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Nepal–Indien "auf Augenhöhe"

Erster Besuch von Premier Prachanda in Delhi wird als Erfolg gewertet

Von Hilmar König, Delhi *

Nach fünf Tagen ist Nepals Premier Pushpa Kamal Dahal Prachanda am Donnerstag von seinem ersten offiziellen Indien-Besuch nach Kathmandu zurückgekehrt. Insgesamt schätzen beide Seiten ein, seine Mission sei erfolgreich gewesen.

Kurz vor der Abreise hatte der Regierungschef und Vorsitzende der KP Nepals (Maoistisch) diese Mission so beschrieben: Hauptziel der Visite sei, »die Vertrauenskrise zwischen Nepal und Indien auf politischer Ebene zu überwinden«.

Wenn das mit einem einzigen Besuch wohl kaum erreichbar ist, so hat Premier Prachanda doch einen ersten sichtbaren Schritt in diese Richtung unternommen. Von der ersten Minute an lobte er das »unerschütterliche Verhältnis« zwischen beiden Ländern, das durch eine »spezifische Geschichte und Geografie sowie durch kulturelle und andere Bindungen« gekennzeichnet sei. Jetzt bestehe eine neue Atmosphäre, die einen Neustart bei der Gestaltung dieses Verhältnisses erforderlich mache.

Damit präsentierte sich der Gast, für manchen Beobachter doch etwas unerwartet, als cleverer Diplomat, der umgehend vergessen machte, dass er als Rebellenchef mit gar mancher Stichelei den »großen Bruder« Indien gereizt hatte. Und auch, dass sein erster Auslandsbesuch als Premier Nepals Ende August nach Peking zu den Olympischen Spielen ging, nahm man in Delhi nicht gerade mit Begeisterung auf. Nun aber war das Eis gebrochen.

Jeder der indischen Gastgeber von der Staatspräsidentin, dem Premier und den Ministern bis zur linken und rechten Opposition und zu den Industriekapitänen, reagierte positiv und bezeichnete das indisch-nepalesische Verhältnis als wesentlich für die Zusammenarbeit auf dem südasiatischen Subkontinent.

Eine gemeinsame, 22 Punkte umfassende Erklärung fasst die Resultate und Absichten dieser Visite zusammen. Darin dankt Nepal Indien für die Unterstützung bei der Transformation vom Königreich in eine demokratische Bundesrepublik, in der als aktuelle Aufgaben die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die Vollendung des Friedensprozesses und die Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung Priorität haben. Das Dokument fixiert eine »neue Dynamik« für die bilateralen Beziehungen, die nach dem spürbaren Wandel in beiden Ländern eine andere Qualität erreichen müssen.

Deshalb auch wird eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet, die den anachronistischen Friedens- und Freundschaftspakt aus dem Jahre 1950 gründlich überarbeitet oder gar völlig neu schreibt. Prachanda hatte dazu gegenüber der regierungsnahen Zeitung »The Rising Nepal« vor seiner Abreise gesagt, alle bestehenden Abkommen müssten so revidiert werden, dass sie »gegenseitig vorteilhaft und auf gleicher Augenhöhe sind«.

Beträchtlichen Raum in den Gesprächen in Delhi nahm die Dammbruchkatastrophe am Kosi-Fluss ein, von der Millionen Menschen in beiden Ländern schwer betroffen wurden. Zunächst gilt es immer noch, den in Flüchtlingslagern lebenden Menschen zu helfen, sie bei Rehabilitation und Wiederaufbau zu unterstützen. Dafür stellt Indien dem Nachbarn einen Kredit zur Verfügung und beseitigt für die kommenden drei Monate zugleich Exportrestriktionen für Reis, Weizen, Mais und Zucker. Gemeinsam will man die schweren Schäden reparieren und stabile Vorsorgemaßnahmen für die nächste Regenzeit treffen. Da beträchtliche Teile der nepalesischen Ost-West-Nationalstraße durch die Kosi-Wassermassen zerstört wurden, erlaubt Indien Fahrzeugen aus Nepal, zeitweilig die Verkehrswege im Norden Bihars zu benutzen.

Langfristig wird der bestehende bilaterale Mechanismus zur Nutzung der Wasserressourcen optimiert. Dazu gehören Flutkontrolle, Bewässerung und Nutzung von Wasserkraft durch Großprojekte. Spätestens Anfang Oktober werden sich die zuständigen Staatssekretäre auf einem Treffen mit diesen Problemen befassen. Insgesamt sollen die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen intensiviert und eine Reihe sogenannter Megaprojekte vor allem zur Entwicklung der Infrastruktur Nepals in Angriff genommen werden.

Auch wenn Kathmandu seine Beziehungen mit China entwickeln möchte, so gebe es doch keinen Vergleich mit dem Verhältnis zu Indien. Diese Einschätzung Premier Prachandas wird in den Korridoren der Macht in Delhi wohl noch lange einen angenehmen Widerhall finden.

* Aus: Neues Deutschland, 19. September 2008


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