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Der Fahrplan steht

Historischer Durchbruch: Maoisten und Regierung Nepals erzielten Einigung über alle strittigen Fragen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Sechzehn Stunden harter Verhandlungen am Montag und Dienstag bedurfte es, ehe am Mittwoch in aller Frühe Vertreter der Allianz aus sieben politischen Parteien Nepals und der Maoisten in Kathmandu mitteilen konnten, den Durchburch erzielt zu haben: Einigung zu allen strittigen Fragen. Ram Chandra Poudel von der Regierungsseite verkündete, der »historische Deal hat die Türen zum Aufbau eines neuen Nepal geöffnet.« Und Ananta, der Vizekommandant der maoistischen Volksbefreiungsarmee, schätzte ähnlich ein: »Mit diesem Abkommen beginnt in Nepal eine neue Ära. Es wird zum Frieden beitragen und die Probleme lösen.«

Die Vereinbarung legt im Detail den Fahrplan für Frieden dar und nennt für jede Phase den Zeitrahmen. Ab 21. November werden die maoistischen Kämpfer und eine gleiche Anzahl von Soldaten in ihre Kasernen oder Unterkünfte »verbannt«. Am 26. November wird ein 330köpfiges Interimsparlament gebildet, in dem die stärkste politische Partei, der Nepali Congress, 75 Sitze, die KP Nepals (Maoisten) 73 und die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) ebenfalls 73 Sitze erhalten. Dem folgt am 1. Dezember die Installierung einer aus 23 Ministern bestehenden Übergangsregierung. In ihr werden die Maoisten mit fünf oder sechs Ministern vertreten sein.

Im Anschluß an die Regierungsbildung tritt die Vereinbarung über das »Waffenmanagement« in Kraft. In jeweils sieben klar definierten Lagern der Maoisten und der Armee soll eine gleiche Anzahl von Waffen unter UN-Aufsicht unter Verschluß genommen werden. Überwachungsteams der Vereinten Nationen, Fernsehkameras und mit Sirenen verbundene Sensoren werden rund um die Uhr die Waffenarsenale im Auge behalten. Die Schlüssel für die Rebellendepots sollen bei der maoistischen Führung und für die Armeearsenale bei der Militärführung verbleiben. Das »Waffenmanagement« war eines der am heftigsten umstrittenen Probleme.

Weiterhin einigte man sich bei dem Meeting am Dienstag auf die Modalitäten für die Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung im Juni 2007. Sie wird die jetzt akzeptierte provisorische Verfassung durch eine neue, endgültige ersetzen. Bemerkenswert auch, daß die Maoisten der Auflösung der »Volksregierungen« und der »Volksgerichte« in den von ihnen kontrollierten Gebieten zugestimmt haben. Die Entscheidung über das Schicksal der Monarchie wurde auf die erste Sitzung der verfassungsgebenden Versammlung vertagt. Damit hat sich der Nepali Congress zunächst ebenso gegen eine starke Bewegung durchgesetzt, die ein Referendum zu dieser Frage befürwortet, wie gegen die bisherige Forderung der Maoisten, die Monarchie noch vor den Juni-Wahlen durch eine republikanische Regierungsform zu ersetzen.

Wenn sich beide Seiten an die bahnbrechende Vereinbarung und an den Fahrplan zum Frieden halten, dann liefert Nepal einen Präzendenzfall für die internationale Staatengemeinschaft: Nach zehn Jahren schwerer Auseinandersetzungen, denen etwa 15000 Menschen zum Opfer fielen, nach einem schier ausweglosen Machtkampf zwischen der Monarchie, den maoistischen Rebellen und den politischen Parteien wurde durch eine Massenbewegung des 26-Millionen-Volkes die Herrschaft des Königs gebrochen, gewann politische Vernunft die Oberhand und wurde der Weg zu einem Neuanfang geebnet.

* Aus: junge Welt, 9. November 2006


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