Kolonialzeit forderte. Ihre Partei war damals noch nicht im Parlament. Unterstützen Sie die Erklärung?

von Wietersheim: Die RDP hat sich diese Position zu eigen gemacht hat.

Aber Ihre Partei hat mit dem Begriff »Völkermord« in der erwähnten Resolution ihre Schwierigkeiten?

Wir haben mit dem Begriff Völkermord keine Schwierigkeiten. Ich denke aber, dass dieser Begriff einem Entgegenkommen der Bundesregierung im Weg steht.

Belastet die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit diesem Problem umgeht, die deutsch-namibischen Beziehungen?

Diese Beziehungen sind schwer belastet worden, als eine Abordnung aus Namibia Ende vergangenen Jahres die menschlichen Überreste abholte, die man in der Berliner Charité gefunden hatte. (Bei der Übergabe von 20 Schädeln getöteter Herero und Nama kam es zum Eklat. Staatsministerin Cornelia Pieper brüskierte die Namibier, indem sie die Übergabezeremonie vorzeitig verließ - d. Red.)

Ich denke, gerade wegen Fragen des Wortlauts hatte die Bundesregierung Probleme mit der ganzen Entwicklung. Aber indem die Bundesregierung den Leiter der Afrika-Abteilung des Auswärtigen Amtes nach Namibia entsandte, um die Wogen zu glätten, hat sie Zeichen gegeben, dass es ein Entgegenkommen geben könnte, wenn man die Wortwahl in den Verhandlungen berücksichtigt.

Teilen Sie die Ansicht, dass die Schwere der Kolonialverbrechen eine deutsche Entschuldigung auf höchster Ebene, durch die Bundeskanzlerin oder den Bundespräsidenten, erforderlich macht?

Ich denke, dass eine Entschuldigung auf dieser Ebene ein sehr deutliches Zeichen setzen würde.

Zur Situation in Namibia: Ihre Partei, die RDP, hat nach der Wahl mehrere Monate lang ihre Parlamentssitze aus Protest gegen Unregelmäßigkeiten nicht eingenommen. Was hatten Sie zu bemängeln?

Es war so, dass wir schweren Wahlbetrug vermutet haben und sehr schnell feststellen konnten, dass dies Tatsache war. Daraufhin haben wir eine Klage eingereicht. Die wurde zunächst abgewiesen. Das neue Parlament trat ohne Berücksichtigung der Tatsache zusammen, dass wir in Berufung gegangen waren. Das haben wir nicht mitgemacht. Als das nächsthöhere Gericht in der Berufungsverhandlung das erste Gericht beauftragte, sich noch einmal unserer Wahlklage anzunehmen, haben wir etwa fünfeinhalb Monate nach Parlamentseröffnung doch unsere Sitze eingenommen. Weil wir das Gefühl hatten, das Rechtssystem steht hinter uns, und weil wir auch die Verantwortung fühlten, dass wir ja gewählte Vertreter waren und uns an der Parlamentsarbeit beteiligen sollten.

Sie werfen der Regierungspartei SWAPO, die seit 22 Jahren an der Macht ist, gravierende Versäumnisse vor.

Es gibt da einen guten Maßstab, das sind die Millennium-Entwicklungsziele. Das sind beispielsweise Bildung, Gesundheit, Hausbau. In diesen Bereichen ist Namibia nicht nur nicht vorangekommen, sondern zum Teil sogar zurückgefallen.

Der Bildungsbereich hat seit der Unabhängigkeitserklärung eigentlich ständig schlechtere Ergebnisse vorzuweisen, ständig mehr Schüler, die keinen Abschluss machen. Im Gesundheitsbereich ist die Zunahme der Müttersterblichkeit und der Kindersterblichkeit extrem hoch. Im Häuserbau haben wir heute einen Mangel von 90 000 Unterkünften. Solche Faktoren deuten darauf hin, dass die Regierungsführung der SWAPO sich nicht auf die Notwendigkeiten unseres Landes einstellt.

Sie selbst gehörten früher der SWAPO an, waren sogar Minister in der Regierung. Hat sich die Partei von ihren ursprünglichen Zielen entfernt?

Von den Idealen und Zielen, die die Partei damals nach Erringung der Unabhängigkeit hatte und die sie erreichen wollte, hat sie sich in der Tat entfernt. Die Elite der Partei, die Regierungsmitglieder, haben alle einen Lebensstil, der sie von den Realitäten entfernt. Somit handelt es sich nicht nur um eine reine Verwaltungsschwäche, obwohl eine solche hinzukommt.

* Aus: neues deutschland, 19. März 2012


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