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Staatsstreich in Nepal

König Gyanendra übernimmt die Macht und ruft Ausnahmezustand aus - Parteien vor Strategieproblemen

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel und einen Kommentar, die sich mit der Anfang Februar 2005 eingetretenen neuen Lage in Nepal befassen.

Nepals König setzt die Regierung ab

Gyanendra will drei Jahre lang allein regieren / Kabinett unter Hausarrest gestellt / Indien reagiert besorgt

VON KARL GROBE

Frankfurt a. M. · 1. Februar · Der Monarch Gyanendra begründete seinen Staatsstreich am Dienstag in einer Rundfunkansprache mit dem "Interesse des Volkes und der Demokratie". Er werde in den nächsten drei Jahren die Macht allein ausüben. Der Schritt entspreche den Vorschriften der Verfassung. Die Regierung habe weder wählen lassen noch Frieden mit der anschwellenden maoistischen Aufstandsbewegung schließen können. Gyanendra stützte sich offenbar auf den Artikel 127, der den König ermächtigt, "Schwierigkeiten in der Regierung zu beseitigen".

Der abgesetzte Regierungschef Sher Bahadur Deuba steht unter Hausarrest. Er habe dem Monarchen Verfassungsbruch vorgeworfen und zu umfassendem Widerstand aufgerufen, berichtete die in Neu-Delhi erscheinende Hindustan Times. Seine Erklärung sei Anhängern der von ihm geführten Demokratischen Kongresspartei übergeben worden, denen der Zutritt zum gestürzten Regierungschef verweigert wurde. Augenzeugen berichteten der indischen Zeitung, mehrere Minister seien von Sicherheitskräften an unbekannte Orte verbracht worden. Der Königspalast und die Regierungsgebäude in der Hauptstadt Kathmandu seien von Truppen und Polizei umstellt. Ein UN-Vertreter in einem Vorort Kathmandus teilte der Nachrichtenagentur Reuters mit, die Lage in der Stadt sei ruhig.

Das indische Außenministerium nannte die Entwicklung sehr Besorgnis erregend. Der König, die Regierung und die gemäßigten Parteien stünden jetzt in direkter Konfrontation. Die Regierung Chinas, des anderen an Nepal grenzenden Staates, reagierte zunächst nicht auf den Staatsstreich. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete kommentarlos.



Nepal
Das Königreich ist seit 1797 unabhängig. Eine Verfassung besteht seit 1962. Vierzig Prozent der 27 Millionen Nepalesen leben unter der Armutsgrenze. Eine maoistisch genannte Aufstandsbewegung strebt den Sturz der Monarchie an. Der Bürgerkrieg forderte bisher 11 000 Tote. gro



Der 58-jährige Gyanendra gelangte im Juni 2001 auf den Thron, nachdem Kronzprinz Dipendra - angeblich volltrunken - König Birendra und zehn weitere Mitglieder der Königsfamilie erschossen und anschließend Selbstmord begangen hatte. Birendra war der Bruder des jetzigen Monarchen, der seither autoritär, aber ohne klare Linie regiert. Bis zum Dienstag hatte er dennoch stets erklärt, er wolle nicht selbst die Macht übernehmen. Er löste jedoch im Mai 2002 das Parlament auf und wechselte viermal den Regierungschef. Den jetzt abgesetzten Deuba hatte er im November 2002 schon einmal gefeuert, nach der Ernennung mehrerer anderer Regierungschefs aber im vergangenen Juni wieder berufen.

Sowohl der König als auch die Regierungschefs scheiterten an der Aufgabe, die seit Jahren wachsende so genannte maoistische Bewegung einzudämmen und den Aufstand zu beenden. Deuba versuchte es zuletzt mit einer Allianz, der seine rechte Demokratische Kongresspartei und die gemäßigt linken Vereinigten Marxisten-Leninisten angehörten. Die Maoisten lehnten Gespräche mit Deuba ab.

KOMMENTAR

Geist aus der Flasche

VON KARL GROBE

Nepals König Gyanendra hat den Geist des Bürgerkriegs aus der Flasche gelassen und wird ihn kaum wieder dorthin zurück zwingen können. Er vertritt eins der drei Machtzentren im Lande - die demokratischen Parteien sind das zweite, die zusammenfassend als Maoisten bezeichneten Bauernrevolutionäre und ihre intellektuelle Führung das dritte. Dabei kann der Monarch sich nicht einmal sicher sein, dass seine Armee mit ihren 79 000 Bewaffneten fest zu ihm steht.

Die Parteien als Machtzentrum zu bezeichnen, ist ebenfalls eine Vereinfachung. Die meisten sind nicht mehr als Anhängerschaften charismatischer Persönlichkeiten, die ihrerseits einer Oberschicht entstammen, die von den Realitäten des bitter armen Landes weit entfernt und zudem gespalten ist zwischen Freunden der Demokratie nach dem Muster Indiens, Vertretern tribalistischer Sonderinteressen und Vorkämpfern der Monarchie.

Die Aufstandsbewegung kontrolliert mittlerweile faktisch alle ländlichen Gebiete in Nepal - Regionen, in denen jene 42 Prozent leben, die die offiziell verkündete Armutsgrenze nur von unten sehen und mit Parlamentarismus, Parteien und Demokratie wenig im Sinn haben. Ein Parlament gibt es ohnehin seit drei Jahren nicht mehr. Und nun auch keine politische Kraft mehr, die Reformen und Friedensverhandlungen anbieten könnte. Damit ist der Weg frei zu einem Bürgerkrieg aller gegen alle, den Gyanendra als erster verlieren wird - es sei denn er einigt sich mit den Maoisten.

Aus: Frankfurter Rundschau, 2. Februar 2005


Nepalesischer Absolutismus

Von Thomas Berger*

Für mehrere Stunden war Nepal am Dienstag faktisch weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Nachdem König Gyanendra die von ihm selbst erst vor wenigen Monaten eingesetzte Übergangsregierung unter Premier Sher Bahadur Deuba kurz zuvor abgesetzt und den Ausnahmezustand über das Land verhängt hatte, wurden die Telefonleitungen unterbrochen, Internetverbindungen – beispielsweise zu den Webseiten der großen Zeitungen – gestört und der Airport von Kathmandu für internationale Flüge vorübergehend geschlossen.

Minister unter Arrest

In Geschäften und an Tankstellen der nepalesischen Hauptstadt bildeten sich zeitweise lange Schlangen verunsicherter Kunden, durch die Straßen fuhren gepanzerte Fahrzeuge der Royal Army. Der Monarch hatte den Regierungschef und mehrere führende Minister nicht nur entmachtet, sondern zugleich unter Hausarrest gestellt. Deuba, der bereits zum zweitenmal unter ähnlichen Umständen vom König gefeuert wurde, kündigte inzwischen an, sich den Schritt nicht einfach gefallen zu lassen. Er und Madhav Kumar Nepal, Generalsekretär der wichtigsten Linkspartei UML (Vereinigte Marxisten-Leninisten), basteln bereits an einer breiten Widerstandsaktion gegen Gyanendras »unkonstitutionelles Vorgehen«.

Der Initiative wird sich aller Voraussicht nach auch der Nepali Congress, die liberal ausgerichtete größte politische Formation des Landes, anschließen. Der NC hatte sich an der vom Palast seinerzeit eingesetzten Übergangsregierung, anders als die UML, ohnehin nicht beteiligt – die vorher bestehende vereinte Front der großen Parteien war damit im vergangenen Herbst faktisch gesprengt worden. Mit der Einsetzung des von ihm bereits im Oktober 2002 wegen angeblicher Unfähigkeit aus dem Amt gejagten Deuba als neuen Interimspremier hatte der König in einem geschickten Schachzug die an Stärke gewinnende Oppositionsbewegung gespalten.

Die Vorgabe, eine breite Koalition zur Vorbereitung von Neuwahlen und einer Wiederaufnahme des Dialogs mit den maoistischen Rebellen zusammenzubringen, hatte Deuba zum Teil erfüllt. Doch nur seine eigene Fraktion des NC war bereit, ihm dabei zu folgen. Die Mehrheit der gespaltenen Partei, geführt vom ebenfalls ehemaligen Premier Koirala, wollte Gyanendra nicht als scheindemokratische Fassade dienen. Eben diese Skeptiker fühlen sich nun durch den Putsch des Monarchen in ihren Unkenrufen bestätigt.

Militär aufgewertet

Die Ankündigung des Königs, binnen drei Jahren für einen demokratischen Neuanfang im Land sorgen zu wollen, läßt in den Führungsetagen der Parteien, die im 2002 suspendierten Parlament vertreten waren, die Alarmglocken schrillen. Sie befürchten wie mehrere Aktivisten von Bürgerrechtsgruppen, daß Gyanendra nicht nur für eine kurze Übergangszeit, sondern für mehrere Jahre alle exekutiven Vollmachten an sich gerissen hat. Daß mit der Verhängung des Ausnahmezustandes grundlegende Rechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit aufgehoben sind und die Armee mit bislang ungeahnter Machtfülle ausgestattet wird, führt in den Augen seiner Gegner die Versicherung des Monarchen ad absurdum, die Demokratie im Land auf absehbare Zukunft vollständig wiederherstellen zu wollen.

Von nachhaltiger Auswirkung ist der institutionelle Coup aus dem Palast unter anderem auf die Wirtschaft. Vor allem die sensible Tourismusbranche, die sich gerade von den jüngsten Rückschlägen zu erholen begann, ist betroffen. Nepal bezieht einen großen Teil seines Nationaleinkommens aus dem Fremdenverkehr, der aber durch das Wiederaufflammen des Bürgerkrieges im Frühsommer 2003 nach kurzer Konsolidierungsphase ohnehin einen starken Einbruch erlitten hatte. Die maoistischen Rebellen hatten außerdem durch eine mehrtägige Blockade der Hauptstadt sowie die erzwungene Schließung ausländischer Firmenvertretungen für Verunsicherung in Wirtschaftskreisen gesorgt.

Dialog oder Kampf?

Für die bevorstehenden Wochen sehen Experten mehrere mögliche Szenarien. Gyanendras radikaler Schritt könnte eine direkte Allianz zwischen den entmachteten demokratischen Parteien und den Maoisten nach sich ziehen, die letztlich unter Umständen wirklich in einer republikanischen Ordnung münden könnte. Denkbar erscheint aber auch die Variante, daß sich die Rebellen auf einen Dialog mit dem Monarchen einlassen. Schließlich hatten sie immer wieder betont, nicht mit der »Marionette« Deuba, sondern nur mit dem König selbst verhandeln zu wollen.

* Aus: junge Welt, 3. Februar 2005


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