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Auftakt zum Dialog mit den Maoisten

Nepals neue Regierung gibt sich zuversichtlich

Von Hilmar König, Delhi*

Nepals Regierung hat ihr Team für Verhandlungen mit den maoistischen Rebellen gebildet. Nie zuvor waren die Bedingungen für einen konstruktiven Dialog so gut wie nach der »revolutionären« Proklamation des Parlaments vom 18. Mai.


Zu den Vorbereitungen auf die Verhandlungen gehört seitens der Regierung von Nepal, sich in der nun herrschenden Sieben-Parteien-Allianz auf Verhaltensregeln für den Dialog mit den Maoisten zu einigen. Diese haben einen entsprechenden Kodex bereits vorgelegt. Am 2. Juni wollen sie darüber auf einem Massenmeeting in Katmandu informieren. »Wir kommen zu den Gesprächen mit der Botschaft, dass wir ein friedliches und progressives Nepal aufbauen können«, kündigte Krishna Bahadur Mahara, ein Sprecher der KP Nepals (Maoistisch), an.

Der Vizepräsident des Parlaments, Chitralekha Yadav, gab sich ebenfalls zuversichtlich. »Diesmal werden die Friedensgespräche nicht scheitern«, versicherte er. 2001 und 2003 waren unter ganz anderen politischen Verhältnissen die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen worden. Zum gleichen Thema äußerte Arjun Narsingh vom Nepali Congress, dem auch Premier Girija Prasad Koirala angehört, Ziel des Dialogs sei zu erreichen, »dass das Volk nie wieder gegen ein autokratisches System kämpfen muss. Die despotische Herrschaft soll ein für allemal beseitigt sein.«

Die Vorzeichen für das erste Treffen und die Absichtserklärungen sind positiv. Dennoch kommen die Rebellen nicht ohne Vorbehalte an den Verhandlungstisch. Sie verlangen, dass vor einem Treffen ihre noch unter dem vorigen Regime eingekerkerten Aktivisten freigelassen werden, über das Schicksal von 1200 Vermissten Auskunft gegeben und ein Gesetz annulliert wird, das erlaubt, »Terrorverdächtige« ein Jahr lang ohne Anklage in U-Haft gefangen zu halten. Sie würden auch eine Auflösung des Parlaments bevorzugen.

Die Regierung hingegen verlangt von den Rebellen, die finanzielle Erpressung (die Maoisten sprechen von »Steuern«), Entführungen und das öffentliche Tragen von Waffen einzustellen. Auf beiden Seiten will man jedoch einen konstruktiven Verlauf des Dialogs und Resultate, die voll mit den Zielen der Volksbewegung übereinstimmen. Die wichtigste Voraussetzung für Gespräche wurde mit der vor drei Wochen vereinbarten Waffenruhe geschaffen.

Zugleich regt sich Widerstand gegen die Regierung. So kam es in der südlichen Stadt Birgunj zu Demonstrationen hinduistischer Gruppen, die gegen den nunmehr säkularen Charakter des Staates protestierten. Wurde doch in der Proklamation vom 18. Mai auch angekündigt, jene Passage in der Verfassung von 1990 als ungültig zu erklären, die Nepal den Status eines Hindu-Staates gibt. Dieses Dokument stand auch auf der Tagesordnung der Audienz, die Premier Koirala zu Wochenananfang bei König Gyanendra hatte. Es enthält Formulierungen, die vor einem Jahr nach dem Putsch des Monarchen noch undenkbar gewesen wären: Jetzt gilt das Volk als »alleiniger Quell der Staatsmacht« mit dem Parlament als dessen höchstem Repräsentanten. Das Parlament oder ein Gericht können jede zweifelhafte Handlung des Königs anfechten und außer Kraft setzen. Der Titel »Oberster Befehlshaber der Armee«, der dem Monarchen vorbehalten war, wurde ebenso abgeschafft wie die Bezeichnungen »Königliche Regierung« und »Königliche Armee«. Das Kabinett ernennt den Oberkommandierenden der Streitkräfte. Der Premier hat den Vorsitz im Nationalen Sicherheitsrat, der die Streitkräfte kontrolliert. Auch den »Königlichen Geheimen Rat« gibt es nicht mehr.

Der Herrscher kann nicht mehr über die Thronfolge entscheiden und muss sein Vermögen versteuern lassen. Die alte Nationalhymne – ein Lobgesang auf die Monarchie – wird durch eine neue ersetzt werden. Gyanendras Allmacht ist damit Geschichte. Über sein endgültiges Schicksal wird die geplante konstituierende Versammlung entscheiden, deren Hauptaufgabe in der Ausarbeitung einer neuen Verfassung bestehen soll.

Diese Entwicklung kommentierte die Tageszeitung »The Rising Nepal« überschwänglich: »Die jahrhundertealte politische, soziale, ökonomische und kulturelle feudale Struktur der Nation ist beendet, eine neue souveräne und demokratische Definition des Staates ist mit dem Ziel erfolgt, eine egalitäre Gesellschaft zu etablieren. Deshalb wird die April-Revolution den Staat und die Machtstrukturen Nepals neu bestimmen.«

Die Maoisten dürften das allerdings etwas nüchterner und realistischer einschätzen. Denn per Federstrich oder mit einer noch so revolutionären Absichtserklärung allein lösen sich feudale Strukturen nicht auf. Zu ihnen gehören auch ein tief wurzelndes Kastensystem, schreiende soziale Ungerechtigkeit und der Volksglaube, der König sei eine göttliche Inkarnation. Zugleich blieb bislang die Macht des Militärs unangetastet, auch wenn jetzt geplant ist, die Ausgaben dafür im nächsten Staatshaushalt zu kürzen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Mai 2006


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