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Freudentaumel in Kathmandu

König tritt einen Schritt zurück. Opposition soll Regierungsgewalt übernehmen

Von Hilmar König, Neu-Delhi*

Überschwenglich berichteten die Kathmandu Post und andere Zeitungen am Dienstag über das teilweise Nachgeben von König Gyanendra. »Das Volk hat gesiegt«, war da in fetten Lettern zu lesen. Der Monarch, dem nach fast drei Wochen heftiger Proteste des Volkes das Wasser bis zum Halse stand, hatte am Montag kurz vor Mitternacht in einer von Rundfunk und Fernsehen übertragenen Ansprache erklärt, der SPA-Allianz aus sieben politischen Parteien die Regierungsgewalt zu übergeben. Die SPA solle »jetzt die Nation auf den Weg der nationalen Einheit und der Prosperität bringen«.

Der Rückzug des Monarchen löste noch in der Nacht einen Freudentaumel in Kathmandu aus: Zehntausende oder mehr Menschen waren bereits aus allen Landesteilen angereist, um an der für Dienstag geplanten Massenkundgebung teilzunehmen, mit der der Druck auf Gyanendra weiter erhöht werden sollte. Nunmehr rief die Opposition dazu auf, die geplante Manifestation zu einem friedlichen »Siegeszug« umzufunktionieren. »Wir haben den König in die Knie gezwungen«, begründete Rajan Shresta von der SPA diesen Aufruf. Alle oppositionellen Parteien begrüßten die neue Situation. Ram Chandra Paudel, Sprecher der Partei Nepali Congress (NC), erklärte, der König habe den »Geist der Volksbewegung anerkannt«. Damit könne der Fahrplan der SPA zur Lösung der politischen Krise umgesetzt werden.

Ähnlich äußerte sich Madhav Kumar Nepal, der Generalsekretär der KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten), der von einer »positiven Antwort« des Palastes auf den abgesteckten Kurs der Opposition sprach. Ob das wirklich so ist, wird sich allerdings erst in den kommenden Wochen zeigen. Denn tatsächlich hat der Herrscher außer der Wiedereinberufung des Parlaments noch keine weiteren Zugeständnisse gemacht. Er hat nicht einmal angedeutet, ob er sich endgültig von den Schalthebeln der Macht getrennt hat und ob die Politiker jetzt freie Hand haben. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß Generäle der königlichen Streitkräfte gegenüber dem britischen Sender BBC ihre Bereitschaft bekundeten, »alles für den Frieden zu tun«. Selbst eine Integration der maoistischen Rebellen in die Armee halten sie nicht für ausgeschlossen.

Die Führer der SPA formulierten indes ihren gemeinsamen Standpunkt zur Botschaft des Monarchen. Das Ergebnis lautete: Der Protest wird beendet. Man wolle eng mit den maoistischen Rebellen kooperieren und so schnell wie möglich eine Waffenruhe mit ihnen vereinbaren. Über die Reaktion der Aufständischen, die seit zehn Jahren gegen die Monarchie kämpfen, beträchtliche Teile des Landes unter Kontrolle haben und seit November vorigen Jahres mit der SPA zusammenarbeiten, lagen am Dienstag widersprüchliche Meldungen vor. So hieß es einerseits, sie hätten gegenüber der Oppositionsallianz ihre Genugtuung über den vorläufigen Rückzug des Herrschers ausgedrückt. Andererseits soll Guerillachef Prachanda eine Blockade Kathmandus angekündigt haben, um dem Monarchen keine Ruhepause zu gönnen.

* Aus: junge Welt, 26. April 2006


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