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Nepal hinkt vorwärts

Madhesi-Parteien der Terai-Region bestehen auf Autonomie für eine Großprovinz

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Den maßgeblichen Politikern Nepals gelang es am Montag endlich, wenigstens eine der anstehenden Aufgaben zu lösen. Der Verfassungskonvent vereidigte die restlichen 26 Abgeordneten, die von den regierenden Parteien nominiert worden waren. Damit hat der Konvent nun seine endgültige Stärke von 601 Mitgliedern erreicht. Das bedeutet aber nicht, daß er jetzt an die Arbeit gehen könnte. Denn seit fast zwei Wochen blockieren die Madhesi-Parteien der südlichen Terai-Region die Arbeit der Volksvertretung. Sie verlangen, ihre Forderung –der gesamten Region den Status einer autonomen Provinz zu verleihen – in einer Verfassungsergänzung verbindlich zu fixieren. Das lehnten die drei Hauptparteien, der Nepali Congress, die KPN (Maoistisch) und die Vereinten Marxisten/Leninisten zunächst ab. Doch der folgende Boykott des Konvents seitens der Madhesi-Parteien zwang sie zum Einlenken. Am Montag sollte ihr Kompromißvorschlag in der verfassunggebenden Versammlung debattiert werden. Allerdings gingen die Führer des Madhesi Janadhikar Forums, der Terai Madhes Loktantrik Party und der Nepal Sadbhavana Party mit sichtlicher Skepsis in diese Beratungen.

Gegen deren Projekt »Ein Terai - eine Provinz« kommt vehementer Widerstand auch aus den Reihen verschiedener ethnischer Gruppen, die diese Region bevölkern. Sie befürchten, von den Madhesi-Aktivisten künftig dominiert zu werden, sprechen bereits von der »Madhesisierung des Terai« und pochen auf eigenen Autonomie-Status. Das trifft u.a. auf die Gemeinschaften der Tharu und der Rajbanshi zu. Die Forderung nach einer einheitlichen »Madhesi-Provinz« hat bereits die Büchse der Pandora geöffnet, denn nicht nur im Terai, sondern auch in anderen Landesteilen wurde inzwischen der Ruf nach Autonomie laut, zum Beispiel unter den Sherpa und den Limbu. Die drei Hauptparteien wissen, daß sie die Verantwortung für ein ganz diffiziles Problem tragen, das die staatliche Einheit Nepals sprengen könnte, wenn sie es nicht behutsam anpacken. Schon sprechen Insider von einer Situation, wie sie auf dem südasiatischen Subkontinent Mitte der 1940er Jahre vor der Teilung der britischen Kronkolonie in Indien und Pakistan bestand.

Unterdessen wartet die Bevölkerung seit den Wahlen vom 10. April zur verfassunggebenden Versammlung auf eine neue Regierung, die dem aktuellen politischen Kräfteverhältnis entspricht. Die Maoisten waren mit 220 Abgeordneten als stärkste Partei in den Verfassungskonvent eingezogen, der zugleich als provisorisches Parlament fungiert. Doch eine Reihe von Problemen bleibt weiterhin ungelöst: die Bildung einer von den Maoisten geführten neuen Regierung, die Wahl eines Staatspräsidenten, die Integration der ehemaligen Rebellen in die reguläre Armee Nepals, die föderale Gliederung des Landes und die Ausarbeitung einer Verfassung, die dem Charakter der Republik Rechnung trägt und auf Beseitigung der von der Monarchie geerbten feudalistischen Strukturen zielt. Seit die KPN (Maoistisch) und die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) im Juni ihre Minister aus dem Kabinett von Interimspremier Girija Prasad Koirala abgezogen haben, ist eine schwache »Rumpfregierung« im Amt.

* Aus: junge Welt, 8. Juli 2008


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